Im Jahr 2019 lebten circa 375.000 Personen mit einer Krebsdiagnose in Österreich (Statistik Austria, 2022)1. Um diese 4 % der Gesamtbevölkerung in ihrem Krankheitstrajekt adäquat und professionell hinsichtlich ihrer speziellen Bedarfe und (Informations-)Bedürfnisse unterstützen zu können, muss es zum Umdenken der aktuellen Versorgungssituation und zum Einsatz von sogenannten Cancer Nurseskommen. Auch ein renommiertes Gremium an Krebsexpert:innen der AHOP und der OeGHO präsentierte im Juni 2023 ein Positionspapier zum Thema „Cancer Nurse – Drehscheibe der Krebsversorgung“ und forderte gleichzeitig, dass die Rollenentwicklung und Etablierung der Cancer Nurses in Österreich vorangetrieben, aber auch vereinheitlicht wird2.
Die Gesundheits- und Krankenpflege als theoriegeleitete Praxisdisziplin agiert am Uniklinikum Salzburg auf Basis evidenzbasierter Erkenntnisse und Standards. Sie begegnet den sich verändernden Bedürfnissen der Patient:innen und den steigenden Anforderungen an die Qualitätssicherung in der Pflegepraxis durch den Einsatz von Personal mit unterschiedlichen Kompetenzen und Qualifikationen.
Die Rollenentwicklungs- und Implementierungsstrategie von Advanced Practice Nurses (APN) der Pflegedirektion am Uniklinikum Salzburg basiert auf einer gezielten Personalentwicklung durch das Pflegemanagement und startete 2018 damit, APN entsprechend ihrer Qualifikation und Pflegeexpertise in strategisch ausgewählten Fachbereichen mit definierten Patientenpopulationen bzw. spezifischen, versorgungsrelevanten, epidemiologischen Diagnosen zu verorten. So wurde die APN-Rolle „Cancer Care“ im Jahr 2020 in der Uniklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe etabliert.
Unbestrittene Ziele des Einsatzes von APN sind dabei die Verbesserung der Versorgungsqualität von Patient:innen und ihren Familien sowie die Schließung bestehender Versorgungslücken durch gezielte, evidenzbasierte Interventionen. Die APN-Rolle baut auf der beruflichen Qualifikation einer diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegeperson auf. Sie verfügt über vertiefte und erweiterte Kenntnisse einer definierten Patientenpopulation und über einen konsekutiven Masterabschluss in Pflegewissenschaft oder Advanced Nursing Practice.
Die Rollenentwicklung und Implementierung von APN ist an den zentralen Kriterien und Kernkompetenzen nach Hamric et al.3 und den Ausführungen im Positionspapier „Advanced Nursing Practice in Österreich“4 orientiert. Die Einführung der APN-Rolle am Universitätsklinikum Salzburg ist konzeptionell an das PEPPA-Framework (Participatory, Evidence-based, Patient-focused Process for Advanced Practice Nursing) angelehnt.5
Diese gezielten Maßnahmen ermöglichen eine Weiterentwicklung und Professionalisierung qualifizierter Pflegekräfte.
Wie sich der Praxisalltag und Einsatz einer APN (Advanced Practice Nurse) im Bereich Cancer Care als „Gamechanger“ in der multiprofessionellen Versorgung hinsichtlich des Schnittstellenmanagements und der Betreuung von Krebspatientinnen auf einer gynäkologischen Station gestaltet, wird in diesem Artikel näher beschrieben und anhand der Grafik „Logisches Modell der APN-Cancer-Care-Rolle in der Frauenklinik im Uniklinikum Salzburg“ dargestellt.
