Wachstumsstörungen: erkennen, therapieren und begleiten

Die genaue Anamnese ist essenziell für die Kleinwuchsabklärung. Bei der Geburtsanamnese ist besonderes Augenmerk auf den Schwangerschaftsverlauf, Geburtstraumata und die Geburtsmaße zu legen. Relevant ist auch der bisherige Wachstumsverlauf und die statomotorische Entwicklung. Zusätzlich muss eine Ernährungsanamnese erhoben und chronische Erkrankungen ermittelt bzw. ausgeschlossen werden. In der Familienanamnese sollten die Körpergröße des Vaters und der Mutter sowie deren Eintritt in die Pubertät (Beginn der Schambehaarung, des Hodenwachstums bzw. der Brustentwicklung) erfragt und die genetische Zielgröße sowie der genetische Zielbereich berechnet werden.

Die genetische Zielgröße lässt sich mit der folgenden Formel bestimmen:

(Körpergröße des Vaters + Körpergröße der Mutter): 2 + 6,5 cm (männlich) bzw. – 6,5 (weiblich)
Der genetische Zielbereich errechnet sich aus der genetischen Zielgröße +/– 2 SD, also +/– 8,5 cm.

In der auxologischen Untersuchung ist neben Körpergröße und Gewicht auch der Kopfumfang und die Wachstumsgeschwindigkeit zu bestimmen und diese in einem Somatogramm mit den Daten aus dem Mutter-Kind-Pass aufzuzeichnen.

Die Sitzhöhe gibt Aufschluss, ob es sich um einen proportionierten oder dysproportionierten Körperbau handelt. Ist letzteres der Fall, ergibt sich ggf. eine weiterführende molekulargenetische Untersuchung (z. B. SHOX, FGFR-III, PSACH) oder eine Stoffwechseluntersuchung.
Besonderes Augenmerk ist auch auf das Vorhandensein von Dysmorphiezeichen zu legen (Ulrich-Turner-Syndrom, Noonan-Syndrom, Prader-Willi-Syndrom). Die Bestimmung des Pubertätsstatus ist obligatorisch, um keine Pubertas präcox bzw. Pubertas tarda zu übersehen. In solch einem Fall ist eine endokrinologische Abklärung angezeigt. Auf begleitende pathologische Organbefunde ist besonders zu achten.

Der auxologische Verdacht auf eine durch einen Wachstumshormonmangel bedingte Wachstumsstörung besteht, wenn

  • die Körperhöhe nach anfänglich normalem perzentilenparallelem Wachstum unter den Perzentilenbereich der genetischen Zielgröße abfällt oder
  • die Körperhöhe bei fehlenden früheren Wachstumsdaten unterhalb des Perzentilenbereiches der Zielgröße liegt und sich bei nachfolgender Untersuchung weiter vom Perzentilenbereich der Zielgröße entfernt und/oder
  • die über einen Zeitraum von wenigstens 6 Monaten, am besten aber 12 Monaten, gemessene Wachstumsgeschwindigkeit unterhalb der 25. Wachstumsgeschwindigkeitsperzentile liegt.

Zur Bestimmung des Skelettalters wird das Referenzwerk nach Greulich und Pyle oder nach Tanner und Whitehouse verwendet.

Die Durchführung von zwei verschiedenen Wachstumshormonstimulationstests (mit Glukagon, Insulin, Arginin oder Clonidin) ist indiziert, wenn nach Ausschluss anderer Ursachen eine Wachstumsstörung und Knochenalterretardierung vorliegen (zwischen 4 und 7 Jahren in der Regel mehr als ein ¾ Jahr, im Alter von über 7 Jahren mehr als 1 Jahr und zusätzlich eine IGF1/IGFBP3-Verminderung, entsprechend dem Referenzwert des vorliegenden Knochenalters). Anzumerken ist, dass sich altersbezogen verminderte IGF1-Werte üblicherweise bei Vorliegen einer Pubertätsverzögerung und nach Korrektur auf das biologische Alter bzw. Tanner-Stadium normalisieren. Wachstumshormonstimulationstests sind nur in dafür spezialisierten Abteilungen stationär durchzuführen.

Bei nachgewiesenem Wachstumshormonmangel sollte zum Ausschluss einer Pathologie im Bereich Hypophyse/Hypothalamus eine Schädel-MR-Untersuchung durchgeführt werden. Auf das Auftreten von weiteren hypophysären Hormonausfällen ist zu achten.

Eine Körperhöhe unterhalb der 3. Perzentile bedeutet nicht automatisch, dass eine Wachstumsstörung vorliegt. In vielen Fällen handelt es sich um eine Normvariante der Körperhöhe mit regelrechtem perzentilenparallelem Wachstum wie bei famil-iärem Kleinwuchs oder um eine Normvariante der Körperhöhe mit perzentilenflüchtigem Wachstum bei Kleinwuchs mit konstitutioneller Entwicklungsverzögerung von Pubertät und Wachstum. Auch liegt bei einer „Wachstumsstörung“ mit verminderter Wachstumsgeschwindigkeit oder einem Abfall der Körperhöhe unter die initiale Perzentile nicht notwendigerweise eine pathologische Wachstumsstörung vor, wie z. B. beim postnatalen Catchdown-Wachstum des hypertrophen Neugeborenen einer diabetischen Mutter oder bei der präpubertären Verlangsamung der Wachstumsgeschwindigkeit bei Kindern mit konstitutioneller Entwicklungsverzögerung von Pubertät und Wachstum.

Praxismemo
  1. Erfassung der auxologischen und klinischen Parameter durch die niedergelassenen Ärzt:innen.
  2. Laboruntersuchung, ggf. Knochenalter, durch niedergelassene Ärzt:innen/allgem. Spitalsambulanzen.
  3. Erweiterte Abklärung (IGF-I, IGFBP-3, Zytogenetik, Skelettröntgen) durch Spezialambulanzen (Klinik).