Eine „sinnlose Diskussion“, die ohnehin nur 44 Kolleg:innen in Wien betreffe, und ein Thema, das „nervt“ – bei einer Pressekonferenz der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) ließen sich Ärztekammer-Präsident MR Dr. Johannes Steinhart und die Wiener Vizepräsidentin Dr.in Naghme Kamaleyan-Schmied nachdrücklich über die Ankündigung eines Wahlpraxisverbots von Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) aus. Hacker will Privatordinationen von Spitalsärzt:innen mit Jahreswechsel abdrehen. „Wer Teilzeit im öffentlichen Gesundheitssystem arbeitet, der ist diesem System verpflichtet. Man kann 20 Stunden im Spital arbeiten und 20 Stunden in einem Primärversorgungszentrum. Aber zehn Stunden im öffentlichen Spital und den Rest in der Privatordination, das wird es in Zukunft nicht mehr geben“, richtete Hacker den Ärzt:innen aus. Auch Prof. Dr. Dietmar Bayer, Stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzt:innen, brüskiert sich über das drohende Verbot: „Wenn ich von so einem Verbot betroffen wäre, würde ich das Spital verlassen und zu 100 Prozent als Wahlarzt arbeiten. Mit solchen Zwangsmethoden kann man vielleicht im Sozialismus was erreichen, aber nicht in einer offenen Gesellschaft, wie wird sie haben.“ Statt Zwängen braucht es nach Ansicht der Ärztekammer ein Bündel an Maßnahmen zur Attraktivierung des Kassensystems.
Zustimmung bekommt Hacker wenig überraschend vom roten ÖGK-Arbeitnehmer:innen-Obmann Andreas Huss: „Damit bringt Hacker einen wichtigen Vorschlag ein, der vor allem die beiden zentralen Aufgaben von Spitälern in den Fokus rückt. Denn neben der Patientenversorgung sind die Spitäler auch für die Ärzteausbildung zuständig. Diese würde zum Erliegen kommen, wenn sich mehr und mehr Ärztinnen und Ärzte in die Teilzeitarbeit beziehungsweise in die Privatpraxis verabschieden.“ Natürlich wäre so eine Änderung nur dann sinnvoll, wenn das für alle Fondsspitäler in ganz Österreich gelten würde. Andernfalls würden Ärzt:innen in andere Bundesländer abwandern. Derzeit arbeiten rund 5.000 der 11.000 Wahlärzt:innen sowohl im Spital als auch in der Praxis.
Peter Lehner, Vorsitzender der Trägerkonferenz der Sozialversicherungen und Obmann der Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS), ist allerdings skeptischer. „Wir brauchen mehr Flexibilität und Offenheit im öffentlichen System und keine Verbote sowie realitätsfremde und rückwärtsgewandte Zwangsbestimmungen“, erklärt Lehner. „Wir müssen mit Anreizen und Angeboten das öffentliche Gesundheitssystem attraktiveren. Nur so werden wir Ärztinnen und Ärzte dafür begeistern können. Knebelverträge sind keine Lösung“, sagt er. Mehr Flexibilisierung sei das Gebot der Stunde und ein Charakteristikum eines modernen und zukunftsorientierten Arbeitsplatzes. „Jedes Unternehmen und jede Organisation entwickelt sich in diese Richtung, da immer mehr Menschen flexibel ihre Karrieren und Arbeitsumgebung gestalten möchten. Wir müssen starre Systeme aufbrechen und offen für neue Lösungen sein. Wenn wir im öffentlichen Gesundheitssystem diese Wege nicht einschlagen, gefährden wir das System“, unterstreicht Lehner.
„Der Vorschlag des Stadtrates ist reine Showpolitik auf dem Rücken der Wienerinnen und Wiener. Eine erzwungene Einschränkung der Berufsfreiheit wird noch mehr Ärztinnen und Ärzte für immer von den Spitälern wegtreiben. Viele werden ihren Job im Krankenhaus aufgeben. Das wird die Situation in unseren Gesundheitseinrichtungen nochmals massiv verschärfen“, sagt Steinhart. Er appelliert an den Gesundheitsstadtrat, rasch in Gespräche zu treten: „Überdenken Sie Ihren überhasteten und unüberlegten Vorstoß, Herr Stadtrat.“ Es brauche jetzt Wege und Konzepte, die das solidarische Gesundheitssystem langfristig absichern und die Arbeitsbedingungen der Ärzt:innen verbessern. „Wir stehen mit konstruktiven Vorschlägen zu raschen Verhandlungen bereit“, betont Steinhart.
