Wer übernimmt die Verantwortung für Menschen mit onkologischen Erkrankungen? Welche Rolle spielt dabei die Finanzierung?
Über diese Fragen referierten am 13. Dezember 2022 im Rahmen des gesundheitspolitischen Forums Univ.-Prof. Dr. Richard Crevenna, Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin, Medizinische Universität Wien, sowie Dr.in Eva Höltl, Leiterin des Gesundheitszentrums Erste Bank der österreichischen Sparkassen AG. Anschließend kamen in Kurzstatements bzw. in der Diskussion Dr. Lothar Fiedler, Bundesfachgruppenobmann Innere Medizin der Österreichischen Ärztekammer, Mag.a Sabine Spitz, Vertreterin des Vereins „Hoffnungsvoll – Frauen und Krebs“ und von der „Allianz onkologischer PatientInnenorganisationen“, sowie Susanne Hüttner, Adherence Nurse mit Schwerpunkt Onkologie, zu Wort.
Dr. Jan Oliver Huber, Leiter des Gesundheitspolitischen Forums, moderierte die Veranstaltung und begann mit einer Begriffsdefinition: „Laut der deutschen Krebshilfe ist onkologische Nachsorge ein wesentlicher Bestandteil der onkologischen Versorgung, der an die Therapie anschließt und neben den Nachsorgeuntersuchungen bei Fach- und Hausärzt:innen auch soziale Aspekte, also zum Beispiel Beratung in psychischen, sozialen, familiären oder beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen, umfasst.“
Helga Thurnher, Obfrau der Allianz onkologischer PatientInnenorganisationen (Mitveranstalterin der Veranstaltung) sowie Präsidentin der Selbsthilfe Darmkrebs, betonte in ihrer Begrüßungsansprache, dass die onkologische Nachsorge in Österreich verbesserungswürdig sei, denn die Suche nach entsprechenden Ansprechpartner:innen erschwere manchen Patient:innen das Leben, dabei sollte die Nachsorge das Leben der Betroffenen eigentlich erleichtern.
Univ.-Prof. Dr. Richard Crevenna betonte in seinem Vortrag die hohe Bedeutung einer interdisziplinären Rehabilitation, bei welcher der Patient/die Patientin im Mittelpunkt steht. „Häufige Folgen einer onkologischen Erkrankung sind Erschöpfung, Einschränkungen der Leistungsfähigkeit, Angst vor Stürzen und Verletzungen, sexuelle Dysfunktion, Inkontinenz, Lymphödeme, Beeinträchtigung der mentalen Gesundheit, Einschränkung von Lebensqualität sowie Einschränkung der sozialen Teilhabe und der Teilhabe am Arbeitsplatz“, so Crevenna. Daher habe die Rehabilitation, also die Wiederbefähigung, eine sehr hohe Bedeutung. „Man kann jede Patientin und jeden Patienten auch im onkologischen Bereich aktiv trainieren“, betonte Crevenna. Die wichtigen Säulen dabei sind laut Crevenna Information, Psychoonkologie, Diätologie und Ernährungstherapie, physikalische Medizin und Rehabilitation sowie Aktivität, Training und Sport. „Manche dieser Bereiche können ambulant oder auch als Telerehabilitation durchgeführt werden, manche müssen stationär stattfinden. Die Ziele sind ein längeres Überleben, eine bessere Lebensqualität und bessere Teilhabe sowie mehr Selbstvertrauen und Selbstbestimmung – und diese können auch erreicht werden, wenn einerseits die Betroffenen Eigenverantwortung übernehmen und andererseits auch die Gesellschaft Möglichkeiten zur Rehabilitation zur Verfügung stellt“, erklärte Crevenna.
