„Wir können nicht ausschließen, dass Menschen punktuell kein Intensivbett bekommen, das sie dringend gebraucht hätten, um zu überleben.“ Dieser Satz stammt mitnichten von einem verzweifelten Primar einer Bezirksklinik, sondern vom Rektor der MedUni Graz aus einer Diskussion von Ende April 2023. Er bezieht sich auf DAS Zentralkrankenhaus der Steiermark, die Universitätsklinik inmitten der zweitgrößten Stadt Österreichs. Ein Irrtum war es, zu glauben, dass nach dem jetzt ausgerufenen Ende der Pandemie eine Entlastung des Gesundheitspersonals erfolgen würde – die im solidarischen Gesundheitssystem Verbliebenen arbeiten weiter an der Belastungsgrenze und darüber hinaus, um eine möglichst gute Patientenversorgung bei einer sich täglich verschlechternden Personalsituation sicherzustellen. Dabei war ein Großteil der jetzt existenten Probleme schon lange vor der Pandemie absehbar und wurde auch gebetsmühlenartig den Entscheidungsträger:innen vorgebracht – allein die Problematik, die sich durch die Pensionierung der Babyboomer-Generation ergibt, bedurfte keiner hellseherischen Fähigkeiten. Auch die Zahl der zunehmenden Krankenstände im Gesundheitspersonal – vielleicht doch als ein indirektes Zeichen der allgemeinen Erschöpfung zu interpretieren – verstärken die Engpässe.
Fraglich bleibt, ob Instrumente der nachträglichen Pandemiebewertung wie z. B. das Impfwerbeverbot in einem österreichischen Bundesland und Zweifel an den Pandemiemaßnahmen, die jetzt immer mehr leider auch politisch gesät werden, dazu beitragen, diejenigen, die 3 Jahre lang zum Wohle der Patient:innen wissenschaftsbasiert handelnd agiert haben, dazu bewegen können, sich weiter im solidarischen Gesundheitssystem, für dessen Probleme derzeit keine adäquaten Lösungen parat sind, zu engagieren. Reflexartige Lösungen wie drastisch steigende Arztgehälter, die Ärztinnen und Ärzte aus anderen Bundesländern abwerben sollen, der immer wieder ertönende Ruf nach mehr Studienplätzen, die dann weiter mit Studierenden besetzt werden, von denen 30–40 % nie im österreichischen solidarischen Gesundheitssystem tätig werden, aber der Allgemeinheit mehr als 500.000 Euro kosten, werden kaum zur Lösung beitragen. Stattdessen sollte ernsthaft auch darüber nachgedacht werden, welche intrinsische Motivation Ärztinnen und Ärzte haben sollten, um sich in Zeiten, in denen der Ruf nach einer 4-Tage-Woche und mehr Work-Life-Balance immer lauter wird, im öffentlichen Gesundheitssystem, das derartige Bedingungen bei der schlechten Personalsituation nicht bieten kann, zu betätigen.
Wenn sich trotz aller Pressemitteilungen der letzten Monate und Jahre noch 15.400 Personen für 1.850 Studienplätze bewerben, dann spiegelt dies das hohe Ansehen wider, das Ärztinnen und Ärzte noch immer gesellschaftlich haben. Dies allein ist jedoch nicht Motivator genug, diesen Beruf nach dem Studium auch tatsächlich zum Wohle der Allgemeinheit auszuüben, sonst würden nicht weit über 30 % der Absolvent:innen nie in Österreich tätig werden.
Wir müssen auch einmal uns selbst als Ärzteschaft fragen, ob wir als Ärztinnen und Ärzte die Rollenbilder darstellen, an denen sich arbeitswillige Nachwuchsmedizinerinnen und -mediziner orientieren können. Welchen Wert stellt eine gerechte und qualitätsvolle Patientenversorgung, die wissenschaftsbasiert erfolgt, im Vergleich zu anderen Tätigkeiten dar, die schnelles und gutes Geld versprechen, oft mit kolportiert einfachen, meist evidenzfernen Lösungen für komplexe Probleme und gegen Privathonorar? Wie sehr messen wir ärztlichen Erfolg an dem Profit, der sich aus der Verbesserung des Gesundheitszustandes unserer Patient:innen ergibt, im Vergleich zu einem Profit, der unseren eigenen Vorteil im Fokus hat?
Ärztliches Handeln erfordert Ethik, Anstand und Haltung. Wir sind gefragt, diese Werte vorzuleben und auch solche einzufordern. Denn dies macht die Qualität ärztlichen Handelns aus.
Die vielen anderen brennenden Probleme möchten wir gerne als Fachgesellschaft mit den Zuständigen auf Augenhöhe lösen helfen. Ideen gibt es genug. Wir hoffen auf offene Ohren.