Epilepsien sind Erkrankungen, denen das wiederholte Auftreten von nicht- provozierten epileptischen Anfällen gemeinsam ist.
Mit einer Prävalenz von 0,8 % zählen sie zu den häufigsten chronischen neurologischen Erkrankungen. Epilepsien können in jedem Lebensalter auftreten, die Häufigkeit des Auftretens ist jedoch altersabhängig unterschiedlich: Etwa ein Drittel der Fälle erstmanifestieren im Säuglings- und Kleinkindesalter, 40 % vor dem 14. Lebensjahr. Die Häufigkeit ist abnehmend im Erwachsenenalter und wieder zunehmend ab dem 60. Lebensjahr.
Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat 2017 eine mehrstufige Klassifikation erarbeitet. Stufe 1 umfasst die Zuordnung zu Anfallstypen auf Basis des (elektro-)klinischen Anfallsbeginns (fokal, generalisiert oder unklar). Stufe 2 betrifft die Klassifikation des Epilepsietyps (fokal, generalisiert, kombiniert mit fokalen + generalisierten Anfallsformen oder unklassifizierbar). Stufe 3 umfasst schließlich die Zuordnung zu einem spezifischen Epilepsiesyndrom. Dies inkludiert zusätzliche Charakteristika, wie Geschlechtsverteilung, Alter bei Erkrankungsbeginn, vorkommende Anfallstypen, Epilepsietyp, assoziierte komorbide Störungen sowie Verlaufskriterien und Behandelbarkeit.
Epileptische Anfälle haben weitreichende Konsequenzen, deswegen muss eine zügige und detaillierte Differenzial-Diagnostik erfolgen. Neben der Anamneseerhebung und klinisch-neurologischer Untersuchung werden ein EEG zur Erfassung der epilepsietypischen Veränderungen sowie eine strukturelle Bildgebung mittels MRT entsprechend dem von der ILAE vorgeschlagenen Epilepsie-Protokoll eingesetzt.
Die Laboruntersuchungen nach dem ersten Anfall dienen der Diagnostik der anfallsauslösenden Grunderkrankung. Die Liquordiagnostik wird – außer bei Säuglingen und Kleinkindern < 2 Jahren und bei Verdacht auf (Autoimmun-)Enzephalitis – nach einem ersten Anfall nicht obligat durchgeführt. Weiters ist nach einem ersten Anfall eine formale neuropsychologische Testung inkl. Screening bzgl. neuropsychiatrischer Störungen (Autismus-Spektrum-Störung, Hyperaktivitäts-Aufmerksamkeits-Störung, Angst/Panikstörung, affektive Störung, insbesondere Depression) durchzuführen, um etwaige Kontraindikationen für bestimmte anfallssuppressive Medikamente (ASM) aufzudecken und frühzeitige rehabilitative Maßnahmen anbieten zu können.
Ziel der Behandlung ist dauerhafte Anfallsfreiheit bei bestmöglicher Verträglichkeit. Zudem ist die Schulung der Patient:innen und/oder ihrer Angehörigen bezüglich Adaptierung des Lebensstils essenziell. Dies inkludiert Informationen über Compliance, Schlafhygiene, potenzielle Unfalls- und Verletzungsrisiken (sportliche Aktivitäten, bestimmte Berufe), Fahrtauglichkeit sowie Mortalitätsrisiko inkl. SUDEP (Sudden Unexpected Death in Epilepsy).
Aktuell steht eine Vielzahl von Substanzen mit unterschiedlichsten Wirkmechanismen zur Verfügung. Obwohl die Anzahl anfallsfreier Patient:innen durch die in den letzten 30 Jahren zahlreichen neu zugelassenen Substanzen nicht signifikant zugenommen hat, ist die individuelle Behandlung von Patient:innen mit unterschiedlichen Bedürfnissen deutlich einfacher geworden. Voraussetzung ist dabei, nicht nur Anfallstyp und Epilepsieart, sondern auch Geschlecht, Alter, komorbide Störungen und etwaige bereits vorhandene Komedikation zu berücksichtigen. Die Therapie-Empfehlungen für verschiedene Epilepsiearten und -syndrome können den Leitlinien der deutschsprachigen neurologischen Gesellschaften und den Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie entnommen werden.
