Wettstreit um die Jungärzte

Ärzte auf Völkerwanderung

Österreich hat derzeit zwar (noch) die zweithöchste Ärztedichte der Europäischen Union, dies könnte sich in den nächsten Jahren jedoch grundlegend ändern. Einer der Gründe: Um Österreichs Ärzte ist ein Wettkampf ausgebrochen – viele Jungärzte nehmen attraktive Jobangebote aus dem Ausland, zum Beispiel aus Deutschland, der Schweiz, England oder Skandinavien wahr. ÖÄK-Präsident Dr. Artur Wechselberger: „Die Abwanderung betrifft besonders den Ärztenachwuchs. Es gibt mehrere Gründe dafür: Einerseits scheinen die 25% nicht österreichischer Medizinstudenten im Regelfall nach Studienabschluss wieder in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, andererseits bieten gerade die deutschsprachigen Länder attraktive postpromotionelle Ausbildungsmöglichkeiten für österreichische Studienabsolventen. Dabei reichen die verlockenden Angebote neben attraktiven Gehältern vom raschen Antritt der Ausbildungsstelle über die hohe Ausbildungsqualität bis zur Zusage eines Abschlusses der Ausbildung in kürzest möglicher Zeit.“
Sieht man sich auf Internetforen um, so scheint vor allem das Fehlen einer „Stehzeit“ im Ausland ein wesentlicher Punkt für die Entscheidung sein, ins Ausland zu gehen.
Aber auch Ärzte mit jus practicandi folgen zunehmend den guten Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten im europäischen Ausland, um in Rehab-Kliniken, als Stationsärzte etc. zu arbeiten. Alleine in Deutschland hat sich die Zahl der in österreichischen Ärzte in den zehn Jahren von 2002–2011 verdreifacht (2002: 792 –2011: 2.363). Damals wie heute sind davon ca. zwei Drittel in Krankenhäusern tätig.
Ein besonderes Auge haben Schweizer Einrichtungen auf Vorarlberger Ärzte geworfen, die mit gut ausgestatteten Einrichtungen und guten Gehältern in die Schweiz abgeworben werden. Skandinavische Ländern bieten zusätzlich unbürokratische Unterstützung bei der Umsiedlung, Sprachkurse etc. an. Arabische Länder locken mit hohen Gehältern und Vergünstigungen wie einer freien Wohnung. Zwar ist durch den Ölreichtum der Wohlstand in z.B. Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten gestiegen, damit aber auch die Häufigkeit von Zivilisationserkrankungen. Die Staaten verfügen über eine boomende Gesundheitsbranche, sie arbeiten an der Verbesserung ihres Gesundheitssystems und suchen ausländische Mediziner für ihre Kliniken. Schon jetzt beträgt der Anteil der ausländischen Ärzte mehr als 90%.
Aber auch Deutschland ist von dieser Ärztemigration betroffen: Angesichts schrumpfender Honorartöpfe und langer Arbeitszeiten hält die Abwanderung deutscher Ärzte ins Ausland an.
Viele Kollegen entscheiden sich nach dem Turnus aber auch, etwas gänzlich anderes zu arbeiten, z.B. in der Pharmaindustrie.
„Wenn es nicht gelingt diesem Abwanderungstrend gegenzusteuern, wird der ohnehin schon prognostizierte Mangel an Ärzten in Österreich in den nächsten zehn bis 20 Jahren noch zunehmen Wir müssen uns um diese jungen Kollegen bemühen, die keine Bittsteller mehr wie früher sind. Sie brauchen gute, attraktive Angebote, vor allem die Frauen“, so Wechselberger.
Nach der im Jahr 2012 von Gesundheits- und Wissenschaftsministerium sowie Ärztekammer präsentierten Ärztebedarfsstudie werden bis 2030 in Österreich – je nach Berechnungsmodell – 3.300–7.700 Ärzte fehlen. Dies alles in einer Zeit, in der wir es mit einer Überalterung der Ärzte zu tun haben: „Der Durchschnittsarzt mit Kassenvertrag ist in Österreich 56 Jahre alt. Fast 27% aller in Österreich tätigen Ärzte sind älter als 60 Jahre. Bald wird eine ganze Generation an Ärzten in Pension gehen!“ Drei Viertel der Kassenvertragsärzte seien männlich, ein Viertel weiblich. Die Studienabsolventen Medizin seien aber zu 60% weiblich; man stehe auch daher vor einem „Geschlechtertausch in der Ärzteschaft“.

