Die letzten Jahre waren durch ständige Updates der Leitlinien zur Abschätzung des kardiovaskulären Risikos durch Lipidwerte und andere klinische Faktoren geprägt. Die Problematik für Nichtexpert:innen liegt in der Fülle der zu verdauenden Information, was leider und nicht überraschend zur mangelnden Umsetzung in der täglichen Praxis führt. Die Tabelle ist den ESC/EAS-Guidelines 2019 entnommen und bringt dies auf den Punkt.
Grundsätzlich muss auf alle anderen möglichen allgemeinen Risikofaktoren und auf mögliche Atherosklerose-Manifestationen geachtet werden. Empfehlenswert ist dabei zunächst eine genaue Karotissonografie, die auch nach Plaques sowie nach einer Erhöhung der Intima-Media-Dicke fahndet, also nicht nur grobe Gefäßstenosen ausschließt. Da sich die Atherosklerose nicht im ganzen Körper gleichermaßen manifestiert, wird zusätzlich bei asymptomatischen Patient:innen die Bestimmung eines Agatston-Scores („koronarer Kalk“) empfohlen. Bei bereits bestehender Angina Pectoris sollte gleich ein komplettes kardiales CT gemacht werden. Diese Abstufung ist gerechtfertigt, da der Agatston-Score für ein Screening ausreicht, weit weniger strahlenbelastend ist und kein Kontrastmittel benötigt wird.
Liegen leichte Läsionen (inzipiente Atherosklerose) vor, werden die Patient:innen der Kategorie mit hohem Risiko zugeordnet (Therapieziel LDL-C < 70 mg/dl). Bei Vorliegen von manifester Atherosklerose, Diabetes mellitus mit Endorganerkrankung, chronischer Nierenerkrankung mit GFR < 30 ml/min/1,73 m2 oder einem SCORE-Risiko ≥ 10% sowie bei familiärer Hypercholesterinämie mit manifester Atherosklerose oder einem weiteren Risikofaktor besteht ein sehr hohes Risiko (Therapieziel LDL-C < 55 mg/dl). Zu ergänzen ist, dass es auch Patient:innen mit extremem Risiko gibt, die trotz maximaler Therapie innerhalb von 2 Jahren nach dem Indexereignis ein weiteres Ereignis haben. Bei diesen wird dann ein LDL-C <40mg/dl empfohlen.
Statine. Seit Ende der 1980er-Jahre werden verschiedenste Statine als partielle Hemmer der Cholesterinsynthese verwendet. Gemeinsam ist allen, dass sie in höherer Dosierung etwas wirksamer sind, aber deutlich häufiger Nebenwirkungen haben. Die meistverwendeten Statine sind heute die Power-Statine Atorvastatin und Rosuvastatin (LDL-C-Senkung in Hochdosis: ca. 50 %). Die Grunddosierung wird von fast allen Patient:innen vertragen. Ist dies nicht der Fall, geben wir oft nur die halbe Grunddosierung, hin und wieder auch nur jeden 2. oder 3. Tag. Da die hohen Dosierungen etwa 10-mal so häufig Nebenwirkungen haben (aber immer noch nicht häufig), sollte man sich daher langsam herantasten und dann die höchste Dosis verwenden, die vertragen wird. Interessant ist, dass manche Patient:innen nur ein Statin vertragen, womit den anderen und schwächeren Statinen eine Reserverolle zukommt. Dem entgegen stehen Patient:innen mit akutem Koronarsyndrom oder Insult, die laut Leitlinien gleich zu Beginn der Therapie die höchsten Dosierungen erhalten und bei Beschwerden Statine dann häufig gar nicht mehr nehmen wollen – obwohl der Großteil der Patient:innen niedrigere Statindosierungen vertragen würde.