Die Rolle der APN-Cancer-Care auf einer gynäkologischen Station im Uniklinikum Salzburg umfasst derzeit drei im Dienstplan deutlich hinterlegte APN-Tage mit jeweils 8 Arbeitsstunden. Die restlichen Stunden arbeitet die APN im Schicht- und Wechseldienst auf der Station in der direkten klinischen Praxis- und Patientenversorgung mit. An den definierten APN-Tagen ist die Cancer Nurse nur für ihre Pflegeexpertenrolle freigestellt und kann ihren Arbeitstag hinsichtlich Ressourcen, Termine und konsiliarischer Dienste selbst gestalten. Ein hohes Engagement seitens der APN in der zeitlichen Ressourcenplanung ist natürlich immanent. Um eine verbesserte
Rollenakzeptanz der Cancer Nurse hinsichtlich anderer Mitglieder im multiprofessionellen Team zu erlangen, wurde ein sogenanntes „logisches Modell“ erstellt, das die Ziele, Tätigkeitsbereiche, Outputs und Outcomes durch den Einsatz der APN-Cancer-Care nochmals visuell aufbereitet.
Die APN für Cancer Care ist im stationären Team der Gynäkologie integriert und weist eine Expertise hinsichtlich einschlägiger Themen wie der Onkologie und Kommunikation inklusive Fähigkeiten zur multiprofessionellen Zusammenarbeit auf. Zudem ist der APN-Einsatz inklusive zeitlicher Ressourcen klar definiert, und es wird ein Büro mit adäquater technischer Ausstattung, um z. B. Recherchetätigkeiten durchzuführen oder um die Dokumentation der erbrachten Leistungen zu tätigen, bereitgestellt.
Der Tätigkeitsbereich und Praxisalltag der APN für Cancer Care stützt sich auf den sechs APN-Kernkompetenzen nach Hamric et al.3, wie Coaching und Führung, Beratung und Konsultationen, evidenzbasierte Praxis, Leadership, interprofessionelle Zusammenarbeit und ethische Entscheidungsfindung. Die Mitarbeit in der direkten klinischen Praxis spielt dabei laut Hamric et al.eine zentrale Rolle, um den Praxisbezug nicht zu verlieren und gegebenenfalls auf Notwendigkeiten in der Praxis reagieren zu können.
Coaching und Führung: Die Rolle der APN-Cancer-Care inkludiert die fachliche Leitung der GYN AB in der Frauenklinik im „Shared Governance“-Modell mit der Leitenden Pflegeperson (LPP), die für die operative Leitung zuständig ist. Zusammen mit der Praxisanleitung (PAL) und der LPP werden regelmäßige Jour-Fixe-Meetings durchgeführt, um auf Herausforderungen in der Praxis (Abläufe, Kompetenzerweiterungen, Pflegefachassistenz etc.) reagieren zu können und Strategien zu planen. Als konkretes Beispiel könnte man hier die kürzliche Kompetenzerweiterung der PFA hinsichtlich der Anlage von peripheren Venenverweilkanülen erwähnen. Die APN stellte adäquates Schulungsmaterial zusammen und schulte alle PFA der Station. Ein weiterer Task im Bereich Coaching und Führung in Kooperation mit LPP und der PAL ist die Zusammenstellung von Inhalten für die Teambesprechung und deren professionelle Aufbereitung. Auch die Durchführung von Pflegevisiten in Kooperation mit der LPP ist Aufgabe der Cancer Nurse. Dieser Prozess verhilft zu einer verbesserten Pflegeplanung und Dokumentation von erbrachten Leistungen seitens des Pflegepersonals.
Beratung: Die Beratung und Konsultationen als APNCancer Care werden mittels eigener Beratungsmappe, individuell auf gynäkologisch-onkologische Patientinnen zugeschnitten, durchgeführt und bei Bedarf mittels Assessments gestützt. Die Ergebnisse der Beratung werden elektronisch dokumentiert und stehen somit auch dem gesamten multiprofessionellen Team zur Verfügung.
Evidenzbasierte Praxis schaffen: Die Teilnahme an Fortbildungen und die Implementierung von wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen in die Pflegepraxis sowie die regelmäßige Aktualisierung von Leitlinien und Handlungschecklisten sind Teil des Verantwortungsbereiches einer Cancer Nurse. Auch die Vernetzung in internen und externen APN-Netzwerken ist für die Entwicklung von evidenzbasierten Praxisleitlinien von großer Bedeutung.
