Nach dem Abschluss meines Medizinstudiums in Tschechien hatte ich nicht gedacht, dass ich die Richtung einer Allgemeinmedizinerin einschlagen würde. Ich denke, es geht uns allen gleich: frisch aus dem Studium und trotzdem am ersten Arbeitstag ziemlich ahnungslos. Die ersten Blutabnahmen, Port-a-Cath-Punktionen, Verabreichen von Blutkonserven … Diese Fähigkeiten wirst du dir erst im Krankenhaus, am wahrscheinlichsten in deinem ersten Nachtdienst aneignen müssen.
Ich mochte immer Fächer mit einem breiten Spektrum. Deswegen habe ich mich eigentlich für Innere Medizin interessiert. Einen großen Einfluss hatte sicher auch meine Uni, an der hauptsächlich internistische Fächer unterrichtet und strenger geprüft wurden. Von Allgemeinmedizin hatte ich eigentlich bis dato wenig Ahnung. Mein großer Nachteil war zusätzlich der, dass ich in einem anderen Land studierte und im Gegensatz zur Ausbildung in Österreich auf verpflichtende Famulaturen verzichten musste.
Den ersten Kontakt mit einer allgemeinmedizinischen Ordination hatte ich während der Basisausbildung im ersten Jahr. Unser Stationsarzt auf der Chirurgie hat erwähnt, dass man im Rahmen der Basisausbildung einen Schnuppertag bei einem Hausarzt verbringen kann. Diese Möglichkeit habe ich gerne genutzt.
Nach meiner Basisausbildung habe ich mich doch entschieden, statt Innere Medizin die Ausbildung zur Allgemeinmedizinerin zu beginnen. Diese dauert insgesamt 3,5 Jahre, wovon man 27 Monate zusätzlich zu 9 Monaten Basisausbildung im Krankenhaus tätig ist und 6 Monate in einer Lehrordination arbeitet.
Ich muss wirklich zugeben, dass es schöne, aber auch stressige Zeiten gab. Während der Ausbildung muss man bestimmte Monate an vielen Abteilungen verbringen – 9 Monate Innere Medizin und je 3 Monate auf verschiedenen Abteilungen: Orthopädie und Unfallchirurgie, Gynäkologie, Pädiatrie, Psychiatrie und 2 Wahlfächer – in meinem Fall Urologie und Neurologie. Es ist eine stressige Zeit. Jedes Vierteljahr wechselt man auf eine neue Abteilung, oft auch in ein anderes Krankenhaus. Andere Abläufe, immer wieder neue Kollegen zu haben ist einerseits anstrengend, aber gleichzeitig sehr aufregend und bereichernd. Da man an den Abteilungen selbst Aufnahmen macht, in Ambulanzen aushilft, an den Visiten teilnimmt, lernt man sehr schnell, vielfältige Krankheitsbilder zu erkennen, die Patienten korrekt zu untersuchen und anschließend zu behandeln.
Nachdem ich mit meinem Spitalsturnus fertig war, habe ich das Glück gehabt, die Lehrpraxis bei Dr. Hofbaur in Arbesbach zu absolvieren. Es war ein sehr schönes und intensives Halbjahr während der Corona-Pandemie. Das Arbeiten in einer eigenen Ordination hat einiges an sich. Man hat einen engeren Kontakt zu den Patienten. Man kennt meistens die ganze Familie und erst hier habe ich wirklich gelernt, den Menschen komplex zu betrachten: nicht nur seine körperlichen Beschwerden, sondern immer auch im Hintergrund seinen Kummer, sein Leiden, die Familie oder die Arbeit bei meinen Entscheidungen zu berücksichtigen.
Es hat mich begeistert, wie offen die Menschen bei ihrem Hausarzt sind. Mit ihm wird einfach alles besprochen – von Kinderplanung, deren Erziehung, Familienkummer, Scheidungen, Problemen im Job, Sucht bis zu Sterbebegleitung. Das hat mich wirklich beeindruckt und begeistert. Zurecht wird der Hausarzt deswegen oft auch „Familienarzt“ genannt. Man behandelt nicht nur organische oder psychische Krankheiten, man kann den Patienten auf vielen weiteren Ebenen unterstützen – Psychotherapie, Physiotherapie, finanziell mit Krankengeldbestätigungen, Organisation einer Pflegehilfe und vieles mehr. Im Vergleich zu einem Arzt im Krankenhaus, der seinen Patienten nach einem Herzinfarkt oder einer Pneumonie wieder entlässt und ihn vielleicht nie wieder sieht, hat der Hausarzt mit seinem Patienten eine vielleicht sogar lebenslange Betreuungsvereinbarung abgeschlossen. Diese „anonyme“ Betreuung in den Spitälern hat mich erst nach meiner Lehrpraxiszeit irritiert.
Als Allgemeinmediziner ist man ein Arzt, der primäre, sekundäre und tertiäre Prävention anbietet. Man führt Vorsorgeuntersuchungen durch, klärt Patienten über gesunden Lebensstil auf etc. Wenn bei einem Patienten dann bspw. eine Krebserkrankung diagnostiziert wird, begleitet man ihn bei regelmäßigen klinischen Kontrollen, während einer aggressiven Chemotherapie oder postoperativ. Eine große Aufgabe!
Während des halben Jahres sind auch mir einige Patienten ans Herzen gewachsen, und ich habe einige davon auch gelegentlich im Krankenhaus wieder getroffen. Es entwickelt sich eine völlig andere Arzt-Patienten-Beziehung als in einem Krankenhaus. Diese Erlebnisse, Gespräche, Schicksale und Menschen selbst haben mich davon überzeugt, dass ich meinen Lieblingsjob gefunden habe.
Mein Rat an alle: Wenn ihr euch bzgl. eurer zukünftigen Fachrichtung nicht sicher seid, schaut euch alles an, probiert es aus, sammelt Erfahrungen, lasst eure Augen offen! Es gibt viele Möglichkeiten! Aus meiner Erfahrung: Nicht alles, was im Studium Spaß machte, bereitet auch im wirklichen Leben Freude und umgekehrt!