Jährlich sterben mehr Menschen am Suizid als im Straßenverkehr, und dennoch ist das Thema Depression weiterhin ein stigmatisiertes und vernachlässigtes. Betroffene sollen sich „zusammenreißen“, oder sie glauben, ihre Erkrankung selbst bewältigen zu müssen – und das, obwohl mit der richtigen Diagnose und Therapie vielen rasch geholfen werden könnte.
Zu den Grundsymptomen der depressiven Episode gehören laut ICD-10-Klassifizierung: depressive, gedrückte Stimmung, Interessenverlust und Freudlosigkeit, Verminderung des Antriebs mit erhöhter Ermüdbarkeit oft selbst nach kleinen Anstrengungen und Aktivitätseinschränkung.
Die Zusatzsymptome umfassen verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen, Schlafstörungen und verminderter Appetit. Der Schweregrad der depressiven Störung richtet sich nach der Anzahl der erfüllten Grund- und Zusatzsymptome. Die klinische Präsentation ist jedoch keineswegs einheitlich. So gibt es Betroffene, die sich im Rahmen der Depression angetrieben und agitiert fühlen und eine innere Unruhe verspüren. Andere wiederum wirken völlig zurückgezogen, retardiert und gehemmt. Es gibt sowohl Patienten mit vermehrtem als auch jene mit vermindertem Appetit, Patienten mit Schlafstörungen, aber auch jene, die 12–14 Stunden am Tag schlafen.
Viele Betroffene können nicht benennen, woran sie leiden. Typische Sätze sind zum Beispiel „Ich kann nicht mehr wie früher.“, „Ich kann nicht so arbeiten/laufen/Haushalt machen.“ und „Was ist los mit mir?“ Diese Patienten beschreiben dann vermehrt körperliche Symptome. Bei einer solchen Somatisierung ist es daher wichtig, auch an die Depression als Auslöser zu denken und gezielt danach zu fragen. Zu den häufig präsentierten Symptomen gehören Schlafstörungen, Müdigkeit, Schmerzen, Angst, Gereiztheit und gastrointestinale Beschwerden. Patienten, die sich bei der Beschreibung ihres Zustandes schwertun, kann man konkrete Worte als Hilfestellung anbieten und abfragen, ob ihre Stimmung eher traurig, ängstlich, weinerlich, lustlos, interessenlos, freudlos, schlaflos und/oder mutlos ist. Traurigkeit kann eine Depression begleiten. Ob jemand weinen kann oder nicht, definiert eine Depression aber nicht. Die richtigen Fragen sind der Schlüssel zur Diagnose der Depression.
Bereits beim Allgemeinmediziner kann die Erkrankung festgestellt, die Behandlung begonnen und die entsprechenden Blutabnahmen in die Wege geleitet werden. Bei Angst und Depression sollte immer die Schilddrüsen- und Stoffwechsellage mitabgeklärt und andere Erkrankungen wie Eisenmangel und Infekte ausgeschlossen werden – Viren können eine depressionsähnliche Symptomatik auslösen. Auch ein möglicher Substanzabusus (Cannabis, Medikamente, Alkohol) muss abgefragt werden. Eine Depression kann mit der richtigen Behandlung in vielen Fällen innerhalb von wenigen Wochen behoben werden. Bei komplexen oder therapieresistenten Patienten ist die Hinzuziehung eines Facharztes für Psychiatrie ratsam.
Die Frage nach Suizid muss bei Verdacht auf Depression immer gestellt werden – ob Suizidgedanken oder Suizidpläne vorliegen beziehungsweise bereits Selbsttötungsversuche (früher, derzeit, in der Familie) unternommen wurden. Lebensüberdruss ist ein häufiger Begleiter der Depression, es gilt jedoch zu unterscheiden, ob dieser drängend ist oder nicht und ob sich der Depressive von den Suizidgedanken distanzieren kann. Sind die Gedanken drängend oder gibt es konkrete Fantasien, sollte der Patient sofort überwiesen werden. In ganz akuten Fällen steht das Spital zur Verfügung.
Nicht bei jedem, der verstimmt oder traurig ist, liegt automatisch eine Depression vor. Der Zeitfaktor ist in der Psychiatrie ganz besonders wichtig. Eine depressive Verstimmung dauert einige wenige Tage an. Im Winter, wenn es feucht, kalt, finster ist, kann es durchaus vorkommen, dass die Stimmung wie das Wetter getrübt ist, dies geht aber nach zwei bis drei Tagen wieder vorbei. Erst wenn die geschilderten Symptome über einen längeren Zeitraum – per Definition mehr als zwei Wochen – andauern, liegt eine Depression vor. Dysthymien sind definiert als mindestens zwei Jahre andauernde depressive Verstimmungen, wobei hier keine Unterscheidungen nach der Schwere vorgesehen sind, da sie sich dadurch auszeichnen, dass sie die Kriterien beziehungsweise die Symptomanzahl selbst für eine leichte depressive Episode nicht erfüllen. Neben der Dauer ist auch die Qualität der Verstimmung entscheidend. Depressive Menschen können selbst ganz genau unterscheiden, wann sie nur schlecht gelaunt sind und wann ihr Zustand darüber hinaus geht. Eine Verstimmung entsteht auch oft aus einer Reaktion heraus. Auslöser können zum Beispiel eine Kränkung, eine Enttäuschung, ein Nichterreichen oder ein Nichtanerkanntwerden sein. Die Betroffenen lassen sich fast immer durch eine Veränderung aus ihrem Zustand herausführen. Die Depression hingegen verschwindet nicht einfach aufgrund eines Ortswechsels oder eines Wellnessurlaubes. Das kann kurzfristig zwar helfen, die Symptome kehren danach jedoch sofort zurück. Eine akute Belastungssituation wiederum kann nach belastenden Ereignissen, häufig nach dem Tod einer nahestehenden Person entstehen. Das zu verarbeiten dauert eine Zeit lang. Ein trauernder, psychisch gesunder Mensch weint zwar, wenn er auf den Verlust angesprochen wird, kann jedoch den Alltag relativ gut bewältigen. Wer trauert, kann sich ablenken oder ablenken lassen, bei depressiven Menschen gelingt das nicht vollständig, und die depressive Grundstimmung ist immer mit dabei.
Jeder Depressive fühlt sich ausgebrannt und hat das Gefühl, er kann nicht mehr so wie früher. Dieser Zustand kann sich über Wochen und Monate noch aggravieren. Sieht man sich Burnout-Fragebögen an, sind die Symptome praktisch die gleichen wie beim depressiven Syndrom. Beim Burnout kommen noch bestimmte Ursachen und Auswirkungen mit einer zeitlichen Abfolge hinzu. Die Forschung, inwieweit Burnout und Depression hinsichtlich ihrer Symptomatik und Pathophysiologie dasselbe sind, beginnt jedoch gerade erst. Überlastung am Arbeitsplatz oder die Pflege von Angehörigen sind Beispiele für Dauerbelastung und Stress. Der Arbeitsplatz kann jedoch auch wegen einer depressiven Episode und der damit einhergehenden Symptomatik wie Konzentrationsstörung und Müdigkeit zur Belastung geworden sein – und nicht nur umgekehrt. Das herauszufiltern ist die Kunst beim Anamnesegespräch. Viele der Burnout-Patienten haben daher sehr wahrscheinlich auch eine diagnostizierbare Depression und sollten auf jeden Fall entsprechend abgeklärt werden. „Burnout“ als Begriff scheint in der Bevölkerung besser akzeptiert zu sein. In jedem Fall sollte aber auch diese Diagnose mit therapeutischen Konsequenzen verbunden sein.