Alle aktuell zur Verfügung stehenden ASM heben zwar die Krampfschwelle und halten somit das Auftreten von Anfällen hintan, das Fortschreiten der Erkrankung (Epileptogenese) beeinflussen sie jedoch gering bzw. überhaupt nicht. Zunehmend wird daher im Kindesalter die präventive Gabe von ASM bereits vor Auftreten klinischer Anfälle empfohlen.
Bei rund zwei Drittel der an Epilepsie Erkrankten wird mit ASM anhaltend Anfallsfreiheit erreicht. Die Epilepsie gilt als „überwunden“ bei altersabhängigen Epilepsie-Syndromen jenseits des Spontanremissions-Alters (z. B. Rolando-Epilepsie) oder bei mindestens 10 Jahren Anfallsfreiheit, davon mindestens 5 Jahre ohne ASM.
Eine Pharmako-Resistenz besteht entsprechend Definition der ILAE, wenn nach 2 adäquat ausgewählten und eingesetzten ASM in sequenzieller Mono- oder Kombinationstherapie sowie adäquater Dosierung keine anhaltende Anfallsfreiheit für mindestens 12 Monate erreicht werden kann. Diese Patient:innen sind möglichst zeitnah an ein spezialisiertes Epilepsiezentrum zu überweisen, um die Möglichkeit eines epilepsiechirurgischen Eingriffs zu evaluieren. In besonderem Maß gilt das für Säuglinge und Kleinkinder, da bei fortlaufender Erkrankung sehr rasch signifikante und irreversible Beeinträchtigungen der Entwicklung zu erwarten sind.
Die Epilepsiechirurgie ist eine neurochirurgische Intervention, deren primäres Ziel die Behandlung der pharmakoresistenten Epilepsien ist. Dabei sollte Anfallsfreiheit oder zumindest eine signifikante Reduktion der Anfallsfrequenz und -schwere erreicht werden, ohne durch die Operation neue essenzielle neurologische Defizite zu verursachen. Für Säuglinge und Kleinkinder gilt dies nur bedingt, da das Fortbestehen der Epilepsie ebenfalls zu irreversiblen psychomotorischen Defiziten führt und die noch hohe Plastizität des Gehirns eine Verlagerung von Funktionen ermöglicht.
Neben resektiven und diskonnektiven potenziell kurativen Verfahren steht seit Kurzem die Laserablation zur Verfügung. Sollte ein kurativer Eingriff nicht in Frage kommen, werden palliative Neurostimulationsverfahren wie Vagusnervstimulation, tiefe Hirnstimulation oder direkte fokale Kortexstimulation angeboten.
Epilepsie ist mehr als die Summe der Anfälle. Entsprechend ist die Behandlung auch mehr als nur Anfallstherapie. Bedingt durch rasante Fortschritte im Bereich der Molekulargenetik war es rezent möglich, für eine Vielzahl von Epilepsien (v. a.) mit Beginn in der (frühen) Kindheit individualisierte spezifische Therapieansätze zu erarbeiten. Beispiele sind die Behandlung des Glukosetransporter-Defizienzsyndroms mit einer ketogenen Diät, Einsatz von mTOR-Inhibitoren im tuberösen Sklerosekomplex oder anderen fokalen Epilepsien, die mit Störungen im mTOR-Signalweg assoziiert sind, das Vermeiden von Natriumkanalblockern beim Dravet-Syndrom sowie der Einsatz von Natriumkanalblockern bei SCN2A- und SCN8A-Mutationen oder neonatalen KCNQ2-Enzephalopathien. Weitere krankheitsmodifizierende Therapieansätze sind derzeit in Erprobung.