Die Bioethikkommission ist ein ehrenamtlich tätiges Beratungsgremium für den Bundeskanzler. Sie wurde 2001 gegründet und ist interdisziplinär zusammengesetzt. Ihr Mandat ist es, Fragen, die sich aus der Weiterentwicklung der medizinischen Wissenschaften ergeben und die gesellschaftliche Auswirkungen haben, zu diskutieren und Empfehlungen an den Bundeskanzler abzugeben. In den letzten Jahrzehnten haben sich praktisch in allen Ländern der Welt derartige Politikberatungsgremien etabliert, die sich interdisziplinär zusammensetzen und entweder das Parlament oder die Regierung in Fragen der Lebenswissenschaften beraten. Sie sind international vernetzt und treffen sich regelmäßig zum Gedankenaustausch – beispielsweise auf EU-Ebene veranlasst durch die EU-Kommission oder auf globaler Ebene von der WHO organisiert. Die österreichische Bioethikkommission hat ein jährlich stattfindendes Treffen mit den anderen deutschsprachigen Kommissionen wie dem deutschen Ethikrat und der schweizerischen Kommission ins Leben gerufen.
Das Lebensende wie auch der Beginn des Lebens sind wichtige Fragen in der internationalen bioethischen Debatte. Die einzelnen Themen, die sich um den Beginn oder das Ende des Lebens ranken, finden zumeist keinen Konsens und werden in der Gesellschaft kontrovers diskutiert. Hier geht es vor allem um die „Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens“, die weltanschaulich oder religiös verschieden beurteilt wird.
Bereits 2011 hat die österreichische Bioethikkommission eine Stellungnahme zur „Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende“ verabschiedet. Hier geht es um den der deutschen Sprache eigentümlichen Begriff „Sterbehilfe“. Sprache reflektiert unser Denken, unsere Emotionen und gestaltet unsere Handlungen. Deutsch ist die einzige Sprache, in der das Wort „Sterbehilfe“ verwendet wird – und dies in einer Bedeutung in einem breiten Bogen von der absolut erlaubten Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes in Form eines Verzichtes auf eine Behandlung, selbst wenn dieser Verzicht zum Tode führen sollte, über Sterbebegleitung im Hospiz, assistierten Suizid bis hin zum „vorsätzlichen Mord“. Dazwischen gibt es alle Schattierungen. Dass dies mehr zur allgemeinen Verwirrung beiträgt als zum Verstehen, ist eindeutig. Der Terminus „Sterbehilfe“ ist aus dem Vermeiden eines anderen Begriffes entstanden: nämlich jenem der Euthanasie, der für Deutschland und für Österreich untrennbar mit der menschenverachtenden Herrschaft der Nationalsozialisten und ihrer Tötungsmaschinerie an „unwertem Leben“ verbunden ist. Die Bioethikkommission hat in ihrer Stellungnahme aus 2011 dazu aufgerufen, für medizinische Handlungen eine andere Begrifflichkeit zu verwenden, die professionell und empathisch der Verständigung zwischen Ärzt:innen, Patient:innen und Angehörigen dienen und Verunsicherungen vermeiden soll.
Die Bioethikkommission hat sich auch mit dem assistierten Suizid in einer weiteren grundsätzlichen Stellungnahme zum Lebensende aus dem Jahr 2015 „Sterben in Würde“ befasst. Der assistierte Suizid war im österreichischen Strafgesetzbuch im § 78 unter dem Titel „Mitwirkung am Selbstmord“ mit einer Strafe von bis zu fünf Jahren bedroht, bis diese Regelung vom Verfassungsgerichtshof teilweise aufgehoben wurde. Der Paragraf stammte ursprünglich aus dem Jahr 1934, der Zeit des Austrofaschismus, und wurde damals gleichzeitig mit der staatlichen Todesstrafe eingeführt. Schon 2015 kam hier die Bioethikkommission mehrheitlich zu einer entscheidenden Meinung, nämlich, dass die Weite der österreichischen Regelung zur „Mitwirkung am Selbstmord“ im § 78 des Strafgesetzbuches, die als gleichwertige Begehungsformen das Verleiten zum Suizid sowie die Hilfeleistung beim Suizid durch Tun und Unterlassen für strafbar erklärt, überdacht werden sollte. Durch eine differenzierte Sicht soll vermieden werden, dass Angehörige oder nahestehende Personen wie auch Ärzt:innen kriminalisiert werden, die aus Loyalität oder Mitleid gegenüber der suizidwilligen Person – trotz aller Gewissenskonflikte – eine Unterstützung (Beihilfe) leisten.
Unter Suizidbeihilfe werden eben verschiedene Arten der Mitwirkung, wie beispielsweise die Beschaffung und Vorbereitung einer tödlichen Substanz oder auch die Unterstützung eines Suizidwilligen bei dessen Reise in ein Land wie etwa die Schweiz, in dem die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei ist, verstanden. Ebenso betrifft die „Beihilfe“ eine weitere Situation, nämlich das offene Gespräch zwischen Arzt:Ärztin und Patient:Patientin, in dem der Patient:die Patientin von seinem:ihrem Wunsch, sein:ihr Leben zu beenden, spricht. Hier müsste der Arzt:die Ärztin auch den schwer kranken Patient:die schwer kranke Patientin, der:die im vollen Bewusstsein der Tragweite eine freie Entscheidung zu einem Suizid getroffen hat, in eine Anstalt einweisen, um sich gegebenenfalls nicht der Beihilfe schuldig zu machen.
