Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Stimmung innerhalb der Gesellschaft, das Verhalten der Menschen untereinander und das Miteinander sich zunehmend seit der Pandemie und erst recht nach Ausbruch des Krieges maßgeblich verändert. Wir werden immer häufiger mit Aggressionen auch von Seiten der Patient:innen konfrontiert und müssen Drohungen und Beschimpfungen über uns ergehen lassen, wenn wir Impfungen propagieren oder wissenschaftsferne Diagnostik ablehnen.
Viele Patient:innen sind psychisch instabil, verunsichert, depressiv. Andere haben kein Vertrauen mehr in leichte Unwägbarkeiten des Lebens; sie missinterpretieren Befindlichkeitsstörungen, die zur Lebensrealität gehören, oft als Krankheit und fordern meist aus Sorge davor, an etwas Ernstem zu leiden, entweder umfangreiche nutzlose Diagnostik oder begeben sich in die Hände anderer, die ihnen zum Privattarif allerlei befremdliche medizinische Maßnahmen verkaufen. Betrachten wir uns selbst, so kann wohl kaum ein/e Kolleg:in behaupten, dass die Pandemie nicht massiv an unserer Kraft und an unseren Nerven gezehrt hat. Wir haben seit Beginn der Pandemie die Versorgung unserer Patient:innen sichergestellt, wir diagnostizieren, behandeln und betreuen den großen ambulanten Anteil der COVID-19-Erkrankten, wir waren die Joker beim Impfen, die insbesondere die Zauderer und Zögerer überzeugen konnten. Es steht uns zu, erschöpft zu sein.
Aber wie können wir uns der weiter anhaltenden Herausforderung einer in ihrem zeitlichen Ausmaß nicht abschätzbaren Pandemie stellen?
Einerseits ist es sicher dringend notwendig, auch eine gewisse Selbstfürsorge walten zu lassen und auf die eigenen Bedürfnisse und Ressourcen zu schauen. Andererseits hilft uns vielleicht auch die Sicht auf den Wert unserer Profession, der zwar paradoxerweise inzwischen oft konterkariert wird, der uns aber trotzdem nicht verloren gegangen ist. Wir dürfen unsere Wirksamkeit und damit auch die Sinnhaftigkeit dessen, was wir tun, täglich erleben. Wenn wir bei der Wissenschaftlichkeit verankert bleiben und nach ärztlich ethischen Kriterien handeln, dann kann das vielleicht dazu führen, uns die nötige Kraft und Befriedigung zu verleihen, weiterhin gute Medizin zu machen und denjenigen, welche die Pandemie in gesundheitlichen Belangen aller Art besonders getroffen hat, am wirksamsten zu helfen.
Falls auch Sie Themen für unsere Rubrik „Aus der Praxis“ haben, freuen wir uns, wenn Sie diese an b.schmidle-loss@medmedia.at schicken