Was sind die Alarmsignale?

Chronische Bauchschmerzen

Etwa 30 % aller Kinder/Jugendlichen in der industrialisierten Welt suchen zumindest einmal eine:n Ärzt:in wegen Bauchschmerzen auf, die länger als 2 Monate dauern. Deren Ursachen sind sehr variabel – mit einer Bandbreite von trivial bis lebensbedrohlich.

Organisch oder funktionell?

Laut epidemiologischen Daten sind bei 80 % dieser Jugendlichen trotz umfangreicher Untersuchungen keine organischen Ursachen zu finden: Vielmehr handelt es sich meist um „funktionelle“ Bauchschmerzen, wobei allein die Kenntnis dieser Entität unnötige, belastende und kostenintensive Diagnostik vermeiden hilft. Bauchschmerzen akuter Intensität, die z. B. ein chirurgisches Vorgehen erfordern oder Leitsymptom einer lebensbedrohlichen Erkrankung (Malignom) sein können, sollten also von den viel häufigeren funktionellen Bauchschmerzen abgegrenzt werden: Funktionellen gastrointestinalen Erkrankungen (Functional Gastrointestinal Disorders, FGID) liegen variable Kombinationen chronisch rezidivierender gastrointestinaler Symptome zugrunde, die nicht durch strukturelle oder biochemische Abnormitäten erklärbar sind. Standardisierte Diagnosekriterien für funktionelle Magen-Darm-Störungen liegen in der mittlerweile vierten überarbeiteten Version als Rom-IV-Kriterien vor.

Noninvasive oder invasive Diagnostik?

Die Diagnose „funktionelle Bauchschmerzen“ darf nur gestellt werden, wenn keine persistierenden oder nächtlichen Schmerzen, keine blutige, nächtliche oder chronische Diarrhö bzw. weitere Alarmzeichen (Tab. 1) bestehen.

Liegt auch nur eines dieser Alarmzeichen vor, so geht dies mit höherer Prävalenz einer organischen Erkrankung einher und rechtfertigt evtl. auch eine invasive Diagnostik. Wenn keine Hinweise für einen etwaigen entzündlichen, anatomischen, metabolischen oder neoplastischen Prozess gegeben sind, der die Symptome erklären könnte, besteht die Empfehlung für eine zunächst eher non-invasive Diagnostik (Tab. 2).

Chronische (blutige) Diarrhö

Bei einer Diarrhö ist die Stuhlfrequenz höher und die Stuhlkonsistenz geringer als sonst üblich, man sollte daher das aktuelle Stuhlmuster der Patient:innen mit dem bisherigen vergleichen. Laut der ESPGHAN (European Society for Paediatric Gastroenterology Hepatology and Nutrition) liegt eine chronische Durchfallerkrankung vor, wenn bei einer/einem Patient:in über einen Zeitraum von mehr als 2 Wochen ≥ 3 breiige bis wässrige Stühle pro Tag auftreten. Chronische Diarrhö kann eine Malnutrition bedingen und gilt daher als gastrointestinales Alarmzeichen. Zwar können Erkrankungen des Dickdarms, des Pankreas, der Leber sowie endokriner Organe eine chronische Diarrhö verursachen, meist wird sie aber durch Erkrankungen des Dünndarms (v. a. Beeinträchtigung der Dünndarmschleimhaut) hervorgerufen, mit Resorptionsproblemen und konsekutiver Mangelernährung. Zöliakie ist die diesbezüglich häufigste Erkrankung (≥ 1 % unserer Population).

Zöliakie:

Klassische Symptome bei Kindern und Jugendlichen sind chronische Diarrhö und Gedeihstörung – bei Wachstumsverzögerung und nichtblutigen Durchfällen muss eine Zöliakiediagnostik erfolgen –, aber extraintestinale oder oligosymptomatische Manifestationen kommen v. a. auch bei Jugendlichen immer häufiger vor. Zusätzlich sind positive spezifische serologische Testresultate (IgA, Transglutaminase) und pathologisch veränderte Duodenalschleimhaut (Marsh-Klassifikation) diagnostisch. Therapie der Zöliakie ist die lebenslang konsequent einzuhaltende glutenfreie Ernährung – mit exzellenter Prognose.

CED – Colitis ulcerosa und Morbus Crohn:

Seit Jahren steigt die CED-Inzidenz in Industrienationen an, und ca. 40 % der neudiagnostizierten Patient:innen sind Kinder und Jugendliche. Die Symptomkonstellation Bauchschmerzen (chronisch rezidivierend) und blutige Diarrhö lässt eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED) vermuten, wobei die ausgeprägte (chronisch) blutige Diarrhö für eine Colitis ulcerosa typisch ist. Dominieren aber chronische Bauchschmerzen im Verein mit Gewichtsverlust oder Wachstumsverzögerung/-stillstand, ist eher an einen M. Crohn zu denken. Das diagnostische Vorgehen bei CED basiert auf präziser (Familien-)Anamnese (> 10 % der erstgradig Verwandten haben eine CED) und einer klinischen Untersuchung mit Fokus u. a. auf der Erfassung von chronischer Gedeihstörung oder verzögerter Pubertätsentwicklung. Wesentlich ist auch das Wissen um extraintestinale Manifestationen (rezidivierende Fieberschübe, Neigung zu Aphthen, Gelenksprobleme). Nötig sind außerdem Laboranalysen relevanter Inflammationsmarker, molekulargenetische und Immundiagnostik sowie mikrobiologische Untersuchungen.

Gedeihstörung und gastrointestinale Erkrankungen

Der bestetablierte anthropometrische Parameter zur Erfassung einer chronischen Gedeihstörung ist die verminderte Körperlänge bezogen auf das Alter – unter Einbeziehung des genetischen Potenzials des Kindes, der Elterngröße. Letztlich kann eine Gedeihstörung mittels Body Mass Index (BMI) erfasst werden (BMI < 15 bei 13- bis 14-Jährigen; BMI < 16,5 bei 14- bis 17-Jährigen = Unterernährung). Eine Verzögerung der Pubertät, also ein für das biologische Alter zu geringes Pubertätsstadium (nach Tanner) ist ebenfalls ein klinisches Alarmsymptom, das auf eine CED, v. a. auf M. Crohn, hinweisen kann.

Vermindertes Gewicht oder verminderte Körperlänge sind daher auch für den Krankheitsverlauf von hoher Relevanz, da sie die einzigen Zeichen aktiver Erkrankung sein können. Somit ist ihre Erfassung im pädiatrischen Krankheitsaktivitätsindex für M. Crohn, dem PCDAI, inkludiert. Nach einer in den S3-Leitlinien „Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn“ 2021 neu aufgenommenen starken Empfehlung sollen bei Kindern und Jugendlichen zusätzlich die Entwicklung von Gewicht, Länge und das Pubertätsstadium bei Erstdiagnose und regelmäßig im Krankheitsverlauf erfasst werden. Eine CED wird mittels Endoskopie des Gastrointestinaltrakts inkl. Stufenbiopsien in Zusammenschau mit zahlreichen laborchemischen und molekulargenetischen Untersuchungen diagnostiziert und sollte an einem entsprechenden pädiatrischen Zentrum erfolgen. Bei Wachstumsverzögerung und nichtblutigen Durchfällen sollte zunächst eine Zöliakiediagnostik erfolgen.