Patient:innen mit genetisch bedingten schweren Defekten der Antikörperbildung hatten vor Einführung der COVID-19-Impfung ein hohes Risiko für einen schweren, komplizierten COVID-19-Verlauf, verbunden mit einer hohen Hospitalisierungsrate und Mortalität. CVID („common variable immunodeficiency“) ist die häufigste, klinisch sicher symptomatische und unbedingt behandlungsbedürftige genetisch bedingte Abwehrschwäche. Obwohl CVID-Patient:innen gegen alle anderen Impfungen keine schützenden IgG-Antikörper bilden, induziert die COVID-19-mRNA-Impfung in der Mehrzahl der Patient:innen neutralisierende Antikörper, die – zusammen mit einer funktionellen T-Zellantwort – diese Risikopopulation vor einer schweren COVID-19-Erkrankung schützen können. In 19 Studien haben durchschnittlich 65 % von über 800 CVID-Patient:innen nach den ersten zwei COVID-19-mRNA-Impfungen neutralisierende IgG-Antikörper gebildet, und dieser Anteil erhöhte sich nach einer dritten Immunisierung in vier weiteren Studien auf fast 80 %, auch wenn die von den Patient:innen gebildeten Antikörper eine verminderte Affinitätsreifung aufwiesen, eine Auswirkung einer verminderten T-Helferaktivität. Diese Studien zeigen, dass bei Personen mit einer verminderten Immunantwort nach COVID-19-Impfung wiederholte zusätzliche Auffrischungsimpfungen die Schutzwirkung verbessern können.
„Bei Personen mit einer verminderten Immunantwort nach COVID-19-Impfung können wiederholte zusätzliche Auffrischungsimpfungen die Schutzwirkung verbessern.“
Neben Patient:innen mit einer primären Abwehrschwäche haben auch Patient:innen mit Tumorerkrankung, Autoimmunerkrankung oder chronischer Virusinfektion ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf, da sie eine sekundäre Abwehrschwäche entwickeln – einerseits aufgrund der Grunderkrankung, andererseits wegen der laufenden immunsuppressiven Behandlung (z. B. Anti-CD20-Antikörper [Rituximab], Methotrexat, Mycophenolat-Mofetil oder Hochdosis-Cortisontherapie). Vergleichbar zu Patient:innen mit schwerer primärer Antikörperdefizienz weisen Populationen mit sekundärem Immundefekt eine besonders niedere Antikörperantwort nach COVID-19-Impfung auf.
Durch die COVID-19-Impfung wird nicht nur der Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion günstig beeinflusst, sondern durch Verkürzung der Infektionsdauer auch die Entstehung neuer, möglicherweise gefährlicher Virusvarianten vermindert. Die zugelassenen COVID-19-Impfungen sind hochwirksam in der Verhinderung eines schweren COVID-19-Krankheitsverlaufs (Hospitalisierung und Mortalität), inklusive der Entwicklung von Langzeitkomplikationen der SARS-CoV-2-Infektion. Das Potenzial der aktuellen COVID-19-Impfungen, gegen die Folgen einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu schützen, wird jedoch durch die Entstehung von Virusvarianten in Frage gestellt. Sicherzustellen, dass so viele Menschen wie möglich effektiv gegen COVID-19 geimpft sind, ist entscheidend dafür, dass Neuinfektionen und damit auch die Entstehung von SARS-CoV-2-Varianten verhindert werden. Patient:innen mit Immundefekt sind unbeabsichtigt daran beteiligt, dass es zu neuen SARS-CoV-2-Mutationen kommt, da durch eine verminderte vakzininduzierte Immunprotektion statt Rekonvaleszenz Reaktivierung einer symptomatischen SARS-CoV-2-Infektion und Wiederaufflammen der Infektiosität beschrieben wurden. Da etwa 2 % der Gesamtbevölkerung eine primäre oder sekundäre Abwehrschwäche aufweisen, ist es für den Verlauf einer Pandemie wichtig, die besonderen Bedürfnisse dieser Minderheit hinsichtlich der Impfstrategie zu berücksichtigen.
Mit den aktuellen Impfempfehlungen für Populationen mit Abwehrschwäche werden vor allem die 2023 in Österreich am meisten verwendeten mRNA-Impfungen von Pfizer/Biontech oder Moderna angesprochen. Im Gegensatz zu immunkompetenten Personen wird eine Antikörperkontrolle (in einem Test, der wirklich neutralisierende Antikörper untersucht und nicht nur die Höhe der bindenden Antikörper als Surrogat für neutralisierende Antikörper verwendet) frühestens 4 Wochen nach der zweiten COVID-19-Impfung ausdrücklich empfohlen, um feststellen zu können, ob die ersten zwei Impfungen die gewünschte Immunantwort ausgelöst haben. Bei ungenügender Wirkung kann eine dritte Dosis früher als allgemein empfohlen, mindestens jedoch 4 Wochen nach der zweiten Impfung verabreicht werden; Angehörigen von COVID-19-Risikogruppen ist eine Auffrischungsimpfung (4. Impfung) ab 4 Monate nach der 3. Impfung zu empfehlen, eine weitere Auffrischungsimpfung (5. Impfung) kann ab 6 Monate nach der 4. Impfung bzw. nach individueller Prüfung der Impfantwort erfolgen. Die vierte bzw. fünfte Impfung (Auffrischungs- oder Booster-Impfung) sollen nach Möglichkeit mit einem an Omikron 4-5 angepassten mRNA-Impfstoff erfolgen.