Gerade komme ich vom EURACT Council (Europäische Akademie der Lehrenden für Allgemein-und Familienmedizin) aus Kopenhagen zurück – und einmal mehr habe ich Österreich im europäischen Vergleich gesehen. Seit Neuestem bin ich das, was man im internationalen Sprachgebrauch „Single-handed GP“ nennt und werde von ein paar Nationen sehr bedauernd angesehen, wenn sie dies hören. In anderen ist dies Selbstverständlichkeit und mit dem Bewusstsein getragen, dass dies die medizinische Primärversorgung für den Großteil der Bevölkerung noch eine Weile bleiben wird. Aber auch dort besteht der Wunsch nach einer Flexibilisierung des Systems, in der alle Zusammenarbeitsformen gleichberechtigt und koexistent sein können – man ist sich klar, dass nicht jede Zusammenarbeitsform zu jeder regionalen Struktur „passt“. Nach Wochenenden wie diesen weiß ich immer sehr genau, in welche Länder ich gern abwandern würde, wenn ich müsste – oder aber in welchen Ländern ich gerne meine Ausbildung gemacht hätte. Hauptargumente dafür sind die Ausbildungsqualität, die FACH-spezifische Vorbereitung auf den Beruf, die kontinuierliche Rückkehr in die allgemeinmedizinische Praxis auch während des Krankenhausturnus, der Umgang mit ausländischen Kolleg:innen, um diese in die hausärztliche Primärversorgung möglichst gut zu integrieren (wenn ich dort Einwanderin wäre), die Zeit, die ich mit meinen Patient:innen verbringen könnte, da sowohl Arbeits-, Team- als auch Bezahlungssysteme anders sind und, und, und … aber ich mag meinen Job, und meine Ausbildung ist vorbei.
Was bei den Diskussionen in der EURACT jedoch einmal mehr herauskam: Junge Allgemeinmediziner:innen entwickeln sich nicht selbstverständlich, die Berufswahl Allgemeinmedizin ist nur dann attraktiv, wenn auch die strukturellen Gegebenheiten ausreichend Möglichkeit geben, sich auf das Fach richtig vorzubereiten und sich in diesem Fach zu entwickeln. Wenn diesem Nachwuchs – selbst nach ausreichendem Kontakt mit der hausärztlichen Primärversorgung im Studium – nicht das richtige Lernumfeld gegeben wird, dann verliert er sich in den Mauern der Krankenhäuser und mancherorts im privaten Sektor.
Egal welche Fachrichtung man ergreift – genaugenommen: egal welchen Beruf man ergreift –, Lernumfeld und Ausbildungsqualität sind Faktoren, die am Ende auch die Qualität der erbrachten Leistung vorhersagen lassen. Im Kreis der EURACT ist es Konsens, dass die Entwicklung einer qualitativ hochwertigen Ausbildung, welche die Vorrangstellung der Patientenbedürfnisse und die Leistungserbringung im Krankenhaus „unter einen Hut“ bringt, mit sehr großen Herausforderungen verknüpft sein kann, aber dennoch keine Unmöglichkeit ist. Einzigartig für die Ausbildung im Fach Allgemein- und Familienmedizin ist jedoch in vielen europäischen Nationen nach wie vor, dass dort Ausbildungen etabliert sind, in denen der Ausbildungsort deutlich mehr als 50 % das Krankenhaus ist – im Gegensatz zu anderen Spezialist:innen, die in ihrem zukünftigen Lernumfeld auch ausgebildet werden (Was wäre, wenn ein:e Chirurg:in 75 % ihrer/seiner Ausbildung nicht in den chirurgischen Fächern verbringt?). Alle jungen Ärzt:innen müssen sich im Laufe der Ausbildung mit der eigenen beruflichen Identitätsbildung auseinandersetzen – junge Allgemeinmediziner:innen tun dies jedoch in einem Umfeld, das kaum oder kein Verständnis für ihre berufliche Zukunft aufbringen kann. Natürlich tragen die Erfahrungen im Krankenhaus zur beruflichen Entwicklung bei, nur sollten diese Erfahrungen eben besser auf die berufliche Zukunft abgestimmt sein.
Die Anfang Mai in Österreich laufende Diskussion über die Änderung des wahlärztlichen Systems sowie alle davor zu diesem Thema geführten Diskussionen führen also ins Leere, wenn man nicht alle Ebenen des Systems und der hausärztlichen Tätigkeit und ihrer Kernkompetenzen (und somit deren Entwicklung und Ausbildung) im Zusammenhang sieht und nicht mehrere Stellschrauben gleichzeitig bedient – ein paar dieser Stellschrauben, wie bereits im Masterplan Allgemeinmedizin ausgeführt (siehe ÖGAM-Website), hätte man aber wahrscheinlich schon vor ein paar Jahren drehen können, um sich diese Diskussion heute einfach zu ersparen …