Patient:innen mit hämatoonkologischen Erkrankungen versterben oftmals im onkologischen Setting und haben seltener Zugang zur Palliativversorgung. Pflegepersonen sind dabei in der End-of-Life-Versorgung besonders gefordert und müssen Antworten auf ethische Fragestellungen finden und sich mit eigenen sowie den Emotionen von Patient:innen sowie deren Angehörigen auseinandersetzen. Werden zusätzlich Maßnahmen durchgeführt, die der sogenannten Übertherapie zuzuordnen sind, kann das langfristig zu moralischem Disstress, Compassion Fatigue und Burn-out führen. Das kann in weiterer Folge Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen oder zum endgültigen Verlassen der Arbeitsstätte führen.
Das Ziel der Studie war es, die Erfahrungen von Pflegepersonen bei der Versorgung von Patient:innen mit hämatologischen Krebserkrankungen am Lebensende zu erforschen. Die Ergebnisse sollen zur Entwicklung von gezielten Unterstützungsangeboten für Pflegepersonen beitragen, die im hämatoonkologischen Setting tätig sind.
An der qualitativ-phänomenologischen Studie nahmen fünf weibliche Pflegepersonen teil, die mindestens ein Jahr Arbeitserfahrung auf einer hämatoonkologischen Station hatten. Die Teilnehmerinnen waren zwischen 25 und 55 Jahre alt. Die semistrukturierten Interviews dauerten im Durchschnitt 75 Minuten und wurden anschließend transkribiert. Unklarheiten wurden in einem zweiten Interview, etwa ein Monat später, geklärt. Ethische Standards wurden eingehalten, und es erfolgte zuvor eine Genehmigung durch die institutionelle Ethikkommission. Die Datenanalyse folgte den Prinzipien der interpretativen phänomenologischen Analyse, die eine tiefergehende Exploration und Interpretation der erlebten Erfahrungen der Interviewpartner:innen ermöglichen soll. Dieser Ansatz basiert auf drei philosophischen Einflüssen (Phänomenologie, Hermeneutik, Idiosynkrasie) und befasst sich mit der subjektiven Erfahrung und der Deutung der beschriebenen Erlebnisse. Die thematische Analyse und Kategorienbildung jedes Transkriptes wurden anschließend synthetisiert, wobei zwei Hauptkategorien mit insgesamt acht Unterkategorien identifiziert werden konnten. Die Überprüfung der identifizierten Themen wurde von zwei Forscherinnen durchgeführt. Eine zusätzliche Analyse der Feldnotizen ermöglichte eine umfassende Beschreibung der Interviews.
Die Pflegepersonen beschrieben sich selbst als „Kämpferinnen”, wenn es um die Versorgung von Patient:innen in der End-of-Life-Phase ging.
Der Kampf gegen Übertherapie: Die Durchführung nichtnotwendiger Maßnahmen verschlimmerte den Zustand der Patient:innen und wurde zu deren Nachteil umgesetzt. Die Pflegepersonen gaben an, dass die verbleibende Zeit besser mit Angehörigen und Freund:innen verbracht werden sollte und die Versorgung mit Würde und so wenig Leid wie möglich erfolgen müsse. Insbesondere die Gabe von Chemotherapien oder Blutprodukten zur Lebenserhaltung wurde von den Pflegepersonen als eine erhebliche Belastung empfunden. Zusätzliche Chemotherapien zeigten oftmals keine Wirkung und verschlechterten den Zustand der Patient:innen durch starke Nebenwirkungen weiter. Die Pflegepersonen betonten, dass Ruhe und Würde der Patient:innen in der letzten Lebensphase eine zentrale Rolle spielen. Zudem stellten sie häufig die Sinnhaftigkeit von Reanimationsversuchen bzw. lebenserhaltenden Maßnahmen in Frage. Patient:innen sollten von Beginn an in die Versorgung und Entscheidungsprozesse einbezogen werden, damit sie eigenständig darüber entscheiden können, ob eine Reanimation durchgeführt werden soll. Generell traten Schwierigkeiten in der Kommunikation zwischen Pflege und Medizin sowie Differenzen bei den jeweiligen Ansichten auf. Jüngere, neu ausgebildete und verständnisvolle Ärzt:innen wurden dahingehend oft als Bindeglied zwischen den Pflegepersonen und älteren Ärzt:innen wahrgenommen. Die Pflegepersonen empfanden eine Verlegung von Patient:innen auf Intensivstationen als belastend und emotional herausfordernd, was vor allem auf die enge Beziehung zurückzuführen war, die zwischen Pflegepersonal und Patient:innen bestand. Sie äußerten, dass sie vermeiden wollten, dass die Patient:innen in einer fremden Umgebung versterben.
Der Kampf gegen die emotionale Belastung in der pflegerischen Versorgung: Gefühle der Hilflosigkeit traten vor allem dann auf, wenn die Pflegepersonen wussten, dass es keine Heilungschancen oder Lösungswege mehr gab oder wenn Situationen außer Kontrolle gerieten. Eine Pflegeperson verglich ihre Gefühle mit dem Verlust eines Kampfes. Disstress wurde verstärkt, wenn Maßnahmen bei jenen Patient:innen durchgeführt wurden, die Pflegepersonen an ihre eigenen Familienmitglieder erinnerten. Insbesondere jüngere Patient:innen erinnerten sie häufig an die eigenen Kinder, wodurch die Situation mit dem persönlichen Umfeld in Verbindung gebracht wurde.
Der Artikel untersucht die Herausforderungen von Pflegepersonen, die Patient:innen mit hämatologischen Krebserkrankungen am Lebensende versorgen. Dabei wird hervorgehoben, dass schwerwiegende Behandlungen und häufige Komplikationen eine würdevolle Begleitung am Lebensende erschweren. Die Pflegepersonen berichten von emotionaler Belastung, da ihre Bedenken oft nicht berücksichtigt werden. Um den emotionalen Anforderungen gerecht zu werden, bedarf es Unterstützungsangebote sowie gezielter Interventionen.
Diese qualitativ-phänomenologische Studie gibt einen tiefergehenden Einblick in die Erfahrungs- und Gefühlswelt von Pflegepersonen im Kontext der Übertherapie bei Patient:innen im hämatoonkologischen Setting. Pflegepersonen beschreiben einen regelrechten „Kampf“ gegen Maßnahmen der Übertherapie und leiden an emotionaler Belastung, insbesondere unter moralischem Disstress. Die Studie verdeutlicht die Schwere und Last von Pflegepersonen, die sie im Kontext der Übertherapie erleben, und weist auf die Notwendigkeit weiterer Forschungsarbeiten und Unterstützungsangebote für Pflegepersonen hin. Auch wenn aufgrund der geringen Stichprobengröße eine Generalisierung der Ergebnisse nicht möglich ist, dienen diese vor allem dazu, ein tieferes Verständnis der Erfahrungen von onkologischen Pflegepersonen mit Patient:innen in der End-of-LifeCare zu gewinnen. Angesichts der überwiegenden Homogenität der Teilnehmer:innen sollten in zukünftigen Forschungsarbeiten auch die Erfahrungen männlicher Pflegepersonen berücksichtigt werden.