Blick in die Zukunft der onkologischen Pflege

Im Rahmen der „Jubiläumstagung – 25 Jahre AHOP“ wagte Dr. Agnes Glaus, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Pflegeexpertin Onkologie am Tumor- und Brustzentrum ZeTuP St. Gallen, einen Blick in die Zukunft der onkologischen Pflege. Dass diese bereits begonnen hat, davon ist Glaus überzeugt und bestärkte ihre Sichtweise mit einem Zitat von Sr. Liliane Juchli: „Wir brauchen große Pflegende, keine kleinen Ärzte!“.

Bildung als Fundament

„Bildung befähigt den Menschen, Entwürfe für eine bessere Welt zu entwickeln“, so die Expertin. Spezialisierungsansätze wie Postdiplomstudiengänge und Fachausbildungen in onkologischer Pflege haben sich in den letzten Jahrzehnten gut etabliert. Festzuhalten sei allerdings auch, dass die (gesetzliche) Anerkennung dieser Fachausbildungen sehr länderspezifisch geregelt ist. Pflegepersonen mit einer höheren Fachausbildung in onkologischer Pflege arbeiten im Unterschied zu PflegewissenschafterInnen praxisorientierter. Das Curriculum der European Oncology Nursing Society (EONS) wurde mancherorts als Grundlage verwendet. Laut Glaus ist diese Gruppe von Pflegepersonen sehr nahe an den PatientInnen und für diese sehr wichtig und wertvoll. Glaus betonte jedoch, dass auch evidenzbasiertes Wissen in der Pflege zunehmend an Bedeutung gewinnt und ein Teil der Pflegenden durchaus mehr wissenschaftliche Grundlagen für ihre Praxis benötigen und wünschen. So konnten beispielsweise viele Pflegende in den letzten 1 bis 2 Jahrzehnten die Möglichkeit wahrnehmen, einen Bachelor/Master/PhD zu absolvieren. „Um die Pflege bzw. die Pflegebedürfnisse und -interventionen zu erforschen, braucht es auch diese wissenschaftlich ausgebildeten Pflegepersonen“, ist Glaus überzeugt.

Behebung des Fachkräftemangels – durch Physician Assistants?

Eine besondere Rolle kommt den PflegewissenschafterInnen auch in der Pflege und Betreuung von TumorpatientInnen zu. Laut Glaus stehen dabei diverse Möglichkeiten zur Verfügung, wie akademisch gebildete Pflegende dies praktizieren können. Zum einen als SpezialistInnen, die sich um eine Gruppe von PatientInnen auf Basis hervorragender und wissenschaftlich fundierter Pflege kümmern, zum anderen besteht aber auch die Option, zu forschen oder aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu lehren. Eine weitere Option, die in den USA bereits seit längerem und in Europa ansatzweise praktiziert wird, ist die neue Rolle der Pflegenden als Physician Assistant. Obwohl in einzelnen Situationen durchaus interessant, müsse es doch zukünftig mehrheitlich um den Einsatz der Pflegewissenschaft gegen den Pflegemangel gehen, als gegen den Arztmangel, meint die onkologische Pflegeexpertin. Für die Zukunft kann Glaus sich vorstellen, dass Pflegeteams mit PflegewissenschafterInnen ergänzt werden, wie dies heute vielerorts auch schon erfolgt ist. Die Entwicklung, dass Pflegeteams zunehmend mit Fachangestellten Gesundheit ergänzt würden, sei ebenfalls sinnreich – Letztere dürften aber, besonders auf politischer Ebene, keinesfalls als Ersatz von diplomierten Pflegekräften interpretiert werden.

Ambulant vor stationär

Die Kostenexplosion ist in aller Munde, Spitalsschließungen werden zur Realität werden. Folglich wird auch außerhalb der Spitäler ein immer höherer Pflegebedarf entstehen. Für die Zukunft wird das heißen: Die Pflege, speziell die onkologische Pflege, muss auch im spitalsexternen Bereich gestärkt werden. Glaus sieht die Entwicklung dahingehend, dass Angehörige einen größeren Anteil in der Betreuung übernehmen müssen. Vor diesem Hintergrund lässt sich erahnen, dass künftig (Onkologie-)PflegeexpertInnen in Zusammenarbeit mit den erwähnten „Fachangestellten Gesundheit“ und den Angehörigen die PatientInnen zu Hause betreuen werden.