Was getan werden muss

Wechselberger erläutert mögliche Gegensteuerungsmaßnahmen: „Das muss auf zwei Ebenen geschehen. Einerseits müssen die Krankenhäuser endlich die Zeichen der Zeit erkennen und die Attraktivität für Ärztinnen und Ärzte – egal ob in Ausbildung stehend oder als fertige Fachärzte – erhöhen.
Dazu gehören besonders eine verbesserte Ausbildungssituation, Entlastung von Administration und Bürokratie, bessere Gehälter aber auch Hilfestellungen wie 24-Stunden-Kinderbetreuungsplätze,Wiedereinstiegsuntestützung, flexible Arbeitszeiten, ganz zu schweigen von Wertschätzung und gedeihlicher Unternehmenskultur.“
Die zweite Ebene betreffe die Vertragsärzteschaft. „Es ist der restriktiven Politik der Sozialversicherungen der letzten Jahrzehnte zu verdanken, dass die kassenärztliche Tätigkeit für junge Ärztinnen und Ärzte uninteressant geworden ist. Dabei sind es nicht nur die Honorare, die weit hinten nach hinken sondern besonders die Vertrags- und Arbeitsbedingungen, die dazu führen, dass viele Ärztinnen und Ärzte sich eine Vertragsarzttätigkeit einfach nicht mehr antun wollen. Massenbetrieb in der Patientenversorgung, eingeschränkte Leistungsspektren, rigide Kontrollen und eine fehlenden Kultur der Zusammenarbeit der Kassen mit freiberufliche tätigen Vertragspartnern sind nur einige der Gründe, die Finger von Kassenverträgen zu lassen.“
Wechselberger fordert auch eine Reform der Ausbildung zum Allgemeinmediziner, die „in Österreich 60 Jahre alt ist. Wir hinken weit hintennach, Österreich muss europareif werden. In 17 europäischen Ländern gibt es denn Facharzt für Allgemeinmedizin schon, in Österreich noch immer nicht. Während z.B. in Deutschland zwei Jahre in einer Lehrpraxis verpflichtend sind, ist es bei uns möglich, als ausgebildeter Arzt für Allgemeinmedizin keinen einzigen Tag in einer allgemeinemedizinischen Praxis verbracht zu haben! Ich fordere die längst überfällige Reform der Ausbildung in der Allgemeinmedizin mit einer Vertiefung und Verlängerung der Ausbildung, die Einhaltung des Turnusärzte-Tätigkeitsprofils sowie die konsequente Umsetzung und Finanzierung einer einjährigen Lehrpraxis“.

Ärztekammer fordert Finanzierung von Lehrpraxen

Nicht nur drohende Versorgungsengpässe durch Pensionierungswellen in den nächsten Jahren bedingen ein rasches Umdenken bei der öffentlichen Hand in Sachen Lehrpraxis. Selbst die Turnusärzte an Wiener Krankenhäusern gaben erst kürzlich bei einer umfassenden Studie an, dass sie sich mangelhaft ausgebildet und falsch eingesetzt, überlastet, teilweise aber auch fachlich unterfordert fühlen. „Daher ist für eine praxisnahe Ausbildung der Besuch einer Lehrpraxis unerlässlich“, so Univ,-Prof. Dr. Thomas Szekeres, Präsident der ÄK Wien.
Mit dem Inkrafttreten des Kollektivvertrags 2010 wurde auf einen Schlag die Zahl der Lehrpraktikanten drastisch gesenkt. „Die gerechtfertigte Einführung des Mindestlohns, unter dem ein Turnusarzt nicht arbeiten sollte, führte dazu, dass sich viele Lehrpraxisbetreiber keinen Lehrpraktikanten mehr leisten konnten oder wollten“, führt Szekeres die Gründe aus, warum derzeit nur wenige Jungmediziner in einer Ordination ausgebildet werden können.
„Das Versäumnis der Politik, für ein adäquates Finanzierungsmodell der Lehrpraxen zu sorgen, könnte den Niedergang der Lehrpraxis bedeuten, wenn nicht sofort ein Umdenken stattfindet“, so Szekeres. Der Kostenpunkt einer solchen Förderung beträgt in etwa zehn bis 15 Millionen Euro: „Geld, welches helfen würde, einen Ärztemangel zu umgehen und die Ausbildung zum Allgemeinmediziner attraktiver zu gestalten.“
Szekeres: „Wenn Österreich international nicht Schlusslicht und damit inadäquat sein möchte, da es seinen jungen Ärzten nur eine unzeitgemäße Ausbildung anbieten kann, muss das Geld für die Förderung der Ausbildung in Lehrpraxen von der öffentlichen Hand aufgebracht werden.“ Für teure elektronische Projekte, so wie ELGA, habe man auch die nötige Finanzierung aufbringen können. „Und dieses Vorhaben übersteigt die Kosten der Lehrpraxen bei Weitem.“

Moderne Zusammenarbeitsformen für Ärzte

Neben der Schaffung zusätzlicher Kassenstellen sieht Wechselberger einen weiteren „unverzichtbaren“ Punkt in der Ermöglichung liberaler, moderner Zusammenarbeitsformen für Ärzte gleicher und unterschiedlicher Fachrichtung: „Nur wenn Fachärzte und Allgemeinmediziner angemessen kooperieren und zusätzliche Kassenleistungen anbieten können, ist die zeitliche und fachliche Verfügbarkeit durch Vertragsärzte ausreichend sichergestellt und die Entlastung der Spitäler, der Spitalsambulanzen und der Spitalsärzte garantiert“, so Wechselberger.

 

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