„Zielsteuerung-Gesundheit“: Was verbirgt sich dahinter?

Neue Serie im Heft:

In der neuen Serie „Gesundheitsreform – Wir bleiben am Ball!“ behandelt FH-Prof. Mag. Dr. Gerhard Pöttler, MBA, Autor des Standardwerks „Gesundheitswesen in Österreich“, verschiedene Aspekte der Gesundheitsreform und sich daraus ergebende Auswirkungen auf den niedergelassenen Bereich.

 

Ich möchte Ihnen im Rahmen der heutigen Ausgabe die Gesundheitsreform, vor allem in Bezug auf die neu vereinbarten Steuerungsbereiche und damit in einem weiteren Schritt auf die geplanten Ziele und Projekte, in ihren Grundzügen näherbringen. In den folgenden Ausgaben sollen dann einzelne Projekte bzw. Strategien, die durchaus Auswirkungen auf den niedergelassenen Bereich nach sich ziehen, beleuchtet werden.

Geltungsbereich der Zielsteuerungsvereinbarungen

Die Vertragsparteien Bund und Länder einerseits sowie die Sozialversicherung andererseits kamen Ende 2012 als gleichberechtigte Partner überein, ein partnerschaftliches Zielsteuerungssystem zur Steuerung von Struktur, Organisation und Finanzierung der österreichischen Gesundheitsversorgung einzurichten. Der Geltungsbereich der geplanten „Zielsteuerung-Gesundheit“ umfasst in struktureller und organisatorischer Hinsicht alle intra- und extramuralen Bereiche des österreichischen Gesundheitswesens sowie etwaige betroffene Nahtstellen (z.B. zum Pflege- und Rehabilitationsbereich).

Wesentliche Begriffsbestimmungen der neuen Art-15a-Vereinbarung sind u.a.:

1. „Ambulanter Bereich“: Die ambulante Gesundheitsversorgung in Spitalsambulanzen, selbstständigen Ambulatorien und im niedergelassenen Bereich (insbesondere ärztliche Hilfe und gleichgestellte Leistungen im Sinne des SV-Rechts).

2. „Best point of Service“: Die kurative Versorgung ist jeweils zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit optimaler medizinischer und pflegerischer Qualität gesamtwirtschaftlich möglichst kostengünstig zu erbringen.

3. „Integrierte Versorgung“: Integrierte Versorgung ist die patientenorientierte gemeinsame und abgestimmte sektorenübergreifende Gesundheitsversorgung samt angrenzender Bereiche (akutstationäre Versorgung, ambulante Versorgung, Rehabilitation, Nahtstellen zum Pflegebereich). Sie umfasst Prozess- und Organisationsintegration.

4. „Interdisziplinäre Versorgungsmodelle“: Zusammenarbeit von Ärztinnen/Ärzten unterschiedlicher Fachbereiche (Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Gynäkologie, Labor, Radiologie etc.) sowie von nichtärztlichen Gesundheitsdiensteanbietern (diplomiertes Pflegepersonal, Physiotherapeutinnen/Physiotherapeuten etc.) in Gruppenpraxen oder selbstständigen Ambulatorien sowie ggf. in weiterzuentwickelnden Organisationsformen.

5. „Primärversorgung (Primary Health Care)“: Die allgemeine und direkt zugängliche erste Kontaktstelle für alle Menschen mit gesundheitlichen Problemen im Sinne einer umfassenden Grundversorgung. Sie soll den Versorgungsprozess koordinieren und gewährleistet ganzheitliche und kontinuierliche Betreuung. Sie berücksichtigt auch gesellschaftliche Bedingungen.

