Wo stehst Du gerade in Deiner Ausbildung?
Dr.in Julia Schirgi: Ich befinde mich jetzt eher gegen Ende des Turnus im Spital, es fehlen mir noch drei Monate an der Kinderabteilung im Krankenhaus.
Wie beurteilst Du den Aufnahmetest für das Medizinstudium?
Die Einstufungstests finden in Wien, Graz und Innsbruck am selben Tag und seit einigen Jahren auch mit denselben Prüfungsfragen statt. In Graz ist die Stadthalle der Ort der Prüfung, es gibt jedes Jahr etwa 3.000 Bewerber:innen und nur 300 Plätze.
Das Auswahlverfahren besteht aus einem Wissenstest und einem Test auf kognitive Fähigkeiten wie z. B. Zahlenreihen vervollständigen oder Figuren zeichnen. Bei diesen Tests werden sicher nicht die für den Arztberuf geeignetsten Kandidat:innen herausgefiltert. Die meisten schaffen es beim ersten Anlauf nicht, beim zweiten Mal schaffen es jedoch viele, wenn sie sich ein Jahr hinsetzen und sich die Zeit für die Vorbereitung nehmen und in der Zwischenzeit vielleicht auch etwas anderes studieren.
Wir haben so einen gravierenden Mangel an Ärzt:innen, wir bräuchten überall mehr. Vielleicht sollte man an die Zukunft denken, wenn gerade jetzt so viele Ärzt:innen in Pension gehen. Selbst wenn wir jetzt anfangen würden, mehr Ärzt:innen auszubilden, sähe man den Effekt erst in 10–15 Jahren.
Angenommen, ein Aufnahmeverfahren ist notwendig, um die Drop-out-Rate niedrig zu halten − was wäre Deiner Meinung nach eine bessere Methode?
Das ist eine schwierige Frage, es sollte jedoch nicht das Niedrighalten der Drop-out- Rate der entscheidende Faktor sein, sondern die Erhöhung der Anzahl an Studienabschlüssen. In Deutschland ist die seit vielen Jahren angewandte Methode der Numerus clausus, und das ist auch alles andere als ideal. Vorstellbar wäre ein Bewerbungsschreiben, gefolgt von Interviews und einem persönlichen Gespräch. Das wäre aber natürlich technisch mit tausenden Leuten schwer umzusetzen. Und möglicherweise ist dann nicht mehr gewährleistet, dass objektiv beurteilt wird. Ich könnte mir aber eine Kombination aus einer vorangestellten naturwissenschaftlichen Aufnahmeprüfung mit einem anschließenden Bewerbungsgespräch durchaus vorstellen.
Ist das Studieren individuell gestaltbar?
Das Studium ist schon sehr verschult, verpflichtende Praktika und Seminare sind sehr getimt. Module kann man nicht selbst zusammenstellen. Man kann sich nicht das eigene Tempo vorgeben. Wenn man eine Prüfung nicht schafft, verliert man manchmal auch gleich ein Jahr. Ich schätze, dass eher wenige ihr Studium ganz abbrechen.
Das Klinisch-Praktische Jahr, KPJ, ist das letzte Studienjahr, dieses organisiert man sich selbst. Fürs KPJ ins Ausland zu gehen kommt sehr häufig vor, am beliebtesten ist die Schweiz. Die Ausbildung dort soll sehr gut sein, die Sprachbarriere ist nicht so groß, und man verdient auch deutlich mehr. Freilich sind auch die Lebenshaltungskosten höher. Es gibt auch Studierende, die für das KPJ nach Deutschland gehen. Das sind meistens Deutsche, die das Studium in Österreich begonnen haben, oft aufgrund des Numerus clausus.
Die Schweiz ist kein EU-Land, wird das KPJ dennoch angerechnet?
In der Schweiz ist man kein KPJ-ler, sondern dort heißt das „Unterassistent“. Das ist ziemlich vergleichbar und ist auch 1 : 1 übertragbar. Manche Mediziner:innen bleiben in der Schweiz hängen. Andererseits kommt es auch vor, dass deutsche Medizinstudent:innen in Österreich bleiben.
