Warum Autoimmunität bei COVID-19?

Viele Autoimmunerkrankungen sind bekanntlich mit bakteriellen oder viralen Infektionen assoziiert, oft auch mit dokumentiertem kausalem Zusammenhang. Bei keiner Virusinfektion wurden aber während und nach der Erkrankung so viele unterschiedliche Autoimmunphänomene und manifeste Erkrankungen beobachtet wie bei COVID-19. SARS-CoV-2 kann daher mit Recht als das Autoimmunitätsvirus bezeichnet werden. In der Abbildung sind die bei/nach COVID-19 am häufigsten beobachteten Autoimmunreaktionen und manifesten Autoimmunerkrankungen zusammengefasst.

Pathomechanismus

Für die Auslösung von Autoimmunerkrankungen im Allgemeinen und bei/nach Infektionen mit SARS-CoV-2 im Besonderen können verschiedene Mechanismen verantwortlich sein. Im Folgenden sollen die beiden wichtigsten Hypothesen vorgestellt werden: die Hyperstimulation des Immunsystems und die antigene Mimikry.

Eine Hyperstimulation des Immunsystems i. R. von COVID-19 kann nicht nur durch antigene Determinanten (Epitope) des Spike-(S-)Proteins, sondern auch durch alle anderen antigenen Virusbestandteile erfolgen.Die Hyperstimulation des angeborenen Immunsystem führt zur Produktion von proinflammatorischen Zytokinen, v. a. Interleukin-1 (IL-1), IL-6, IL-8 und Tumornekrosefaktor α (TNFα). Werden diese Zytokine in exzessiven Mengen freigesetzt, spricht man vom „Zytokinsturm“, der eine sogenannte polyklonale Aktivierung und Proliferation aller Lymphozyten des adaptiven Immunsystems bewirkt. In diesem Zustand werden auch die wenigen, normalerweise von regulatorischen T-Zellen (Treg) supprimierten, autoreaktiven T- und B-Zellen „mitgerissen“, was sich in Form von humoralen und zellulären Autoimmunreaktionen manifestiert. Verstärkt wird dieser Prozess durch die Freisetzung von Autoantigenen aus viral zerstörten Zielzellen (z. B. Schilddrüsenepithelzellen).

Unter dem Begriff „antigenes Mimikry“ versteht man das Phänomen, dass bestimmte kurze Aminosäuresequenzen (z. B. Heptapeptide) von Erregern – in diesem Fall Virusproteinen – eine Identität oder zumindest eine immunologisch relevante Ähnlichkeit (engl. „mimicry“) zu humanen Proteinsequenzen aufweisen. Eine Immunreaktion gegen solche virale Epitope kann dann zu einer Kreuzreaktion mit den entsprechenden Epitopen in Organen/Geweben/Körperflüssigkeiten des Menschen und damit zu Autoimmunreaktionen führen. Für SARS-CoV-2 sind in der Literatur bereits lange Listen für molekulares Mimikry bei SARS-CoV-2 und für die damit assoziierten Autoimmunreaktionen zu finden.

Autoimmunität nach Impfungen

Die Nebenwirkungen von Impfungen gegen COVID-10 sind bekanntlich mild und schwere Komplikationen um ein Vielfaches seltener als bei der Infektion selbst. Wenn letztere auftreten, handelt es sich allerdings meist um Autoimmunerkrankungen, wie das Guillain-Barré-Syndrom oder die vakzininduzierte, immunogene, thrombotische Thrombozytopenie (VITT). Die häufigsten – aber immer noch sehr seltenen – autoimmunen Nebenwirkungen sind nach Verabreichung von vektorbasierten und mit Adjuvanzien versetzten Impfstoffen (beide stimulieren das angeborene Immunsystem) zu beobachten. mRNA-basierte Impfstoffe enthalten zwar keine klassischen Adjuvanzien, aber die zur „Verpackung“ der mRNA verwendeten Nanolipidpartikel und das zugesetzte Polyethylenglykol (PEG) scheinen eine adjuvansähnliche Wirkung zu haben und können so zur Hyperstimulation bzw. antigenem Mimikry (über das S-Protein) führen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen neu auftretenden Autoim-munerkrankungen und COVID-Impfungen wurde noch nicht gezeigt, wohl aber die Reaktivierung latenter Erkrankungen.

Autoimmunität nach Long COVID

Die klinischen Beschwerden bei Long COVID-19 scheinen in den meisten Fällen autoimmun bedingt zu sein, und zwar durch eine Persistenz von Virusanteilen in verschiedenen Organen und dadurch einer chronischen antigenen Stimulierung des Immunsystems (infektiöse, persistente Viruspartikel wurden bisher noch nicht eindeutig identifiziert). Neben dem Auftreten klassischer Autoantikörper und autoreaktiver T-Zellen ist diesbezüglich der Nachweis von Autoantikörpern gegen kleine autonome Nervenfasern („small autonomic nerve fibers“, SANF) wichtig. Auch die spezifisch gegen G-Protein gekoppelte Rezeptoren (GPCR) (adrenerge, muskarinerge, AT-1-GPFR) gerichteten Autoantikörper bei COVID-19 assoziierter/m myalgischer Enzephalitis/chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) sind funktionell bedeutsam.

Praxismemo
  1. Schwere Komplikationen nach COVID-Impfungen sind um ein Vielfaches seltener als durch die Infektion bedingte.
  2. Sehr selten kommt es v. a. bei vektorbasierten Impfstoffen zu autoimmunen Nebenwirkungen.
  3. Bei diesen Nebenwirkungen handelt es sich meist um die Reaktivierung latenter Erkrankungen.