Das Gesprächsklima zwischen Ärztekammer und Österreichischer Gesundheitskasse wird zunehmend angespannter. Zuletzt erntete ÖGK-Obmann Mag. Peter McDonald via Facebook einen Shitstorm, als er mehr Digitalisierung ankündigte, und lieferte sich mit der Vizepräsidentin der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien, Dr.in Naghme Kamaleyan-Schmied, einen öffentlichen Schlagabtausch, der darin gipfelte, dass er sie als streitlustig bezeichnete und sie ihm Gesprächsverweigerung attestierte. Tatsache ist, so ist zu hören, dass sich ÖGK und Ärztekammer im Hinblick auf mehr Geld für die Kasse aber auch gegenüber der neuen Regierung eher zusammenfinden werden. Kürzungen will keine der beiden Seiten in ihrem jeweiligen Bereich.
Die neue Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) betonte jedenfalls, dass man „um die budgetäre Lage“ wisse und Handlungsbedarf bestehe. „Es ist wesentlich, jetzt auch aufgrund des finanziellen Drucks zu Strukturmaßnahmen zu kommen“, erklärte sie: „Wir haben an sich ein sehr gutes Gesundheitssystem. Wir brauchen nur Maßnahmen, um es für die Menschen wieder so aufzustellen, dass sie das Vertrauen haben, ich kriege eine Gesundheitsleistung, die gut ist, egal wie viel Geld ich in meinem Geldbörserl habe. Damit wir das sicherstellen können, müssen wir ganzheitlich denken, nicht nur an einigen Schrauben drehen.“ Natürlich immer unter den Vorzeichen der budgetären Problematik.
Im Rahmen der Regierungserklärung im Bundesrat hat Schumann betont: „Wir machen einen Neustart und tun jetzt gemeinsam das Richtige für Österreich. Ich werde mein Amt mit ganzem Herzen und voller Kraft ausüben.“ Dazu gehöre es, das Vertrauen in Demokratie und Politik und das Vertrauen in das Sozial- und Gesundheitssystem zu stärken: durch ein starkes Gesundheitssystem, in dem alle die Behandlung bekommen, die sie brauchen, durch sichere staatliche Pensionen und durch den Kampf für gute Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen. Gelingen soll das durch die angekündigte Verkürzung der Wartezeiten bei Ärzt:innen sowie den Ausbau der Primärversorgungszentren – „wir sagen Gesundheitszentren“ – und der Erstversorgungsambulanzen. Dieser sei im Gesundheitskapitel des Regierungsprogramms festgeschrieben. „Wir wissen um die budgetäre Lage“, so Schumann zur Frage nach der Finanzierung. Man werde „Schwerpunkte“ setzen, sagte sie, neben dem niedergelassenen Bereich auch in puncto Frauen-, Kinder- und psychische Gesundheit.
Schumann will die Arbeitsbedingungen für Beschäftigte im Gesundheitssystem verbessern und mehr Respekt und Wertschätzung für sie. Die Ministerin will das gemeinsam mit Gesundheitsstaatssekretärin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) anpacken. „Es wird ganz wichtig sein, die Wahlärzt:innen bei der gesundheitlichen Versorgung mitzudenken. Da müssen wir in die Verhandlungen mit der Ärztekammer gehen, wie wir die Wahlärzt:innen in das Versorgungssystem gut einbinden können“, erklärte sie in ersten Interviews. Die Sozialversicherungsreform mit der Kassenzusammenlegung soll evaluiert werden. „Wir wissen, dass die Marketingerzählung der Patientenmilliarde ein Marketingschmäh war. Jetzt ist es nur recht und billig, sich genau anzuschauen, wie die Sozialversicherungsreform zustande gekommen ist und wo man über Besserungen nachdenken muss. Wir werden damit rasch beginnen“, sagte Schumann. Sie wolle die Ergebnisse aber nicht vorwegnehmen. „Wir evaluieren, dann sehen wir, wo Handlungsbedarf ist.“
„Wir brauchen definitiv Verbesserungen und Aufwertung – aber mit leeren Taschen große Versprechungen zu machen empfinde ich als sehr mutig. Die Herausforderung wird sein, das System bei einem Defizit von 900 Millionen aufrechtzuhalten“, kommentiert Kamaleyan-Schmied die Ankündigungen. Die Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien fordert von der neuen Bundesregierung in jedem Fall die Sicherung des solidarischen Gesundheitssystems. Alle Menschen müssten unabhängig von ihrer finanziellen Situation Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung haben. Die ärztliche Entscheidung müsse frei von wirtschaftlichem Druck bleiben. Patient:innen dürften nicht nach Profitkriterien behandelt werden, betont Kammerpräsident MR Dr. Johannes Steinhart. Die neue Bundesregierung müsse zudem langfristig sicherstellen, dass die Sozialversicherung nur Verträge mit Ambulatorien abschließen kann, wenn zuvor alle Anstrengungen unternommen wurden, die Versorgung durch niedergelassene Ärzt:innen sicherzustellen. Private Investitionen in die Gesundheitsversorgung müssten begrenzt werden. Auslagerungen und Privatisierungen, um Kosten zu sparen, seien nicht zielführend, erklärt Steinhart.
Seit der Reform des letzten Gesundheitsministers stünden die Türen für private Konzerne weit offen: „Wir müssen sofort gegensteuern! Die Politik muss die Notbremse ziehen, bevor wir sehenden Auges den gleichen Negativkurs in Richtung einer investorengesteuerten Medizin einschlagen, den Deutschland aktuell verzweifelt zu verlassen versucht“, so der Präsident der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien. „Heuschrecken haben in der Gesundheitsversorgung nichts verloren. Betriebswirt:innen und Controller:innen dürfen nicht uns Ärzt:innen vorschreiben, wie wir unsere Patient:innen zu behandeln haben.“