Roboter und Digitalisierung – wird der Mensch zur Nebenfigur?

Die Digitalisierung schreitet voran. Obwohl Roboter in der Medizin bereits Einzug gehalten haben (beispielsweise im OP), klingt deren Einsatz in der Pflege für Glaus eher wie Zukunftsmusik; sei allerdings nicht auszuschließen. Die Pflegeexpertin sieht den Roboter im Pflegebereich als Assistenten in bestimmten Belangen, hob allerdings hervor, dass diese keinesfalls soziale Kontakte ersetzen können. Vorstellbar sei, dass für gewisse Verrichtungen wie zum Beispiel peinliche Verrichtungen, Roboter sogar geschätzt werden könnten.
Auf dem Vormarsch befindet sich auch die Health Information Technology. Spitäler werden aktuell auf digitale Systeme umgerüstet; man verspricht sich davon, jegliche Information für alle Professionen verfügbar zu machen – und zwar auf eine sichere und nachvollziehbare Weise. Kritisch sieht Glaus die Tatsache, dass Systeme zur PatientInnendokumentation zwischen den einzelnen Berufsgruppen unterscheiden, wenngleich es das Ziel wäre, die PatientInnen gemeinsam mit der Medizin zu betreuen und nicht parallel.
Eine Frage, die man sich im Zuge der Digitalisierung der Betreuungsbereiche unausweichlich stellen müsse, sei, welche Rolle Menschlichkeit, Güte, Barmherzigkeit, Verantwortung und Hingebung spielen werden; diese menschlichen Eigenschaften spielen für einen Algorithmus keine Rolle! Auch das Diktat der Bezifferung der Welt wird laut Glaus vor der Pflege kaum mehr Halt machen als heute. „Das, was uns zu Menschen macht, lässt sich gerade in der Pflege nicht immer digital festhalten – und auch nicht in Geld beziffern!“ Dass der innerste Kern der Pflege, das CARING (also die Fürsorge), nie zu einer Nebensache werden wird, das erhofft sich Glaus.

Vom Lebensabend zum -nachmittag

Als ein Merkmal der Zukunft nennt Glaus die steigende Lebenserwartung und merkt an, dass auch Neunzig- und Hundertjährige bereits in den onkologischen Ambulanzen anzutreffen seien. Der Gewinn an Lebenszeit führt dazu, dass „der Lebensabend zum Lebensnachmittag wird“. Unweigerlich damit verbunden sei die Frage, wie diese zusätzlichen Lebensjahre gestaltet werden. „Altersqualitäten, wie zum Beispiel Erfahrung, sollte man zu schätzen wissen und diese mit anderen Mitmenschen teilen.“ Erfahrung wird nie überflüssig sein – trotz neuer Technologien und Digitalisierung. Glaus ist überzeugt: Wer sich sinnreich betätigt und sich nicht nur um sich selbst kümmert, wird davor bewahrt werden, selbst zu verkümmern. „Alter und Tod sind für die einen ein Übergang ins ewige Leben, für die anderen ist es die Endstation.“ Mit dieser Auseinandersetzung sind onkologische Pflegepersonen tagtäglich konfrontiert und werden es bleiben. „Woher werden wir in Zukunft als Onkologiepflegende die Kraft/die Energie/den Mut nehmen, um uns dem täglich erlebten menschlichen Leid(en) zu stellen und um damit umzugehen?“, warf Glaus in den Raum. „Wir müssen heute annehmen, dass wir in Zukunft noch mehr gefordert sein werden“, so die Schlussworte eines beeindruckenden Vortrages von Dr. Agnes Glaus.

 

Quelle: Jubiläumstagung – 25 Jahre AHOP, Vortrag Dr. Agnes Glaus „Blick in die Zukunft der onkologischen Pflege“, 20. 9. 2019, Wien