Selbstgesteuerte Lernprozesse sind im Masterstudium Pflegewissenschaft an der Universität Wien ein zentrales Element. Den Studierenden wird ermöglicht, über ein Jahr hinweg ein Forschungsprojekt supervidiert zu planen, umzusetzen und auch zu evaluieren. Unter der Anleitung von Prof.in Hanna Mayer und Prof. Martin Nagl-Cupal wurde auch im Studienjahr 2021/22 ein solches Projekt im Rahmen der Seminare Forschungswerkstatt I und II von der Idee bis zum Forschungsbericht durchgeführt.
Im vorliegenden Forschungsprojekt konnte bereits im Themenfindungsprozess durch Kleingruppendiskussionen offensichtlich dargelegt werden, welche zusätzliche Herausforderung die Pandemiesituation für die in verschiedensten Bereichen tätigen Pflegepersonen bedeutete. Die Entscheidung zu diesem Forschungsvorhaben im Setting der Onkologie wurde aber aus dem folgenden Grund schnell getroffen: Es handelt sich bei der Gruppe der onkologisch erkrankten Patient:innen um Personen, die eine besondere situative Vulnerabilität aufweisen. Aber auch uns Pflegenden selbst wurde die eigene Vulnerabilität – also die Möglichkeit, selbst (schwer) zu erkranken oder auch möglicherweise zu versterben – mit eindringlicher Vehemenz bewusst gemacht. Zusätzlich drängte sich die Verantwortung bezüglich des eigenen sozialen Handelns und der möglichen negativen Konsequenzen in den alltäglichen Ereignishorizont der professionellen Pfleger:innen. Die Interdependenz zwischen dem pflegerischen Handeln und dem Sein als Mensch wurde einmal mehr in ihrer Tragweite offensichtlich – und auch wie sich dieser Umstand auf die pflegerische Betreuung auswirkt. Bereits bei Peplau1 wurde dieser Entwicklungsprozess der gemeinsamen pflegerisch-therapeutischen Beziehung im Zuge des Ausführens und Nachkommens von professionellen Pflegerollen beschrieben. Aufgrund dieses Umstandes wurde die Theorie der interpersonalen Beziehungen nach Peplau1 auch als passender theoretischer Rahmen für das Forschungsvorhaben identifiziert.
Die persönlichen Erfahrungen und der Austausch in der Forschungsgruppe führte zu dem Wunsch, genauer zu untersuchen, wie Pflegende ihre berufliche Rolle in der Pandemiesituation verstehen und erleben. Insbesondere in einem Setting wie der Onkologie, in dem es gilt, für eine besonders vulnerable Patientengruppe zu sorgen. Damit definierten wir das Forschungsziel, indem wir die Darstellung einer professionellen Rollenskizzierung aus Sicht der onkologisch Pflegenden im Kontext der COVID-19-Pandemie angestrebt haben. Dabei galt es, diese Beschreibungen unter Rückbezug auf eine gegenseitig bedingende Vulnerabilität zwischen der Pflegeperson und den betreuten Patient:innen abzubilden. Zudem wurden mögliche pandemiebedingte Veränderungen anhand der von Peplau1 definierten Professionsrollen hinterfragt. Als Forschungsgruppe waren wir sehr erfreut, dass wir neun Pflegepersonen aus dem onkologischen Setting gewinnen konnten, die uns in zwei Fokusgruppen an ihren Erfahrungen teilnehmen ließen. Mit besonderer Neugierde wurden die Interviews transkribiert und ausgewertet. Dabei konnten die in der Abbildung dargestellten Rollen identifiziert werden, die unter Rückbezug auf die beschriebenen Ausprägungen nach Peplau1 gesetzt wurden.
Zusammenfassend konnten wir nach diesem Analyseschritt feststellen, dass sich die von Peplau1 beschriebenen Rollen in den Aussagen der Pflegepersonen wiederfanden. Natürlich ließen sich Nuancierungen von der originalen Theorie ableiten, aber die Grundzüge der Rollen blieben auch während der Pandemiesituation erhalten. Deutlich drängt sich auf Basis der bestehenden Beziehungsdyade zwischen Pflegeperson und Patient:in eine universelle Vulnerabilität auf, die auch als Erkenntnis einer omnipräsenten und gegenseitig wahrgenommenen Verwundbarkeit verstanden werden kann. Augenfällig war auch der Wunsch der Pflegepersonen, ihre als besonders vulnerabel wahrgenommenen Patient:innen personenzentriert und individuell zu pflegen. Allerdings mussten sie aufgrund der notwendigen Umsetzung von Anordnungen zur Wahrung der Sicherheit aller vom selbst hochgesteckten Ideal einer ganzheitlichen Pflege abweichen.
Eine besonders hervorzuhebende Rolle ist die professionelle Rolle der bestimmten Bestimmenden. Größtenteils können sich die professionell Pflegenden aber nicht mit dieser Rollenausprägung identifizieren, womit Rollenkonflikte entstehen. Diese stehen in weiterer Folge in Verbindung mit der Ausbildung von paradoxen Verhaltensmustern. Als ein Bespiel hierfür ist die Risikobereitschaft zu erwähnen. Sie tritt durch das Abnehmen des Mund-Nasen-Schutzes in Erscheinung, um für eine für den Beziehungsaufbau notwendige Kommunikation zu sorgen. Trotz dieser noblen und umsichtigen Intention setzt die Pflegeperson sich wie auch die Betreuten dem Risiko einer COVID-19-Infektion aus. Als Konsequenz für dieses Beispiel pflegerischer Realität zeigt sich, dass dem Pflegemanagement ein besonderer Handlungsbedarf zur gegensteuernden Entlastung zukommt. Sie können den Grad der Herausforderung einschätzen und durch flankierende Maßnahmen Stress, Unklarheiten und Besorgnis reduzieren. Ein recht basales Beispiel hierfür ist die Aufrechterhaltung eines Informationsflusses, der durch regelmäßige Teamzusammenkünfte sichergestellt werden kann.
Überlegungen, wie sich die professionelle Pflege als Berufsstand nach der Pandemie positionieren wird, sind notwendigerweise bereits jetzt anzustellen. Eine Neuausrichtung des Berufes und das Hinterfragen von Prioritäten werden notwendig sein, damit im Besonderen die Interessen der versorgten onkologischen Patient:innen auf gesellschaftlicher Ebene sichergestellt werden können.