Bei Depressionen kommt es oft zu negativen Folgen wie geringere Leistungsfähigkeit und Schwierigkeiten, auf andere Menschen zuzugehen. Dies kann zu Problemen am Arbeitsplatz, in der Familie oder im Freundeskreis führen. Weiters ist generell das Suizidrisiko erhöht.
Betrachtet man epidemiologische Daten, ergibt sich das Bild, dass die Depression „weiblich“ ist. Frauen haben ein 2–3-fach höheres Risiko, im Verlauf ihres Lebens an einer Depression zu erkranken. Insgesamt zeigt sich eine Lebenszeitprävalenz depressiver Erkrankungen zwischen 4,1 und 21,3 % für Frauen und zwischen 2,3 und 12,7 % für Männer. Der Geschlechtsunterschied beginnt im Alter der Pubertät deutlich zu werden, prägt sich zwischen dem 30. und 45. Lebensjahr weiter aus und persistiert bis ins hohe Alter. Für Österreich zeigten die Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten Studie zum Auftreten einer einzelnen depressive Episode eine Einjahresprävalenz von 4,2 % bei Männern im Vergleich zu 7,1 % bei Frauen. Auch hinsichtlich rezidivierender Depressionen konnte ein deutlicher Unterschied mit 3,2 % bei Männern und 5,5 % bei Frauen erhoben werden.
Doch woran liegt das? Für die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Entstehung von Depressionen spielen biologische, intrapsychische und psychosoziale Risikofaktoren eine Rolle.
Neurobiologische Ursachen im Sinne einer unterschiedlichen Dichte an Östrogen- und Progesteronrezeptoren und die Beeinflussung des serotonergen Neurotransmittersystems sowie die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Konzentration der Monoaminooxidase könnten für die Gender-Unterschiede in der Prävalenz von depressiven Störungen verantwortlich sein. Möglicherweise trägt auch eine höhere weibliche Empfindlichkeit für entzündliche Prozesse und deren Effekte auf die Stimmung zu diesem geschlechtsspezifischen epidemiologischen Unterschied bei. Es gibt deutliche Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Stress und dem Entstehen von Depressionen. Es wird angenommen, dass das Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-System bei Frauen stärker auf Stress reagiert als bei Männern. Die kontinuierliche monatliche sowie lebenszeitlich wechselnde weibliche Hormonsituation scheint dabei ein Grund für eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Stress und infolgedessen gegenüber Depressionen zu sein. Zudem gibt es Hinweise dafür, dass niedrige Testosteron-Werte bei Männern mit einem höheren Depressionsrisiko assoziiert sind.
Zahlreiche Studien berichten über soziale Risikofaktoren für das Auftreten von Depressionen bei Frauen. Dazu gehört die Mehrfachbelastung durch Haushalt, Kinderbetreuung und Beruf. Die höhere Vulnerabilität von Frauen gegenüber Depressionen wird auch auf einen Mangel an sozialem Rückhalt zurückgeführt. Weiters liegen Berichte vor, dass Depressionen bei Frauen mit Erfahrungen häuslicher Gewalt und sexueller Übergriffe assoziiert sind. Auch der häufige gesellschaftliche Druck, traditionellen Geschlechterrollen zu entsprechen, dürfte das Auftreten von Depression bei Frauen begünstigen. Während zwischenmenschliche Konflikte bei Frauen das Erkrankungsrisiko begünstigen, sind dies bei Männern Scheidung, Trennung einer Beziehung und Probleme am Arbeitsplatz. Allerdings muss gesagt werden, dass manche der sozialen Risikofaktoren bis heute noch nicht ausreichend erforscht sind.
Das ICD-10 beschreibt depressive Episoden mit den folgenden zentralen Symptomen: depressive bzw. gedrückte Stimmungslage, Verlust von Interessen und Freude sowie verminderter Antrieb. Des Weiteren werden im ICD-10 zusätzlich folgende Symptome als typisch für Depressionen beschrieben: herabgesetzte Konzentration und Aufmerksamkeit, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, vermindertes Selbstwertgefühl, Pessimismus, Suizidgedanken bzw. Suizidhandlungen, Schlafstörungen und verminderter Appetit.
In den letzten Jahren wurde das Konzept der „Male Depression“ entwickelt, das davon ausgeht, dass bei Männern häufig depressionsuntypische externalisierende Symptome wie Aggressivität, Irritabilität sowie Risiko- und Suchtverhalten die üblichen, bekannten depressiven Symptome überlagern. Dieser durchaus interessante Ansatz hat aber bisher in die offizielle Diagnostik (noch) keinen Eingang gefunden. Ob dies zu einer Unterschätzung der Prävalenz von Depressionen bei Männern geführt hat, ist eine offene Diskussion.