 

 

Die Steuerungsbereiche

Die vier wesentlichen Steuerungsbereiche, die von Bund, Ländern und Sozialversicherung festgelegt wurden, sind:

  1. Ergebnisorientierung,
  2. Versorgungsstrukturen,
  3. Versorgungsprozesse und
  4. Finanzziele

Im Steuerungsbereich Ergebnisorientierung geht es um:

  1. bundesweite Rahmenvorgaben für ergebnisorientierte Versorgungsziele und wirkungsorientierte Gesundheitsziele, abgeleitet aus den Rahmen-Gesundheitszielen
  2. Dokumentationserfordernisse (Datengrundlage: sektorenübergreifende einheitliche Diagnosen- und Leistungsdokumentation; Pseudonymisierung) für ein bundesweites Monitoring der Gesundheits- und Versorgungsziele
  3. bundesweit einheitliche Messgrößen und Zielwerte für die Maßnahmen, die in den Steuerungsbereichen Versorgungsstrukturen und -prozesse festgelegt werden; diese sollen auch für internationale Vergleiche und Leistungsmessungen verwendbar sein
  4. einheitliche Vorgaben zu Kosten-Nutzen-Bewertungen und Evidenzbasierung von Diagnose- und Behandlungsmethoden (inkl. Gesundheitsförderung, Screening- und Impfprogrammen)
  5. Koppelung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention an wirkungsorientierte Gesundheitsziele inkl. verpflichtender Evaluation

In den Landes-Zielsteuerungsverträgen müssen regionale Gesundheits- und Versorgungsziele festgelegt werden, sodass die bundesweiten Vorgaben für die ergebnisorientierten Versorgungsziele und wirkungsorientierten Gesundheitsziele erreicht werden können.

Im Steuerungsbereich Versorgungsstrukturen stehen folgende Festlegungen im Fokus:

  1. bedarfsorientierte Versorgungs- und Leistungsdichte im akutstationären und ambulanten (intra- und extramuralen) Bereich (Weiterentwicklung der Versorgungsdichte in Richtung Leistungsdichte für alle Bereiche)
  2. Anteil der tagesklinischen Leistungserbringung bzw. der ambulanten Leistungserbringung für festgelegte ausgewählte Leistungen
  3. Entlastung des vollstationären Bereichs in den Akut-Krankenanstalten durch medizinisch und gesamtwirtschaftlich begründete Verlagerung von Leistungen in den tagesklinischen bzw. in den ambulanten Bereich (Spitalsambulanzen, selbstständige Ambulatorien sowie niedergelassener Bereich)
  4. Anteil der ambulanten Versorgungsstruktur mit Öffnungszeiten zu Tagesrand- und Wochenendzeiten und Anteil interdisziplinärer Versorgungsmodelle an der ambulanten Versorgungsstruktur
  5. Stärkung der Primärversorgung („Primary Health Care“) auch im niedergelassenen Bereich
  6. Rahmenvorgaben für etwaige betroffene Nahtstellen
  7. Rahmenvorgaben für die Rollenverteilung, Aufgabengebiete und Versorgungsaufträge ambulanter Versorgungsstufen
  8. grenzüberschreitende Kooperationen

Im Rahmen der periodenbezogenen Landes-Zielsteuerungsverträge sind die dargelegten Vorgaben ausgehend vom regionalen Bedarf zu konkretisieren und Zielwerte für die jeweilige Betrachtungsperiode einvernehmlich festzulegen.

Im Steuerungsbereich Versorgungsprozesse müssen die Bundes-Zielsteuerungsverträge insbesondere folgende Festlegungen als Zielvereinbarungen zur Optimierung der Behandlungsprozesse enthalten:

  1. Festlegung der Umsetzung von eHealth-Konzepten (elektronische Gesundheitsakte, sektorenübergreifende einheitliche Diagnose- und Leistungsdokumentation, eMedikation etc.)
  2. Reduktion von vermeidbaren Doppel- und Mehrfachbefundungen, insbesondere bei elektiven Eingriffen durch die Umsetzung der Bundesqualitätsleitlinie präoperative Diagnostik
  3. Flächendeckende Festlegung und Umsetzung von Qualitätsstandards (z.B. Bundesqualitätsleitlinie Aufnahme- und Entlassungsmanagement)
  4. Angebot an Disease-Management-Programmen und Konzepten zur integrierten Versorgung
  5. Maßnahmen zum effektiven und effizienten Einsatz von Medikamenten

In den Landes-Zielsteuerungsverträgen müssen Maßnahmen zur Optimierung der Behandlungsprozesse durch verbesserte Organisations- und Kommunikationsabläufe zwischen allen Leistungserbringern vorgesehen werden. Als solche Maßnahmen kommen insbesondere in Betracht:

  1. Implementierung von eHealth-Konzepten (elektronische Gesundheitsakte, sektorenübergreifende einheitliche Diagnose- und Leistungsdokumentation, eMedikation etc.)
  2. Implementierung von (sektorenübergreifenden) Leitlinien und Standards (z.B. Aufnahme- und Entlassungsmanagement, präoperative Diagnostik) für Behandlung und Versorgung insbesondere für chronische und häufige Erkrankungen
  3. Patientensteuerung zum „best point of service“
  4. Implementierung evidenzbasierter und qualitätsgesicherter Disease-Management-Programme sowie integrierter Versorgungskonzepte

Zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention sind in allen Landesgesundheitsfonds jeweils Sondervermögen mit eigenem Verrechnungskreis als so genannte „Gesundheitsförderungsfonds“ ohne Rechtspersönlichkeit einzurichten. Österreichweit erfolgt die Dotierung dieser Gesundheitsförderungsfonds für zehn Jahre (2013–2022) mit insgesamt 150 Millionen Euro.

Die Vertragsparteien kommen dazu noch überein, die zuvor konkretisierten drei Steuerungsbereiche mit einer Finanzzielsteuerung als integralem Bestandteil der „Zielsteuerung-Gesundheit“ zu ergänzen. Die Finanzzielsteuerung ist in Finanzrahmenverträgen auf Bundes- und Landesebene zu konkretisieren. Grundlage ist ein sektorenübergreifend zu vereinbarender Ausgabendämpfungspfad, der eine Prognose der Gesundheitsausgaben ohne Intervention, die vereinbarten nominellen Ausgabenobergrenzen für öffentliche Gesundheitsausgaben (ohne Langzeitpflege) und die sich daraus ergebenden Dämpfungseffekte beim Ausgabenzuwachs (Ausgabendämpfungseffekte) umfasst.
Auf der Bundesebene werden für die Festlegung des Ausgabendämpfungspfades folgende Kriterien zugrunde gelegt:

  1. Der Anstieg der öffentlichen Gesundheitsausgaben ist in der ersten Periode der „Zielsteuerung-Gesundheit“ von 2012–2016 stufenweise soweit zu dämpfen, dass der jährliche Ausgabenzuwachs im Jahr 2016 einen Wert von 3,6% (durchschnittliche Entwicklung des nominellen Bruttoinlandprodukts gemäß Mittelfristprognose für das Bundesfinanzrahmengesetz) nicht überschreitet.
  2. Im Jahr 2016 ist ein Ausgabendämpfungseffekt von 1,3 Milliarden Euro zu erzielen, daraus ergibt sich eine Ausgabenobergrenze für die öffentlichen Gesundheitsausgaben im Jahre 2016 von insgesamt 25,563 Milliarden Euro.
  3. Für die erste Periode der „Zielsteuerung-Gesundheit„ von 2012–2016 sind kumulierte Ausgabendämpfungseffekte von insgesamt 3,43 Milliarden Euro zu erzielen.

In jedem dieser vier genannten und gerade erklärten Steuerungsbereiche wurden eine Vielzahl an Projekten und Zielen festgelegt, die nunmehr step by step von den Vertragsparteien umgesetzt werden sollen. Dabei soll ein Monitoring und Berichtswesen unterstützen. Dieses Monitoring erfolgt zweimal jährlich. Zu den Stichtagen 15. März und 15. September sind Sozialversicherung, Bund und Länder verpflichtet, die notwendigen Informationen bezüglich ihrer gesetzten Schritte und den Stand der Umsetzung bei den jeweiligen Projekten und Zielen an die Gesundheit Österreich GmbH zu übermitteln. Die im Zuge der Plausibilisierung bestätigten Meldungen stellen dann die Daten- und Informationsgrundlage für die Monitoringberichte dar, die mit 15. April und 15. Oktober jeden Jahres der Bundes-Zielsteuerungskommission und den neun Landes-Zielsteuerungskommissionen vorzulegen sind.

In den nächsten Ausgaben werden sukzessive die vier Steuerungsbereiche und damit einhergehend konkrete Projekte und Ziele mit Auswirkungen auf den extramuralen Bereich beleuchtet.