Prof. Dr. Wolf Langewitz: Die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Gespräch hängen davon ab, was der Patient mit dem Gespräch erreichen möchte. Das reicht wahrscheinlich von „Plaudern“ bis hin zu „Ich habe ein konkretes Problem und hoffe, dass der Arzt mir eine Lösung anbieten kann, die dann auch zu meinen Erwartungen und meiner Lebenswelt passt“. Im ersten Fall reicht es vermutlich bereits aus, fünf Minuten zuzuhören, im zweiten Fall braucht es hingegen einen Arzt, der das Anliegen seines Patienten versteht und dazu sein Fachwissen in einer Weise einbringen kann, die den Patienten beim Umgang mit seinem Problem unterstützt.
In der Wahrnehmung von Patienten sind das Ärzte, die sie nicht zu Wort kommen lassen, die vielleicht ja auch wohlmeinend glauben, dass sie sofort verstanden haben, worum es dem Patienten geht und dann eigentlich nur noch ihre Linie fahren und sich vom Patienten nicht mehr korrigieren lassen.
Wir wissen aus Befragungen von Patienten, dass es ihnen meist darum geht, zu verstehen, was mit ihnen nicht stimmt und was sie dagegen tun können. Wahrscheinlich weniger wichtig, als immer wieder dargestellt, ist das explizite Aufgreifen von Emotionen. Das wissen wir aus Arbeiten, für die Patienten zum Umgang mit schwerwiegenden Erkrankungen befragt wurden, z. B. Krebserkrankungen. Dort scheint das Vertrauen in den Arzt vor allem aus dem Eindruck zu resultieren, dass dieser weiß, wovon er spricht. Die wahrgenommene ärztliche Kompetenz trägt entscheidend dazu bei, dass sich der Patient aufgehoben und getragen fühlt.
Die explizit geäußerte Empathie − das wäre also eine Form der Empathie, bei welcher der Arzt Gefühle explizit anspricht, also beispielsweise wie in einer Psychotherapie sagt: „Ich habe den Eindruck, dass Sie das, was wir hier besprechen, im Moment sehr traurig macht.“ Solch ein explizites Ansprechen von Emotionen ist offenkundig gar nicht so sehr das, was Patienten in der somatischen Medizin wirklich wollen.
Dazu gibt es sehr gute Daten. In der Ordination erhalten Patienten innerhalb von sechs bis acht Minuten zwischen 20 und 30 Informationen. Auf einer internen Abteilung, bei der Visite sind es 20 Informationen innerhalb von viereinhalb Minuten Sprechzeit des Arztes. In der Chirurgie ist es ein bisschen weniger Sprechzeit bei ebenso vielen Informationen. In der Anästhesie werden im Rahmen des Aufklärungsgespräches 56 Informationen innerhalb von 16,5 Minuten vermittelt. Das ist unglaublich viel!
Der durchschnittliche Patient behält wahrscheinlich sieben, plus minus zwei neue Informationen pro Gesprächseinheit. Wenn man jetzt bedenkt, dass die Patienten womöglich beunruhigt sind, dass sie Angst haben und sich Sorgen machen, dann reduziert das die Aufnahmekapazität für neue Informationen, sodass sieben wahrscheinlich die bestmögliche Kapazität ist.
Es empfiehlt sich, zu hinterfragen, mit welchem Algorithmus wir die Informationen auswählen, die wir einem Patienten mitteilen. Der typische Suchalgorithmus einer Fachperson funktioniert ungefähr so: Ich teile dem Patienten mit, was er wissen sollte, um höchstwahrscheinlich zu profitieren. Daraus resultieren dann 20, 30 Informationen. Unser Gegenvorschlag sieht folgendermaßen aus: Sag dem Patienten, was er wissen muss, um keinen Schaden zu nehmen. Was dabei führt, ist die Überlegung: „Ich muss ihm heute mitteilen, was sicherstellt, dass er beim nächsten Mal lebendig bei mir in der Praxis auftaucht. Oder ich muss ihm im Spital mitteilen, was sicherstellt, dass er auf zwei Beinen beim Hausarzt einläuft. Daraus folgert, dass ich dem Patienten nicht alles erklären muss, was man zu Asthma, COPD oder Diabetes wissen könnte.
Richtig. Was der Patient dann von sich aus noch wissen möchte, zählt wahrscheinlich gar nicht zu den erwähnten sieben Informationen, denn zu diesem Zeitpunkt hat der Patient bereits ein gewisses Vorwissen, ein Konzept, aus dem heraus er selbst Fragen entwickelt. Die Antworten auf diese Fragen kann man ihm mitteilen, ohne, dass dieses kleine Körbchen mit den sieben Informationen überfüllt wird.
Das kommt drauf an, wen man fragt. Wenn man Experten fragt, so erkennen diese in einem Aufklärungsgespräch die Struktur. Als Experten wissen wir, dass es Red Flags gibt, dass also der Patient beispielsweise bestimmte Dinge beachten muss, damit er weiß, wann er unbedingt wieder auf die Notfallstation kommen oder zum Arzt gehen sollte. Das kann der Patient von sich aus meist nicht entscheiden, weil er die Information nicht so gut in „essenzielle Informationen“ und „Nice-to-have, aber nicht dringend notwendig“ einteilen kann. Deswegen sagen Patienten eigentlich eher pauschal „Es erklärt mir niemand etwas“, obwohl wir sie mit Informationen überschütten.
Das Wichtigste für mich ist, dass man sich am Anfang darauf einigt, worüber man spricht, dass man sich also an den Beginn des Gespräches so etwas wie einen Kopfteil setzt, in dem man die Agenda klärt. Und diesen Kopfteil des Gespräches gemeinsam zu strukturieren und dann zu schauen, wie die Zeit, die einem gemeinsam zur Verfügung steht, am besten genutzt werden kann. Wenn ich das möchte, muss ich am Anfang sagen: „Frau Maier, ich würde heute gerne erst mal mit Ihnen klären, worüber wir sprechen. Ich habe ein Anliegen: Ich würde gerne schauen, wie Ihnen die neuen Medikamente bekommen sind; was gibt’s von Ihrer Seite? Was möchten Sie heute mit mir besprechen?“. Dann wird dem Patienten klar, dass ich nicht schon im Austausch von Informationen bin, sondern dass ich sozusagen die Tagesordnung kläre.
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