Wenn episodische Kopfschmerzen chronisch werden

Definition und Prävalenz

Wenn von chronischen Kopfschmerzen gesprochen wird, muss zuerst eine grundsätzliche Begriffsklärung erfolgen. Über Jahre wiederkehrende Kopfschmerzen, wie es die primären Kopfschmerzen meist sind, stellen ein chronisches Leiden dar. Als chronische Kopfschmerzen im eigentlichen Sinn werden aber nach der Definition der International Headache Society (IHS) jene Kopfschmerzen bezeichnet, die an zumindest 15 Tagen im Monat auftreten. Oftmals leiden die Betroffenen dann unter (fast) täglichen Kopfschmerzen. Mehrheitlich entwickeln sich chronische Kopfschmerzen aus episodischen primären Kopfschmerzen. Die Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung liegt bei 4 %, die des Medikamentenübergebrauchskopfschmerzes bei 1–2 %, und in spezialisierten Ambulanzen haben 50–70 % der Patienten chronische Kopfschmerzen.

Risikofaktoren, Verlauf, Komorbidität

Zu den Risikofaktoren für die Entwicklung chronischer Kopfschmerzen zählen unter anderem eine per se hohe Attackenfrequenz, die häufige Einnahme von Akutmedikamenten, Adipositas, Stress, niedriger sozioökonomischer Status, körperliche Inaktivität, Rauchen, andere chronische Schmerzerkrankungen, Depression, Angststörung oder andere Substanzabhängigkeiten.
Obwohl mehrfach gezeigt wurde, dass pro Jahr 1–2 % der Patienten mit episodischen Kopfschmerzen eine Chronifizierung erfahren, handelt es sich um keine Einbahnstraße. Die intraindividuelle Schwankung der Kopfschmerzfrequenz ist hoch, sodass auch viele Patienten wieder in einen episodischen Kopfschmerz konvertieren.
Insbesondere die chronische Migräne weist eine erhöhte Komorbidität bezüglich Angststörungen, Depressionen und chronischer Schmerzen in anderen Körperregionen auf. So bestanden in einer Studie bei 55–60 % der Patienten mit 25–30 Kopfschmerztagen pro Monat auch Rücken-, Nacken- und Schulterschmerzen.

Häufige primäre Kopfschmerzen

In der täglichen Praxis ist von Relevanz, dass die Kopfschmerzen mit der Chronifizierung auch ihren Charakter ändern können.

Bei der chronischen Migräne treten etwa an mindestens 15 Tagen pro Monat Kopfschmerzen auf; von diesen müssen laut IHS jedoch nur acht Tage die IHS-Kriterien für eine Migräne mit oder ohne Aura erfüllen, sich für die Patienten wie Migräne anfühlen oder auf ein Triptan oder Ergotamin ansprechen. Die restlichen Kopfschmerztage können durchaus einem Spannungskopfschmerz ähneln.

Beim chronischen Spannungskopfschmerz kann es neben den bilateralen, drückenden Kopfschmerzen auch zu geringen vegetativen Symptomen kommen, jedoch zu nicht mehr als einem Symptom aus Licht- oder Lärmempfindlichkeit oder geringer Übelkeit.

Beim episodischen Clusterkopfschmerz treten über einige Wochen bis Monate streng einseitige, äußerst starke Schmerzen auf, die von zumindest einem ipsilateralen autonomen Symptom und/oder Ruhelosigkeit begleitet werden. Danach sind die Patienten für mindestens 3 Monate bis einige Jahre schmerzfrei. Treten solche Attacken ohne Pausen auf, die mindestens 3 Monate anhalten, so besteht ein chronischer Clusterkopfschmerz.

Medikamentenübergebrauchskopfschmerz

Wegen der therapeutischen Konsequenzen ist es wichtig, den Medikamentenübergebrauchskopfschmerz zu erkennen. Dabei treten ebenfalls an mindestens 15 Tagen pro Monat Kopfschmerzen auf, die sich aus vorbestehenden Kopfschmerzen entwickeln. Es werden über mindestens 3 Monate Triptane, Ergotamine, Opioide, Kombinationsanalgetika oder verschiedene Substanzklassen an mindestens 10 Tagen pro Monat oder einfache Analgetika an mindestens 15 Tagen pro Monat eingenommen. Ein Kombinationspräparat setzt sich laut IHS aus zumindest 2 Substanzklassen oder 1 Substanzklasse plus 1 Adjuvans (zum Beispiel Koffein) zusammen.
Eine Substanzklasse bilden nichtsteroidale und einfache Analgetika zusammen sowie Triptane, Opioide oder Ergotamine. Neben der Etablierung einer Prophylaxe wird in der Regel ein Entzug der übermäßig konsumierten Substanzen empfohlen. Danach sind im 1. Jahr 50–70 % der Betroffenen frei vom Medikamentenübergebrauchskopfschmerz. 6 Jahre nach einem Entzug liegt die Rückfallquote bei 40–50 %.

Therapie chronischer Kopfschmerzen

Die Therapie chronischer Kopfschmerzen erfordert einen multimodalen Zugang und fußt auf mehreren Säulen: umfassende Aufklärung und Beratung der Betroffenen, medikamentöse Prophylaxe, Psychotherapie, Behandlung der Komorbidität, Bewegung und Einbeziehung des sozialen Umfeldes. Erschwert wird die Therapie durch die Nebenwirkungen der medikamentösen Prophylaxen, die oftmals vor deren (verzögertem) Wirkeintritt auftreten, die Krankheitsdauer, die psychiatrische Komorbidität, andere chronische Schmerzsyndrome und allfällige Pensionswünsche.

Chronische Migräne: In eigenen Studien konnten Topiramat, Botulinumtoxin und die monoklonalen CGRP-Antikörper eine Wirkung nachweisen. Für Betablocker, Flunarizin, Amitriptylin oder Valproinsäure gibt es keine spezifischen Studien bei chronischer Migräne, jedoch zeigt die klinische Erfahrung, dass sie nicht nur bei der episodischen, sondern auch bei der chronischen Migräne wirken. Zusätzlich sollten Ausdauersport, Selbstmanagement und Psychotherapie empfohlen werden.

Chronischer Spannungskopfschmerz: Es gibt keine Studien, die Medikamente spezifisch gegen chronischen Spannungskopfschmerz untersucht haben, jedoch zeigt auch hier die klinische Erfahrung, dass die Patienten auf Amitriptylin, Mirtazapin oder Venlafaxin ansprechen. Ausdauersport, Entspannungstechniken und psychotherapeutische Verfahren kommen ebenfalls zum Einsatz.
Beim chronischen Clusterkopfschmerz ist die Evidenz für die Therapie mäßig; es werden Verapamil, Lithium und in Ausnahmesituationen Topiramat oder Valproinsäure eingesetzt.

Nichtinvasive Neuromodulationsverfahren konnten bisher keine signifikante Wirkung bei chronischer Migräne nachweisen (externe Vagusnervstimulation, externe Trigeminusnervstimulation, hochfrequente transkranielle Magnetstimulation); beim Spannungskopfschmerz stehen noch weniger Daten zur Verfügung.

An invasiven Methoden gab es beim chronischen Clusterkopfschmerz die Stimulation des Ganglion sphenopalatinum, die eine Verkürzung der akuten Attacken durch die Stimulation nachweisen konnte. Diese steht jedoch nicht mehr zur Verfügung. Andere invasive Verfahren sind der Anwendung in Studiensettings vorbehalten.