Mit großer Mehrheit (16 von 25 Mitglieder) empfiehlt die Kommission daher eine Reform des § 78 des Strafgesetzbuches, die sowohl dem Prinzip der Aufrechterhaltung der sozialen Norm der Suizidprävention als auch dem Schutz vor Fremdbestimmung vulnerabler Personen Rechnung trägt, jedoch ebenso eine individuelle Hilfe in Ausnahmefällen zulässt. Das Prinzip der Suizidprävention muss auch für schwer kranke Menschen betont werden.*
Acht Mitglieder der Kommission haben eine abweichende Stellungnahme zum assistierten Suizid unterstützt und sehen keine Notwendigkeit für eine Änderung des Strafgesetzbuches, wiewohl sie empfehlen, „die Entwicklung von verbindlichen Richtlinien für die Strafverfolgungsbehörden in Fällen des Verdachts auf Suizidbeihilfe zu prüfen“.
Die Stellungnahme aus dem Jahr 2015 wurde vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Erst der Verfassungsgerichtshof hat am 11. Dezember 2020 auf Antrag mehrerer Betroffener, darunter zwei Schwerkranke, jene Bestimmung aufgehoben, welche die Hilfeleistung zum Selbstmord unter Strafe stellt. Der Verfassungsgerichtshof verweist auf die Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ und ihre Verfassungswidrigkeit in § 78 des Strafgesetzbuches. Sie verstößt gegen das Recht auf Selbstbestimmung, weil dieser Tatbestand jede Art der Hilfeleistung unter allen Umständen verbietet. Die Aufhebung dieses Gesetzesbestandteils trat mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft. Davor kam es noch – das Gesetzfindungsverfahren unterstützend und vorbereitend – zu einem Dialogforum im Bundesministerium für Justiz sowie zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem ein Sterbeverfügungsgesetz erlassen und das damit inhaltlich verbundene Suchtmittelgesetz sowie das Strafgesetzbuch geändert wurden (www.bmj.gv.at). Unglücklicherweise gab es nur eine sehr kurze Begutachtungsfrist, was bei einem so zentralen Thema überaus kontraproduktiv war, weil dadurch kaum Stellungnahmen möglich waren und letztlich der notwendige Diskussionsprozess darüber, wie in einer pluralistischen Gesellschaft mit dem Thema „selbstbestimmtes Sterben“ umgegangen wird, verunmöglicht wurde.
Auch der Begriff „Sterbeverfügung“ wurde von der Bioethikkommission in ihrer Begutachtung vom 10. November 2021 (www.bundeskanzleramt.gv.at) als irreführend bezeichnet, weil er falsche und bedenkliche Assoziationen – vor allem mit dem Begriff „Patientenverfügung“ – weckt. Eine Patientenverfügung wird für den Fall, dass der:die Betroffene nicht mehr entscheidungsfähig ist, erstellt, während im Falle eines assistierten Suizids ja gerade die Entscheidungsfähigkeit zentral ist. Überdies wurden hier etliche rechtliche Fallstricke gesehen, die große Rechtsunsicherheit in diesem sensiblen Bereich hervorrufen. Die Bioethikkommission regte auch an, den Krankheitsbegriff direkt im Gesetz zu definieren, da ja gerade die Art und Weise der Krankheit eine der wesentlichen Voraussetzungen ist. Eine umfassende Diskussion hätte folgende Punkte beinhalten und beantworten müssen:
All diese Aspekte hätten breit in der Gesellschaft diskutiert werden müssen. Der wesentliche Aspekt ist die Bindung der Ausübung des Rechts auf assistierten Suizid an das Kriterium der freien Entscheidung und die Frage, wie man den freien Willen des Menschen erkennen und ihn von Fremdbestimmung abgrenzen kann. In Österreich durfte auch schon bisher niemand gegen seinen Willen medizinisch behandelt werden, darüber hinaus hat jede:r auch das Recht, unter bestimmten formalen Voraussetzungen eine Patientenverfügung abzuschließen, die medizinische Behandlungen für den Fall, dass der:die Betroffene nicht mehr entscheidungsfähig ist, nicht autorisiert. Eine Vorsorgevollmacht kann überdies eine Vertrauensperson in einem derartigen Fall bevollmächtigen, Entscheidungen für die bevollmächtigende Person zu treffen. Ebenso ist seit Kurzem auch im Ärztegesetz das Risiko einer Lebensverkürzung durch adäquate Schmerzlinderung im Rahmen der Palliativmedizin akzeptiert. Das alles bedeutet, dass der Gesetzgeber die Autonomie der Menschen auch in der Situation dauerhaft schwerer Krankheit und nahenden Todes klar erkennt und insofern ein umsetzbares Gesetz im Sinne des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes beschließen hätte können.
Dennoch bleiben bei dem neuen Gesetz viele Fragen einer Umsetzbarkeit offen. Einer der wesentlichen Aspekte ist die Beratung des:der Sterbewilligen, die nur dann eine echte Beratung ist, wenn sie durch Ärzt:innen, die fachlich kompetent sind und den:die Betroffenen auch eine kundige Prognose über Art und Weise des Fortschreitens der jeweiligen Erkrankung geben können, erfolgt. Dies ist in dem Gesetz nicht gewährleistet.