Bezüglich der Behandlung von Depressionen unterscheiden die Empfehlungen nicht zwischen Frauen und Männern. Für die pharmakologische Behandlung der Depression stehen zahlreiche hoch wirksame Medikamente zur Verfügung. Ziel der medikamentösen Therapie sollte die vollständige Remission sein, da ein Fortbestehen leichterer Restsymptome ein Risikofaktor für Rückfälle sein kann. Die Akuttherapie zum Abklingen der akuten Symptomatik dauert zumeist vier bis acht Wochen. Anschließend sollen Antidepressiva mindestens vier bis sechs Monate eingenommen werden – auch dann, wenn die Symptome bereits früher wieder abgeklungen sind. In der Folge können Antidepressiva langsam reduziert und schließlich ganz abgesetzt werden. In einzelnen Fällen können aber Umstände vorliegen, die für eine längerfristige Einnahme sprechen (z. B. schwerwiegende Suizidversuche).
Es ist häufig nötig, die Sorgen mancher Kranker und ihrer Angehörigen, Antidepressiva könnten abhängig machen oder ihre Persönlichkeit verändern, anzusprechen und die Unrichtigkeit dieser Befürchtungen zu erklären. Es sollte auch darüber aufgeklärt werden, dass Antidepressiva in der Akuttherapie der Depression eine Wirklatenz von etwa zwei bis drei Wochen haben. Da Nebenwirkungen (z. B. Müdigkeit, Unruhe oder Appetitverlust) aber oft sofort auftreten, kommt es in diesem Zeitraum immer wieder zu Therapieabbrüchen.
Das zweite zentrale Standbein der Behandlung von Depressionen ist die Psychotherapie. Bei jeder Depression ist eine so genannte „psychotherapeutische Basisbehandlung“ (auch bezeichnet als „allgemeine ärztliche Psychotherapie“) von jedem Arzt durchzuführen. Dazu gehört der Aufbau einer stützenden empathischen und vertrauensvollen Beziehung zwischen Arzt und Krankem, welche die Voraussetzung für das Gelingen jeder Behandlung ist. Dies dient dazu, den Kranken zu entlasten, zu motivieren und die Compliance zu erhöhen.
Bei einer spezifischen Psychotherapie (durchgeführt von PsychiaterInnen, PsychotherapeutInnen oder PsychologInnen) geht es vor allem darum, depressionstypische Denkmuster, negative Gefühle und Verhaltensweisen abzubauen. Dabei sollte auf jene Verfahren zurückgegriffen werden, die ihre Wirksamkeit in Studien unter Beweis gestellt haben. Dazu gehören die kognitive Verhaltenstherapie, die psychodynamische bzw. analytische Psychotherapie und die interpersonelle Psychotherapie.
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Univ.-Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer Gender Medicine Unit, MedUniWien & VAMED Genderinstitut la pura, Gars am Kamp © Foto: feelimage/Matern |
Aufholbedarf bei MännernAus unterschiedlichsten Gründen werden Depressionen überwiegend bei Frauen diagnostiziert und behandelt. Wie österreichische Daten zeigen, gibt es diesen Unterschied auch bei Diabetespatienten, obwohl hier beide Geschlechter ein höheres Risiko für eine Depression aufweisen im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes. Ein systematisches Screening von Risikogruppen kann allerdings auch bei Männern zu deutlich höheren Inzidenzen führen. Insgesamt besteht beim männlichen Geschlecht Aufholbedarf im Erkennen einer Depression – es bedarf einer vermehrten Awareness für die Symptome der „Male Depression“. Das zeigen auch die deutlich höheren Suizidraten der Männer und die häufig vorliegenden Suchterkrankungen. Sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Familienangehörige neigen dazu, Depressionen eher Frauen als dem „schwachen“ Geschlecht zuzuschreiben. Männer kommen mit der Diagnose Depression schlechter zurecht und lehnen psychologische Betreuung öfter ab als Frauen. Beides beruht unter anderem auf einem überholten Männlichkeitsbild, geprägt von Unabhängigkeit und physischer und psychischer Stärke. Bei (vor allem älteren) Frauen hingegen kommt es sogar zur Überdiagnose oder nicht notwendiger fortlaufender Weiterbehandlung mit Psychopharmaka. Insgesamt bedarf es mehr Forschung und Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede bei psychischen Erkrankungen. Gender Medicine Unit, MedUniWien & VAMED |