Überrascht zeigten sich auch die Gewerkschaftsvertreter:innen. Christian Meidlinger, Vorsitzender der younion, und Edgar Martin, Vorsitzender des „Team Gesundheit“ (Hauptgruppe II) in der younion, stellen klar, dass es dazu noch keine Verhandlungen gegeben habe. Natürlich müsse eine derartige Änderung wie in Österreich immer üblich unter den Sozialpartnern verhandelt werden. „Darüber wird erst im Sommer gesprochen, so wie es der Fahrplan für die Verhandlungen über das zweite Personalpaket vorsieht“, betonten beide unisono. Martin: „Wir halten wenig davon, sich Verhandlungspositionen vorab über die Medien auszurichten.“
Doch woher kommt der anhaltende Druck auf die Wahlärzt:innen? Dazu lohnt ein Blick in die jüngsten Zahlen des Gesundheitswesens. Argumentiert wird meist mit der steigenden Zahl an Wahlärzt:innen und der sinkenden Zahl von Kassenärzt:innen. Die Attraktivität des Wahlarztbereiches belegen neue Daten. Österreichs Gesundheitsausgaben lagen 2023 laut Statistik Austria bei 52,28 Milliarden Euro – 2,38 Milliarden Euro beziehungsweise 4,8 Prozent mehr als 2022. Ein neuer Rekord. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind die Ausgaben allerdings gesunken, denn dieses ist 2023 noch einmal angestiegen. Der Anteil der öffentlichen und privaten Gesundheitsausgaben ist damit von 11,2 auf 10,9 Prozent gefallen. Heißt: Der Spardruck im System steigt, denn während die Ausgaben absolut um 4,8 Prozent gestiegen sind, lag die durchschnittliche Inflation im Vorjahr bei 7,8 Prozent.
Die Gesundheitsausgaben der privaten Haushalte, freiwilligen Krankenversicherungen, privaten Organisationen ohne Erwerbszweck und Unternehmen lagen 2023 bei 11,95 Milliarden Euro, das sind 22,9 Prozent der laufenden Gesundheitsausgaben. Im Vergleich zu 2022 ist das zwar ein Anstieg der Ausgaben von 6,7 Prozent – zwischen 2015 und 2022 gab es im Schnitt nur einen Zuwachs von 2,8 Prozent im Jahr –, aber auch hier ergibt sich aufgrund der durchschnittlichen Inflation ein reales Minus von 1,1 Prozent. Die restlichen öffentlichen Gesundheitsausgaben – etwa für Krankenanstalten, Behandlungen im niedergelassenen Bereich, in der Langzeitpflege oder für Heilbehelfe – stiegen um 9,6 Prozent.
Große Gewinner waren 2023 eben die Wahlärzt:innen: Laut dem Jahresbericht des Verbands der Versicherungsunternehmen Österreichs (VVO) sind die Arztleistungen von 2022 auf 2023 um satte 17,8 Prozent gestiegen. Verglichen mit den Jahren zuvor (2020: 5,8 Prozent, 2021: 8,9 Prozent, 2022: 13,2 Prozent) ein bemerkenswerter Anstieg. Mittlerweile haben außerdem über 38 Prozent der Österreicher:innen eine private Krankenzusatzversicherung. Allein von 2022 auf 2023 ist die Zahl der Privatversicherten um rund 60.300 auf über 3,5 Millionen gestiegen – der größte Sprung der vergangenen Jahre. Besonderen Stellenwert hatte im Vorjahr laut VVO auch die Krankenhauskostenversicherung mit Leistungen über einer Milliarde Euro, die von jeder vierten Person in Österreich (2,25 Millionen Personen) in Anspruch genommen wird. Die Zuwächse lagen bei den Krankenhausleistungen 2023 bei 11,1 Prozent.
In diesem Zusammenhang üben die Funktionär:innen der Ärztekammer scharfe Kritik an der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Seit Jahren würde die Ärztekammer auf eine drohende Pensionierungswelle hinweisen, Systempartner hätten eine Sicherstellung der Versorgung aber „verschlafen“ und würden nun versuchen, die Schuld der Ärztekammer in die Schuhe zu schieben. Das größte Problem und „Grundübel“ ist laut ÖÄK der Kostendämpfungs- und Leistungskürzungspfad der ÖGK. Darüber hinaus würde der von der Ärztekammer vor drei Jahren vorgelegte einheitliche Leistungskatalog dort immer noch am Tisch liegen, es hätte nach wie vor keine Gespräche gegeben.