Wie können wir die Adhärenz verbessern?

Die Adhärenz hat inzwischen das Konzept der Compliance abgelöst. Während Compliance eine unidirektionale Empfehlung oder Anordnung beschreibt und den Patient:innen die Verantwortung für die Therapietreue auferlegt wird, steht bei der Adhärenz der gemeinsame Beschluss der Therapie im Mittelpunkt.

Non-Adhärenz ist häufig

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems stellen nach wie vor die Todesursache Nummer eins in Österreich dar. Die Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) und der Hyperlipidämie ist ein zentraler Bestandteil in der Primär- und Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen.

Menschen mit T2DM oder Dyslipidämie steht eine Reihe von gut verträglichen Therapieoptionen zu Verfügung, welche die Morbidität und Mortalität signifikantsenken. Dennoch sind diese Maßnahmen unzureichend: In einer Schweizer bevölkerungsbasierten Kohorte mit 6.733 Proband:innen im Alter zwischen 35 und 75 Jahren zeigten nur 17,2 % der Patient:innen eine adäquate simultane Glykämie-, Cholesterin- und Blutdruckkontrolle nach 15 Jahren Follow-up.1 Eine Ursache für das inadäquate Management chronischer Erkrankungen ist die fehlende Adhärenz. Gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt die Adhärenzrate bei chronischen Erkrankungen in Industrieländern im Durchschnitt bei 50 %.

„Medikamente wirken nicht bei Patient:innen, die Sie nicht einnehmen“, so lautet der einführende Satz der Grundsatzerklärung von 2021zum Thema Adhärenz der American Heart Association. Laut WHO könnte die Verbesserung der Adhärenzinterventionen einen weitaus größeren Einfluss auf die Gesundheit der Bevölkerung haben als jede neue Entwicklung spezifischer medizinischer Behandlungen. Non-Adhärenz geht mit einer erhöhten Morbidität, Mortalität sowie mit höheren Kosten einher.

Einflussfaktoren für Adhärenz

Die WHO beschrieb 2003 5 Einflussfaktoren, welche die Adhärenz beeinflussen:

  • sozial und ökonomisch– z. B. finanzielle Situation, Bildungsstand
  • gesundheitssystembedingt – z. B. Dauer der Beratung, Arzt-Patienten-Verhältnis
  • krankheitsbedingt – z. B. Komorbidität wie Depression, Demenz
  • therapiebedingt: z. B. unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen, komplexes Medikamentenregime, lange Dauer der Behandlung, kein schneller Behandlungserfolg
  • patientenbedingt– z. B. Vergesslichkeit, psychosozialer Stress, die Angst vor Nebenwirkungen, Pessimismus gegenüber der Therapie, fehlende Akzeptanz der Krankheit, Angst vor Abhängigkeit, nichtverstandene Therapieanweisungen, schlechte Erfahrungen mit Personen aus dem Gesundheitssystem, das Gefühl einer Stigmatisierung durch die Krankheit

Es existieren nur unzureichende prospektive Studien mit klinischen Endpunkten zur Evaluation einer Verbesserung der Adhärenz. Jedoch scheinen Interventionen, die individuelle Beratung, Anpassungen der Arzneimitteltherapie und Nutzung von Hilfsmitteln (z. B. Apps/„mobile health tools“, „mHealth“, Telemedizin) umfassen, sinnvoll zu sein. Beispielsweise werden für Inclisiran Erinnerungstools zur Medikationseinnahme angeboten.

Interventionen zur Verbesserung der Adhärenz ärztlicherseits in Anlehnung an Burnier M 20242:

  • sich Zeit nehmen, um Adhärenz anzusprechen und Lösungen zu finden
  • den Patient:innen gegenüber nicht in eine Vorwurfshaltung gehen
  • Vereinfachen der Behandlung, z. B. durch Kombinationspräparate
  • bevorzugt langwirksame Medikamente („forgiving drugs“) verordnen
  • unnötige Medikamente absetzen
  • Bestärken der Patient:innen, positives Feedback bei Verbesserung der Stoffwechsellage geben
  • Wiederholen der Risiken der Erkrankung sowie Nutzen und Risiken der Therapie
  • Zusammenarbeit mit anderen Leistungserbringer:innen im Gesundheitswesen, insbesondere mit Pflege und Apotheker:innen (z. B. zur Wiederholung der ärztlichen Therapieempfehlungen)

Adhärenzfördernde Therapieoptionen

Bei Menschen mit T2DM zeigte sich in einer Metaanalyse von Weeda et al.3, die 7 Studien und insgesamt 75.159 Patient:innen einschloss, ein um 11 % geringeres Risiko der Non-Adhärenz bei einmal wöchentlich Semaglutid gegenüber einmal täglich injizierbaren GLP-1-Rezeptorantagonisten.

Mit Insulin icodec ist das erste Basalinsulin zur einmal wöchentlich zu verabreichenden Injektion in Europa zugelassen. In der Indikation für Patient:innen mit T2DM zeigten sich keine Nachteile im Vergleich zu täglichen Basalinsulin-Injektionen. Insulin icodec ist in Deutschland bereits im Vertrieb, in Österreich jedoch noch nicht (Stand 10/2024). Mit Insulin efsitora hat ein zweites Langzeitinsulin eine Phase-III-Studie erfolgreich durchlaufen.

Duale Kombinationspräparate sind sowohl für T2DM als auch in der Lipidtherapie in Österreich verfügbar. Oralen Triple-Kombinationen wurde bereits die FDA-Zulassung erteilt wie z. B. 2020 Metformin/Linagliptin/Empagliflozin. Auch die Triple-Therapie Bempedoinsäure/Ezetimib/Statin scheint sehr effektiv und sicher zu sein4–6, und klinische Studien einer Fixkombination laufen.

Im Bereich der Lipidtherapie stehen 2 neuere pharmakologische Ansätze für kardiovaskuläre Hochrisikopatient:innen zur Verfügung: zum einen monoklonale Antikörper gegen PCSK9 (Evolocumab, Alirocumab, Injektion s. c. nur mehr alle 2 Wo. bzw. 1-mal/Monat, mit LDL-Cholesterin-Senkung bis 60%), zum anderen Inclisiran, ein „small-interfering RNA“ (Injektion s. c. nach 3 Mo., dann alle 6 Mo., senkt LDL-Cholesterin um ca. 50 %). Die Outcome-Daten von Inclisiran werden Ende 2026 (ORION-4-Studie) und 2027 (VICTORION-2-PREVENT-Studie) erwartet. Real-World-Daten7 von monoklonalen Antikörpern gegen PCSK9 zeigten, etwas ernüchternd, eine Abbruchrate von 33,3 % nach 60 Tagen. In der österreichischen Kohorte der HEYMANS-Studie8 waren die Therapieabbrüche hingegen selten (10 % der Patient:innen nach 12 Monaten).

Blick in die Zukunft

In Entwicklung ist z. B. ein „PCSK9-Inhibitor der 3. Generation“, Lerodalcibep, ein rekombinantes kleines Bindungsprotein, das an PCSK9 bindet. Es muss nur 1-mal/Monat injiziert werden. Ein „Impfstoff gegen PCSK9“ enthält Epitope, die das Immunsystem anregen, spezifische Antikörper gegen PCSK9 zu bilden, und müsste nur einmal jährlich injiziert werden. Schließlich ist ein Gen-Editing-Ansatz unter Verwendung der CRISPR/Cas9-Technologie („Genchirurgie“) in Entwicklung: Eine Infusion über 60 Minuten hätte eine lebenslange Wirkung, präklinische und klinische Studien laufen.