Nutrazeutika: antikanzerogene Zubereitungen aus Lebensmitteln

Bunt soll unser Essen sein – rot, orange, kräftig gelb und vor allem: dunkelgrün! Und es soll gut sättigen sowie unterschiedliche Konsistenzen haben, mit etwas Schärfe gewürzt. So könnten die offiziellen Ernährungsempfehlungen zur Krebsprävention lauten.

Was sind Nutrazeutika?

Nutrazeutika sind pflanzliche Arzneien aus Lebensmitteln. Verwendet werden sogenannte Funktionsarzneimittel, das sind zugelassene Lebensmittel, die in bestimmten Zubereitungen pharmakologische Wirkungen entfalten können (Tab.). Dazu gehören Kräuter (z. B. Salbei, Thymian, Rosmarin), Gewürze (z. B. Wacholder, Ingwer, Kurkuma) und pflanzliche Lebensmittel (z. B. Meerrettich, Apfel). Nutrazeutika werden zu Hause nach einfachen Anleitungen selbst zubereitet.1

Tab.: Antikanzerogene Nutrazeutika

Pflanzenfarben

Manche Lebensmittel bergen antikanzerogenes Potenzial, darüber sind sich die Fachleute inzwischen einig. Dabei stehen die Pflanzenfarben ganz oben auf der Liste: hellgelbe, rote, violette und blaue Flavonoide, orange und kräftig gelbe Carotinoide und das grüne Chlorophyll. Wer in einen Apfel beißt, hat meistens ein gutes Gefühl, ist er doch das Synonym für ein gesundes Lebensmittel. Dicht unterhalb der Apfelschale liegt das unscheinbare Quercetin, ein hellgelbes Pigment, das zu den Flavonoiden und damit zu den Polyphenolengehört. Quercetin hemmt die Teilung der Krebszellen, löst den programmierten Zelltod und Autophagie aus und reduziert die Aktivität der Telomere.2 Quercetin kann das Krebsrisiko für Mundhöhle, Rachen, Kehlkopf, Speiseröhre, Kolon, Brust, Ovarien und Prostata signifikant senken.3 Die besten Quercetinquellen in Mitteleuropa sind die Schale des Apfels und der gelben Zwiebel, aber auch rote Weintrauben.

Dabei ist die wichtigste Frage in der Praxis stets die Bioverfügbarkeit von antikanzerogenen Pflanzenwirkstoffen. Quercetin ist in den Pflanzen glykosidisch gebunden. Während der Fermentation des Rotweins in der Maische wird Quercetin von den Mikroben freigesetzt. Auch in getrockneten Tomaten wurde ein Anstieg von Quercetin bei der Lagerung beobachtet. Das gilt allerdings nur für völlig unbehandelte Tomaten, auf denen sich die Mikroben intensiv vermehren konnten, und nicht für gespritzte oder mit Konservierungsmitteln behandelte Tomaten.4 Pektin im Apfel erhöht die Resorptionsquote von Quercetin signifikant.5 Die Verbindung von Quercetin mit dem Präbiotikum scheint den Mikroben die Kraft zu geben, die glykosidische Bindung von Quercetin zu lösen. Das Quercetin aus den Schalen der gelben Zwiebel wird bei basischem pH-Wert besonders gut freigesetzt. Die traditionelle Prise Natron in der klaren Brühe macht die Suppe kräftig braun und erhöht gleichzeitig das antioxidative Potenzial. Für Carotinoide gibt es nach Knasmüller eine starke Evidenz zur Lungenkrebs-Prävention. Sie stecken in der richtigen Dosis in kräftig roten (Tomate), orangen (Karotte, Süßkartoffel, Aprikosen), gelben (Mais) und hinter dem Chlorophyll versteckt in dunkelgrünen Pflanzen (Spinat, Kohl, Petersilie). Zuviel davon scheint allerdings eher zu schaden. Carotinoide entfalten mehrfach krebsschützende Eigenschaften. Sie sind stark antioxidativ, hemmen die Zellteilung undinduzieren die Apoptose, verbessern die intrazelluläre Kommunikation und beeinflussen das Immunsystem. Ihre Bioverfügbarkeit ist allerdings recht unterschiedlich. Lutein ist hitzeempfindlich, die Lebensmittel damit sollten daher in Form von Salaten oder anderen rohen Speisen verzehrt werden. b-Carotin ist wesentlich stabiler, es ist aus gekochten Speisen sogar besser für den Körper verfügbar. Auch das rote Lykopin aus den Tomaten ist in der Tomatensauce in einer günstigeren Form vorhanden als im rohen Gemüse. Phenolreiches Olivenöl macht Lykopin besser bioverfügbar als Sonnenblumenöl.2
Curcumin aus Kurkuma ist eines der stärksten Antioxidanzien, das bisher in Versuchen mit kultivierten Zellen identifiziert wurde. Der Großteil der vielen Studien mit Curcumin wurde invitro durchgeführt. Eine wissenschaftliche Zusammenfassung der antikanzerogenen Wirkungen von Kurkuma der Universität Freiburgschätzt das Potenzial von Kurkuma höher ein als das von Chemotherapeutika.6 Der Scharfstoff Piperin verstärkt den Effekt deutlich.7 Frische oder getrocknete Kurkumawurzel wird deshalb mit schwarzem Pfeffer kombiniert oder mit Langem Pfeffer, der einen noch höheren Piperingehalt aufweist und zudem ein wundervolles Aroma hat.