Mag.a Sabine Spitz, Vertreterin des Vereins „Hoffnungsvoll – Frauen und Krebs“ sowie von der „Allianz onkologischer PatientInnenorganisationen“, fügte hinzu, dass die Rehabilitation die eine Sache sei die andere sei, wie es danach weitergehe, ob es beispielsweise erweiterte extramurale Angebote gebe. „Diese sehe ich derzeit noch sehr wenig, und daran wollen wir arbeiten. Es wäre sehr wichtig, dass diese Angebote als Kassenleistung zur Verfügung stehen, denn die meisten Betroffenen können sich Psychoonkologie, Physio- und Ergotherapie etc. nicht privat leisten.“
Die Arbeitsmedizinerin Dr.in Eva Höltl sprach über die beruflichen Perspektiven onkologisch erkrankter Menschen. Sie erklärte, wie wichtig es für viele Langzeiterkrankte sei, nach ihrem Krankenstand für eine gewisse Zeit die Möglichkeit auf Teilzeittätigkeit zu haben, wenn dies medizinisch sinnvoll sei. Dies sei zwar eine teure Maßnahme, aber es lohne sich. „Außerdem dürfen Sie nicht vergessen: Nur 4 % aller Krankenstände in Österreich sind Langzeiterkrankungen. Das heißt, wir reden hier von einer sehr überschaubaren Gruppe“, so Höltl, die eindringlich dafür plädiert, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, damit eine Krebs- oder andere Langzeiterkrankung nicht zu einer Armutsfalle werde. Zudem zitierte sie aus dem Positionspapier der Deutschen Krebshilfe, dass die Teilhabe am Arbeitsleben von existenzieller Bedeutung sei und Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit die Arbeit als entlastend erlebt werde.
Höltl kritisierte den fehlenden Rechtsanspruch auf eine Wiedereingliederungsteilzeit – die jetzige Rechtslage erfordert die Zustimmung von Arbeitgeber:in und Arbeit-nehmer:in. Zudem brauche es mehr Bewusstsein für die Möglichkeiten, vor allem im niedergelassenem Bereich: „Es wäre gut, wenn Hausärzte oder behandelnde Fachärzte etwa bei onkologischen Patienten an die Wiedereingliederungsteilzeit denken. Wenn betroffene Mitarbeiter eine schriftliche Empfehlung eines Hausarztes oder eines Facharztes für eine Wiedereingliederungsteilzeit vorlegen, wird es immer mehr Unternehmen geben, die dies auch ermöglichen“, betonte Höltl.Dr. Lothar Fiedler fügte aus Sicht der Österreichischen Ärztekammer hinzu, dass außer Frage stehe, dass die onkologische Therapie in Österreich sehr gut funktioniere. Aber beim großen Umfeld, z. B. bei der Beantwortung der vielen Fragen, die sukzessive bei den Betroffenen auftauchen, bereitzustellen, herrsche Nachholbedarf. „Dies kann mit Rehabilitation und Wiedereingliederung sehr gut gelingen, daher müssen diese Aspekte stärker in die Tumorboards aufgenommen werden und auch bei den niedergelassenen Ärzt:innen vermehrt ins Bewusstsein gebracht werden“, so Fiedler.
Susanne Hüttner, Adherence Nurse mit Schwerpunkt Onkologie, unterstrich die große Bedeutung der Selbsthilfegruppen bei der onkologischen Nachsorge. „Als Adherence Nurse bin ich die Schnittstelle zwischen Betroffenen und Angehörigen und auch ein Teil des multiprofessionellen Teams. Beim Thema Nachsorge bemerke ich, dass sich die Betroffenen immer ein wenig aus dem Rahmen gefallen fühlen“, so Hüttner. Ihrer Erfahrung nach fehlt es an Informationen über psychoonkologische und andere Unterstützungsmöglichkeiten, auch in Bezug auf berufliche Wiedereingliederung. „Mein Wunsch in diesem Zusammenhang wären einheitliche Richtlinien, damit alle Betroffenen dieselben Hilfestellungen, inklusive Kontaktadressen, wo sie Unterstützung erhalten, zur Verfügung gestellt bekommen“, betonte Hüttner.