Ich kann es mir nicht erklären, aber sobald eine Vorlesung für Studierende oder eine Fortbildung für Ärzt:innen das Thema Niere zum Inhalt hat, schwinden die Zuhörer:innen. Vielleicht gilt die Niere als zu langweilig, zu kompliziert oder zu irrelevant, denn anscheinend ist das Interesse vieler Kolleg:innen an diesem paarigen Organ begrenzt. Dabei ist es relevant, dass auch wir als Hausärzt:innen uns viel mehr der Niere zuwenden und abseits des von vielen Patient:innen neuerdings durch Internetwissen vorgetragenen Beschwerdebildes „Nierenschmerzen“, das sich fast immer als Lumbalgie herausstellt, widmen, denn wenn die Niere schwächelt, dann tut das selten weh.
Daher wurde vor einigen Jahren in der Steiermark das Projekt „niere.schützen 2.0“ ins Leben gerufen.
Die Bestimmung und Bewertung der glomulären Filtrationsrate (GFR) zusätzlich zum Kreatinin auch im Zusammenhang mit der Albumin-Kreatinin-Ratio (ACR) sollte Einzug in die hausärztliche Routine halten. Zahlreiche Patient:innen mit bereits deutlich eingeschränkter Nierenfunktion werden durch alleinige Bestimmung des Kreatinins unterdiagnostiziert („kreatininblinder Bereich“). Die ACR aus dem Spontanharn liefert uns zusätzlich einen wichtigen prognostischen Parameter zur noch sensitiveren Einschätzung des kardiovaskulären Risikos.
Medikamentenmanagement, sei es z. B. die Gabe von NSAR, NOAK, Antibiotika, und Risikomanagement (das Erreichen therapeutischer Ziele, wie z. B. RR-Werte oder HbA1c-Werte) sind nur unter Beachtung und Bewertung der Nierenfunktionsparameter unserer Patient:innen zielführend.
So können wir entscheidend dazu beitragen, die Progression einer Niereninsuffizienz zu verlangsamen oder aufzuhalten, und unsere Patient:innen vor Schäden durch kardiovaskuläre Komplikationen bewahren, indem wir die Ursachen der Niereninsuffizienz, die überwiegend in den Zivilisationskrankheiten begründet liegen, adäquat, leitliniengerecht und patientenadaptiert therapieren. Wenn wir auch dem Verlauf der Nierenfunktionsparameter Beachtung schenken und rasch abfallende Nierenwerte umgehend einer weiteren nephrologischen Abklärung zuführen, können vielfach weitere Schäden verhindert werden. Sich rasch verschlechternde Nierenwerte können allerdings auch andere Ursachen wie Hydronephrosen, maligne Erkrankungen oder Medikamententoxizitäten zugrunde liegen, die gerade wir Hausärzt:innen rasch und adäquat diagnostizieren können und sollten, weil wir das notwendige umfassende Wissen über die Vorerkrankungen unserer Patient:innen und deren Medikation haben, und wir im Gesundheitssystem diejenigen sind, die am schnellsten und niederschwelligsten verfügbar sind – vor allem in einer Zeit sich prekär zuspitzender Versorgungslücken im ambulanten und Spitalssektor und einer zunehmenden Versorgungsungerechtigkeit.
Daher wollen wir uns in der aktuellen Ausgabe der ÖGAM-News diesem hochrelevanten Thema und den zugrunde liegenden Projekten und allgemeinmedizinischen Forschungsvorhaben widmen.