Resorptionshemmer. Allen voran ist heute Ezetimib der beliebteste Resorptionshemmer, in der Monotherapie beträgt die LDL-C-Senkung etwa 20 %. In der Regel auch gut vertragen, ist Ezetimib heute weit verbreitet, und das ist berechtigt, denn die relativ geringe Wirkungssteigerung der Statine bei Dosiserhöhung bedeutet, dass 10 mg Statin plus Ezetimib in etwa der Wirkung von 80 mg Statin entsprechen – mit deutlich geringerem Nebenwirkungspotenzial. Trotzdem ist in der Gruppe der Menschen mit Statinintoleranz zu beachten, dass viele (etwa 20–30%) auch eine Intoleranz gegen Ezetimib angeben.
Bempedoinsäure. Eine Ergänzung oder Alternative zu den Statinen ist die Bempedoinsäure (180 mg), die ebenfalls die Cholesterinsynthese blockiert und als Prodrug entwickelt wurde (wird nur in Leber zur wirksamen Substanz umgewandelt), damit sie keine Muskelbeschwerden verursacht. Dies stimmt in den meisten Fällen (aber nicht immer). Die Wirksamkeit in der Monotherapie liegt, wenn kein Statin gegeben wird, bei etwa 20–25 % LDL-C-Senkung. Sind Statine bereits in höherer Dosis an Bord, kann das deutlich weniger sein. Es gibt bei Bempedoinsäure 180 mg eine Fixkombination mit Ezetimib 10 mg, die das LDL-C dann immerhin um mehr als 30 % zu senken vermag.
PCSK9-Inhibitoren. Die Gruppe der PCSK9-senkenden Substanzen umfasst 2 Antikörper, die durch die Bindung von PCSK9 den Abbau von LDL-Rezeptoren in den hepatischen Leberzellen verhindern und damit die Aktivität derselben an der Zelloberfläche erhöhen, sowie Inclisiran. Die beiden Antikörper Evolocumab 140 mg und Alirocumab 150 mg werden in der Regel alle 2 Wochen von den Patient:innen selbst in die Subkutis appliziert, eine Gabe alle 4 Wochen ist möglich (Evolocumab 420 mg und Alirocumab 300 mg). Die Wirksamkeit auf das LDL-C ist mit einer Statintherapie im Hintergrund in der Regel deutlich besser (60–65 %) als ohne (40–45 %).
Inclisiran hemmt die Translation von mRNA in PCSK9 und hierdurch den PCSK9-vermittelten Abbau hepatischer LDL-C-Rezeptoren. Konsekutiv wird vermehrt LDL-C in die Leber aufgenommen, und der LDL-C-Spiegel im Plasma sinkt. Die selektive Aufnahme von Inclisiran in Hepatozyten wird dabei durch Konjugation der siRNA mit N-Acetylgalactosamin erhöht. Die Gabe von Inclisiran 284 mg erfolgt zu Beginn durch eine Gabe zum Zeitpunkt von 0 und 3 Monaten durch die behandelnden Ärzt:innen und wird dann alle 6 Monate fortgesetzt. Insgesamt ist die Therapie etwas schwächer als die mit den vorhandenen Antikörpern, aber dafür für die Patient:innen einfacher. Nebenwirkungen sind bei den PCSK9-Hemmern eher selten, aber möglich. Neben den medikamentösen Therapien gelten als Schlüssel-Interventionen die Senkung des Nahrungscholesterins sowie allgemeine Lebensstilmaßnahmen wie Bewegung zur Ankurbelung der Fettverbrennung, Senkung der Zufuhr der Energieträger Fett, Kohlenhydrate (besonders Zucker und Fruchtzucker) und Alkohol sowie Beachtung von Eiweißmenge und -qualität.
Wir leben in einer Zeit der wirksamen Lipidsenker. Bei den meisten Patient:innen wären die vorhandenen Substanzen durchaus geeignet, um die Therapieziele zu erreichen. Dazu ist jedoch meistens eine Kombinationstherapie von mehreren Substanzen erforderlich.