Wie geht es nach dem Klinisch-Praktischen Jahr weiter?
Ist man mit dem Studium fertig, bekommt man in den großen Häusern eigentlich gleich einen Platz. Wenn man ein großes Haus anschreibt, gibt es maximal einen Monat Verzögerung, bei kleinen Häusern vielleicht drei Monate. Die meisten beginnen im Herbst mit dem Turnus. Die Turnusausbildung dauert drei Jahre, und die Rotation ist gut organisiert. Es ist eher selten, dass man da irgendwo länger bleibt, und Turnusärzt:innen würden sich Stehzeiten auch nicht mehr so lange wie früher gefallen lassen.
Ist es schwierig, einen Platz in einer Lehrpraxis zu bekommen? Es empfiehlt sich, sich gleich zu Beginn des Turnus für eine Lehrpraxis anzumelden.
Es gibt eine Liste der Ärztekammer, und dann natürlich die Mundpropaganda von Turnusärzt:in bzw. zu Turnusärztin bzw. Turnusarzt. Die guten Lehrpraxisstellen sind schon für einige Jahre ausgebucht.
Viele machen die Arztprüfung noch vor Beginn ihrer Lehrpraxis − warum ist das so?
Aus logistischen Gründen, die Termine liegen da besser, und auch finanziell ist das sinnvoll.
Wie hast Du den Turnus im Spital während der Pandemie erlebt?
Begonnen habe ich mit der Basisausbildung im Oktober 2019, die ersten 4–5 Monate waren noch normal. Dann kam der allererste Lockdown: Es sind keine Patient:innen gekommen, wir waren unterfordert und haben stundenlang Kaffee getrunken. Unsere Oberärzt:innen waren aber motiviert und haben für uns laufend Fortbildungen veranstaltet.
Um möglichst wenig Personalausfall zu riskieren, gab es während der Pandemie spezielle Dienstpläne: Eine Woche war man im Krankenhaus, eine Woche war man zu Hause. Das war so ähnlich wie Kurzarbeit, im Prinzip hatte man frei. Dafür waren die Dienste selbst verlängert. Der Tagdienst war von 7 bis15 Uhr und statt dem Nachtdienst von 7 bis 8 Uhr in der Früh. Am nächsten Tag blieb man dann während der Pandemie bis 12 Uhr am nächsten Tag. Meistens bekam man aber auch genug Schlaf in der Nacht. Allerdings waren diese Systeme von Haus zu Haus unterschiedlich.
Die große Kantine war durchgehend offen. In der Regel durfte nur eine Person am Tisch sitzen, während des Essens war maximal 15 Minuten maskenfreie Zeit. Teilweise hat man von der Kantine auch sein Abendessen mitnehmen können, oder man hat sich das Essen mit Lieferdiensten auf die Station kommen lassen. An der Stelle, wo das kleinere Café war, hat man die Triage aufgebaut. Für uns, aber auch für die Patient:innen war das unangenehm, dass plötzlich das Café weg war.
Während der Arbeit trug man Maske, auch wasserdichte Einmalhandschuhe. Es war nur in der Pause erlaubt, mit Maske zusammenzusitzen.
Welche Besonderheiten gab es noch während der Pandemie?
Besonders anfangs gab es einen Maskenmangel. Vor den Patient:innenzimmern waren Schälchen aufgestellt, mit der persönlichen COVID-Maske, die man dann wiederverwendete. Wir mussten Handschuhe tragen und unsere Hände desinfizieren. Im Krankenhaus in der Triage wurde immer eine Turnusärztin bzw. ein Turnusarzt eingeteilt, der nur abstreicht. Wir haben nach jeder Patient:in die Handschuhe gewechselt und die Hände desinfiziert. Wenn man über den Tag etwa 200-mal die Hände desinfiziert, bekommt man davon ein Handekzem, trotz Hautschutz und Handcreme. Ständig gab es neue Regeln, mal war es die FFP3- Maske, die man tragen musste, dann wieder nur die FFP2-Maske, die Haube, die Brille. Sogar die behandschuhten Hände musste man desinfizieren. Abstriche zu machen ist eine langweilige Arbeit, man lernt dabei nicht wirklich etwas dazu. Diese Dienste dauerten 8 Stunden, mit einer halben Stunde Mittagspause, in der hat die Schwester übernommen.
