Dass die Ausbreitung der durch Zeckenstiche übertragenen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) in Österreich ernst zu nehmen ist, zeigen nicht nur die Fallzahlen der vergangenen Jahre, sondern auch die Entscheidung des Center of Disease Control in den USA: So wie bei uns empfohlen wird, sich für eine Reise nach Mexiko gegen Tollwut impfen zu lassen, wird in den USA empfohlen, sich vor einer Reise nach Österreich gegen FSME impfen zu lassen. „Das Problem ist sehr wohl weltweit bekannt“, mahnt Priv. Doz.in Dr.in Bettina Pfausler von der Universitätsklinik für Neurologie, Neurologische Intensivmedizin und Neuroinfektiologie der Medizinischer Universität Innsbruck.
Auch in Österreich nimmt man das Thema sehr ernst, die Durchimpfungsrate hierzulande zählt zu den höchsten Europas. Trotz hohen Zuspruchs sind die Fallzahlen von FSME-Erkrankten, die im Spital behandelt werden mussten, in den vergangenen Jahren wieder gestiegen. Waren es 2020 noch 216 gemeldete FSME-Fälle, stieg die Zahl 2021 auf 228 und 2022 auf 292. Expert:innen sehen das Problem darin, dass Patient:innen die empfohlenen Auffrischungsintervalle nicht immer einhalten. „Wichtig ist, dass man sich grundimmunisieren lässt und rechtzeitig zur Auffrischung geht“, mahnt Neurologin Pfausler. Priv.-Doz.in Mag.a Dr.in Maria Paulke-Korinek, PhD, DTM, von der Abteilung für Impfwesen des Gesundheitsministeriums rät in diesem Zusammenhang von einer Titerbestimmung vor einer möglichen Auffrischung ab. Es handle sich dabei nur um eine Momentaufnahme, außerdem könne es zu Kreuzreaktionen mit anderen Infektionen kommen. Eine Titerbestimmung ergebe am ehesten Sinn, wenn Patient:innen nicht wissen, ob sie als Kind eine Grundimmunisierung erhalten haben. Diese ist ab dem ersten Lebensjahr zugelassen. Empfohlen ist, drei Jahre nach der Grundimmunisierung aufzufrischen, dann alle fünf Jahre. Ab 60 Jahren sollte man sich die Auffrischungsimpfung alle drei Jahre holen. Die FSME-Impfung bietet laut Pfausler einen 83- bis 99%igen Schutz, darüber und über die Auffrischungsintervalle sollte ihrer Meinung nach besser aufgeklärt werden.
„Da das Risiko, speziell an FSME oder Borreliose zu erkranken, nicht geringer wird, sind Aufklärung und Prävention essenziell. FSME ist kein harmloser Schnupfen, dessen sollte man sich bewusst sein“, betont auch Umweltmediziner OA Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. med. Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien. Auch wenn die meisten Hospitalisierungen in Oberösterreich (50) waren, haben sich Zecken aufgrund von milderen Temperaturen mittlerweile in ganz Österreich verbreitet, sogar auf über 2.000 Metern Höhe wurden sie schon gefunden. „Hat man früher angenommen, dass man beispielsweise beim Wandern ab einer gewissen Seehöhe nicht mehr mit infizierten Zecken rechnen muss, haben sich diese Grenzen heute deutlich verschoben“, erläutert Hutter. Und auch international breitet sich das FSME-Gebiet kontinuierlich aus: „Derzeit kann man noch nicht sagen, ob durch den Klimawandel die FSME- und Lyme-Borreliose-Fälle in Österreich steigen werden. Sicher ist hingegen, dass die milderen Temperaturen im Winter für die Zecken günstig sind und diese sogar in der kalten Jahreszeit aktiv sein können“, erklärt Hutter. Ob mit der Ausbreitung der Zecken auch eine höhere Erregerdichte gegeben ist, kann noch nicht beantwortet werden, allerdings ist bereits zu sehen, dass andere Zeckenarten, wie die Hyalomma-Zecke oder auch Riesenzecke, durch die Erderwärmung zu uns finden und somit das Risiko der Ausbreitung anderer – bisher nichtheimischer – Infektionskrankheiten steigt. „Die wichtigsten durch Zecken übertragenen Erkrankungen bleiben aber auch in den nächsten Jahren FSME und Borreliose“, beschwichtigt der Umweltmediziner.
Sollte es zu einem Zeckenstich kommen, sollte man laut Pfausler auf folgende Symptome einer möglichen Infektion mit der Frühsommer-Meningoenzephalitis achten: Etwa sieben Tage bis zwei Wochen nach dem Zeckenstich kommt es zu grippeähnlichen Symptomen (Schnupfen, Halskratzen, Gliederschmerzen, dezentes Fieber). Die Dauer der Symptome ist „breitgefächert“ und kann von einem Tag bis zu einer Woche lang sein. Ist das überwunden, hat die Hälfte der Betroffenen die Infektion endgültig überstanden, das Immunsystem hat seinen Job getan. Wenn nicht, kommt es nach einem häufig auftretenden kurzen beschwerdefreien Intervall zu einer zweiten Phase der Erkrankung, in der das Virus die Schutzbarrieren des Gehirns überwindet und es zu verschiedenen neurologischen Manifestationen der FSME-Erkrankung kommt.
Diese reichen von Kopfschmerzen über Sehstörungen bis hin zu Lähmungen und epileptischen Anfällen. Schwere Lähmungen können die Atemmuskulatur betreffen und eine Beatmung erforderlich machen. „5 bis 15 % jener, die das zweite Krankheitsstadium erreichen, haben sogar einen extrem schweren Verlauf, bei dem die Entzündung auch das Rückenmark und den Hirnstamm betrifft. Die Symptome erinnern hier an die Kinderlähmung, weswegen man hier auch von einer ‚Polio-like‘-Erkrankung spricht“, erläutert die Neurologin und ergänzt: „Die Sterblichkeit bei dieser Verlaufsform liegt bei 30 %, eine vollständige Erholung ist meist nicht mehr möglich.“ Bei 89 Personen, bei denen im Vorjahr eine FSME-Erkrankung registriert wurde, wurden solche schweren neurologischen Erkrankungsformen (Gehirn- und Rückenmarksentzündungen) festgestellt. Das ist mehr als die Hälfte jener Personen, von denen der Verlauf bekannt ist (166).
Gegen FSME gibt es bisher noch keine spezifische Therapie und keine Medikamente. Umso wichtiger sei laut Expert:innen deshalb die Impfung. Diese hilft laut Paulke-Korinek sogar noch nach einem bemerkten Zeckenstich, man sollte nach dem Stich allerdings vier Wochen warten und sich dann erst impfen lassen.