Leadership: Das Leadership der Station wird im „Shared-Governance“-Modell durch die APN und die LPP gelebt. Dieser Führungsstil befähigt als duales Führungsteam, Synergien zu nutzen und Entscheidungen über Ressourcen, Praxisabläufe und Projekte gemeinsam zu treffen.6 Eines der zentralen wiederkehrenden Themen ist die Optimierung der Versorgungsprozesse im Rahmen des „Skill and Grade Mix“. In sehr enger Zusammenarbeit mit der PAL werden Versorgungslücken erkannt und Konzepte erarbeitet, um sie zu schließen.
Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team: Gerade im multiprofessionellen Team nimmt die Cancer Nurse den Dreh- und Angelpunkt im Schnittstellenmanagement ein, da sie in unmittelbarer Nähe zu den Patientinnen der GYN AB verankert ist. Die Teilnahme der APN am wöchentlichen Tumorboard und der ärztlichen onkologischen Visite bestärken das wichtige Vertrauensverhältnis zwischen der Patientin und der Cancer Nurse, da der/die Pflegeexpert:in somit immer alle aktuellen Informationen zur weiteren Behandlung der Patientin erhält. Zudem wurde durch die APN der GYN AB auch einmal wöchentlich eine multiprofessionelle Gyn-Onko-Besprechung initiiert, an der die tagesverantwortlichen Onkolog:innen, Mitarbeitende vom Sozialdienst, klinische Psycholog:innen, aber auch die tagesverantwortlichen Zyto-Nurses teilnehmen. Im Rahmen dieser multiprofessionellen Gyn-Onko-Besprechung werden Fallbesprechungen und komplexe Situationen von Patientinnen besprochen und die weitere Vorgehensweise im Team diskutiert. Im Diskurs mit den anderen Berufsgruppen und deren Informationen über die Patientinnen zeigen sich oft neue Erkenntnisse, somit profitieren nicht zuletzt die onkologischen Patientinnen der GYN AB selbst von der multiprofessionellen Besprechung, aber auch das multiprofessionelle Versorgungsteam, das sich auf Augenhöhe austauscht.
Ethische Entscheidungsfindung: Auch der Bereich der ethischen Entscheidungsfindung gilt laut Hamric et al.2 als essenzieller Teil der APN-Rolle. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, können zusätzlich zur multiprofessionellen Onko-Besprechung auch konkrete Fallbesprechungen bei diffizilen, herausfordernden, meist palliativen Patientensituationen einberufen werden.
Die Patientinnen der GYN AB erleben durch den Einsatz der APN für Cancer Care bei Bedarf eine umfassende Beratungsmöglichkeit zu zentralen Themen der Onkologie.Durch die Dokumentation der erbrachten Leistungen und Dekurse der Beratungsinhalte profitiert auch das gesamte multiprofessionelle Versorgungsteam. Für das Pflegeteam der GYNAB erstellt die APN Mikroschulungen zu benötigten Inhalten (z. B. Portanstechen, Umgang mit PleurX™-Systemen, PICC-Kathetern, Handlungscheckliste bei CTX-Notfall). Durch gezielte Schulung des Pflegeteams zu aktuellen Themen, Durchführung von Supervisionen und durch die aktive Partizipation an den Teammeetings der APN für Cancer Care kommt es durch diese teamnahen Interventionen zum Ergebnis von kompetenten und befähigten Pflegefachpersonen der GYN AB.
Die beschriebenen Outcomes aus der Literatur zeigen, dass es durch den Einsatz einer Cancer Nurse zur Stärkung der Autonomie und Selbstwirksamkeit der Patient:innen kommt.7 Diese Erkenntnis deckt sich auch mit den Beobachtungen aus der Praxis. Durch verbesserte Beratungsangebote für die gynäkologisch-onkologischen Patientinnen und gegebenenfalls für deren Angehörige können diese aktiver an ihrem Behandlungspfad teilnehmen und auch fundierte autonome Entscheidungen treffen.