Was ist von diesen vielen Regeln übriggeblieben?
Im Vergleich mit vor der Pandemie hatte man weniger Kontakt zu den Patient:innen. Die Patient:innen müssen ihre Maske beim Blutabnehmen tragen und die Maske aufsetzen, wenn sie aus dem Zimmer gehen. Man passt mehr auf. Dass man sich als Turnusärztin auf das Patientenbett setzt, kommt nicht mehr vor. Zum Blutabnehmen holt man sich einen Sessel.
Wie begegnete man Dir als zukünftige Allgemeinmedizinerin im Spital?
An mehreren Abteilungen wurde mir eine Assistenzarztstelle angeboten. Für viele andere Kolleg:innen, die nicht genau wissen, wofür sie sich entscheiden sollen, ist so ein Angebot verlockend, aber ich zum Beispiel wusste, dass ich Allgemeinmedizinerin werden will. Grundsätzlich ist die Situation als zukünftige Allgemeinmedizinerin eher nicht so gut im Krankenhaus. Man steht über den „KPJ-lern“, aber unter den Stationsärzt:innen an letzter Stelle in der Rangordnung. Man wird oft als Systemerhalter:in benutzt. Auch auf „guten“ Stationen muss man viel Sekretär:innenarbeit erledigen, wie zum Beispiel Telefonate führen, um Termine für eine MRT zu vereinbaren.
Wie sehen junge Allgemeinmediziner:innen Deiner Meinung nach ihre eigene Zukunft?
Das Standardziel ist zwar immer noch die eigene Ordination, aber bei den Jungen ist das schon im Umbruch: Primärversorgungszentren, Gruppenpraxen sind da eher gefragt. Die Jungen wollen schon mehr zusammenarbeiten, um die Work-Life-Balance zu verbessern. Man möchte nicht diejenige sein, die immer da sein muss. Auch fachlich ist der Austausch wichtig − man kann einander fragen: was sagst du zu diesen Patient:innen, kannst du bei diesem Fall drauf schauen? Viele lernen jetzt in ihrer Lehrpraxiszeit die Arbeit in Primärversorgungszentren kennen und schätzen.
Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Super wär’ es, wenn die Lehrpraxis verlängert werden würde, schrittweise auf 9, dann auf 12 Monate. Dann soll endlich auch der Facharzt für Allgemeinmedizin kommen. Da würde die Wertschätzung steigen, aber auch die Bezahlung wäre besser. Die Ausbildung müsste besser werden. Wenn man vergleicht, wie lange man im Spital ist und vergleichsweise wie kurz nur in der Lehrpraxis, ist das Verhältnis der Ausbildungszeiten immer noch sehr unausgewogen.
Auch eine Anstellung hat schon so ihre Vorteile. Diese Selbständigkeit macht einem schon Angst − was machst Du, wenn Du einmal krank und allein in Deiner Ordination bist, und dann geht Dir das Geld aus? Und auch im Hinblick auf Familienplanung sind bei jungen Ärzt:innen Gruppenpraxen und Primärversorgungszentren sehr beliebt. Einen guten Mittelweg müsste man finden: Mit der Annehmlichkeit eines geregelten Einkommens als angestellte Ärztin in einer Ordination zu arbeiten − aber nicht so wie beim Angestelltenverhältnis im Krankenhaus, sondern mit der Zusicherung, gleichzeitig seine eigenen Ideen einbringen zu dürfen.
Vielen Dank für das Gespräch!