Dunkles Grün und Folsäure

Die meisten sehr dunkelgrünen Pflanzen wie die Blätter von gesundem Spinat oder Petersilie sind vollbepackt mit Pflanzenfarben, wobei das grüne Chlorophyll alles überdeckt. Rote und orange Farben sind in reichlichen Portionen enthalten, aber nicht sichtbar. Gleichzeitig enthalten grüne Pflanzen auch eine Menge Folsäure, der eine antikanzerogene Wirkung bei Dickdarmkrebs zugeschrieben wird. Interessanterweise konnte diese Wirkung mit synthetischen Folsäure-Supplementen nicht erreicht werden.8

Ballaststoffe

Ballaststoffe greifen über einige Umwege in die Karzinogenese ein. Ballaststoffe erhöhen das Stuhlgewicht und reduzieren dadurch die Resorption von Kanzerogenen. Sie gelangen unverdaut bis in den Dickdarm und wirken dort als Präbiotikum. Die Mikroben zerlegen sie, wobei kurzkettige Fettsäuren wie Essigsäure, Buttersäure und Propionsäure, sogenannte SCFA (Short-Chain fatty Acids), entstehen. Aus diesen Bausteinen bauen die Becherzellen im Dickdarm eine durchgehende Mukosa. Ballaststoffe verstärken das Sättigungsgefühl und beeinflussen damit die Glukoseaufnahme und den Insulinspiegel. Durch die Hemmung der b-Glucuronidase reduzieren sie den Östrogenspiegel im Darm.
Bei Ballaststoffen denken wir oft an Vollkorngetreide. Das Spektrum muss jedoch viel breiter sein, um die Diversität der Mikrobiota zu fördern: Inulin und Fructooligosaccharide (FOS), Galactooligosaccharide (GOS), resistente Stärke (RS), Pektine (POS) sowie einige Flavonoide9 zeigen Präbiotikawirkung. Die Zeit spielt bei der Lebensmittelzubereitung oft eine wesentliche Rolle: Ballaststoffe müssen quellen, um ihr präbiotisches Potenzial zu entfalten. Der Brotteig braucht Stunden, um leicht verdauliche Stärke in eine physiologisch wirksame Menge an resistenter Stärke umzubauen, die Pektine im Apfel und die Schleimstoffe im Leinsamen brauchen ebenfalls Zeit zum Quellen.

Scharfstoffe

Kreuzblütler wie Kraut, Kohl, Rettich, Brokkoli oder Kohlsprossen enthalten Glucosinolate. Das sind Senföle, die in der Pflanze glykosidisch gebunden sind und in dieser wasserlöslichen Form gut transportiert werden können. Wenn nun solche Lebensmittel gekaut werden, wird die Myrosinase frei, ein Enzym, das den Kohlenhydratrest abspaltet. Die entstandenen freien Senföle reizen den Trigeminusnerv und schmecken scharf, sind fettlöslich und stets wegen ihrer krebshemmenden Wirkung im Gespräch. Die Thiocyanat-Vorstufe Sulforaphan kommt in Brokkolisprossen in 10- bis 100-fach höherer Menge vor als in Brokkoli. Brokkolisprossen konnten in Tierversuchen induzierte Tumore signifikant hemmen.10

Resümee

Pflanzenwirkstoffe haben ein hohes krebshemmendes Potenzial, das in der öffentlichen Diskussion noch zu wenig konkret dargestellt wird. Nutrazeutika bieten einen alltagstauglichen Einstieg in die gezielte Anwendung von Pflanzenwirkstoffen. Sie helfen auch mit, um antikanzerogene Zubereitungen vermehrt auf den Esstisch zu bringen.