Spezialisierte Pflege in der Hepatologie

Lebererkrankungen stellen weltweit eine der größten Gesundheitsbelastungen dar und tragen jährlich zu rund zwei Millionen Todesfällen bei. Besonders in den letzten Jahrzehnten hat sich die Zahl der Betroffenen aufgrund von Risikofaktoren wie Alkoholkonsum, Adipositas und Diabetes zunehmend erhöht. Diese Risikofaktoren begünstigen die Entstehung von alkoholbedingten Lebererkrankungen (ARLD), metabolisch assoziierten Fettlebererkrankungen (MASLD) sowie von hepatozellulären Karzinomen (HCC). Die Leberzirrhose (LC) tritt als Folge einer chronischen Lebererkrankung auf und ist die weltweit elfthäufigste Todesursache. Während die Prävalenz viraler Hepatitis weitgehend konstant bleibt, zeigen sich besorgniserregende Anstiege bei arzneimittelinduzierten Leberschäden, die als Hauptursache für akute Hepatitis gelten.1

Hepatozelluläres Karzinom

Laut der European Association for the Study of the Liver (EASL) ist die zunehmende Zahl an Fällen von HCC weltweit alarmierend. 2020 zählte das HCC in 46 Ländern zu den drei häufigsten krebsbedingten Todesursachen und rangierte in fast 100 weiteren Ländern auf Platz 5. Prognosen deuten darauf hin, dass die Fallzahlen und Todesfälle ohne substanzielle Gegenmaßnahmen in den nächsten 20 Jahren um mehr als 55 % ansteigen werden.2 Die Behandlung des HCC umfasst chirurgische Eingriffe, lokale Therapien und systemische Behandlungen. Bei nichtoperablem HCC und/oder einer dekompensierten Leberzirrhose wird eine Lebertransplantation (LTX) in Betracht gezogen. Dies steht im Widerspruch zur globalen Nachfrage nach LTX, die weit über dem aktuellen Angebot liegt. Internationale Fachgesellschaften sehen jedoch in Präventionsmaßnahmen eine wesentliche Chance, die öffentliche Gesundheit nachhaltig zu verbessern. Die Ursachen des HCC sind in etwa 90 % der Fälle bekannt, was präventive Maßnahmen begünstigt und eine gezielte Reduktion der Erkrankung ermöglicht.1 Das HCC entwickelt sich fast ausschließlich bei Patient:innen mit bereits bestehender Leberzirrhose. 80–90 % der HCC-Fälle treten in Verbindung mit Zirrhose auf, die häufig durch chronische Leberschäden wie Hepatitis-B- oder -C-Infektionen, ARLD oder MASLD bedingt sind.2

Leberzirrhose

Wenn die Leberfunktionsleistung dekompensiert ist, sinkt die Lebenserwartung auf durchschnittlich zwei Jahre. Komplikationen wie Aszites, Magen-Darm-Blutungen oder hepatische Enzephalopathie signalisieren den Übergang von der kompensierten zur dekompensierten Leberzirrhose. Therapeutische Maßnahmen konzentrieren sich daher auf das Management und die Prävention von Komplikationen, die Vorbereitung auf eine mögliche LTX oder die Planung einer unterstützenden oder palliativen Betreuung.3
Studien zur Symptomprävalenz bei fortgeschrittenen Lebererkrankungen identifizieren multifaktorielle Symptome, welche die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen können, darunter: Schmerzen, Muskelkrämpfe, Schlafstörungen, Fatigue, Juckreiz, Übelkeit, Atemnot und Appetitverlust. Psychische Symptome wie Depressionen treten bei bis zu 64 % der Patient:innen auf. Auch Ängste sind mit 45 % weit verbreitet und erfordern Unterstützungshilfen.4

Spezialisierte Pflege als Antwort auf die Herausforderungen

International orientieren sich die Kompetenz- und Aufgabenfelder einer Liver Care Nurse (LCN) an den anerkannten Qualifikationsprofilen der Canadian Association for Hepatology Nurses und des Royal College of Nursing (UK). Letztere haben einen Kompetenzrahmen für Pflegepersonen entwickelt, das aus insgesamt 16 Kompetenzen besteht. Die ersten 9 Kompetenzen betreffen die Pflege aller Patient:innen mit Lebererkrankungen oder dem Risiko einer Krankheitsentwicklung, während die 7 weiteren Kompetenzen speziell auf Patient:innen im Setting der LTX ausgerichtet sind (Tab.).

Tab: Die 9 Kernkompetenzen der Liver Care Nurse

Rolle der Liver Care Nurse

Die LCN fungiert als Clinical Nurse Specialist und ist auf die Versorgung von Menschen mit LC, Lebertumoren wie HCC und/oder anderen Lebererkrankungen spezialisiert. LCN bieten evidenzbasierte Pflege, psychosoziale Unterstützung und fördern eine ganzheitliche Behandlung. LCN informieren Patient:innen und deren Familien über den Behandlungsprozess, beraten vor, während und nach der Therapie über Nutzen, Risiken sowie Nebenwirkungen und schulen Betroffene, um Bewältigungsstrategien und Therapieadhärenz zu fördern. LCN fungieren als konstante Ansprechpersonen und fördern die Vernetzung mit anderen Fachkräften im Gesundheitswesen.5

LCN Österreich: Kompetenzmodell und Qualifikationsprofil

Angesichts der Notwendigkeit einer nationalen Standardisierung und Anerkennung spezialisierter Pflegeberufe, die durch gesetzliche Bestimmungen und unterschiedliche Ausbildungsanforderungen in Österreich beeinflusst werden, hat sich die LCN-Arbeitsgruppe das Ziel gesetzt, ein evidenzbasiertes Kompetenzmodell und Qualifikationsprofil für LCN zu entwickeln. So soll eine hochqualifizierte Ausbildung gewährleistet werden, welche die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Lebererkrankungen umfassend abdeckt – von präventiven Maßnahmen über die akute Versorgung bis hin zur palliativen Betreuung. Zudem dient das Kompetenzmodell als Benchmark für Organisationen, die es bei der Personalrekrutierung, -entwicklung und -bewertung sowie im individuellen Leistungsmanagement nutzen können.
Das Qualifikationsprofil der LCN in Österreich wird entwickelt, um eine spezialisierte Weiterbildung gemäß § 17 GuKG für diplomierte Pflegekräfte bereitzustellen. Die Ausbildung soll 60 ECTS-Punkte umfassen und sowohl akademisch als auch nichtakademisch ausgebildeten Pflegepersonen offenstehen (Abb. 1).

Abb. 1: Fachkarriere für Pflegepersonen in der Hepatologie

Rolle der Advanced Practice Nurse in der Hepatologie

Advanced Practice Nurses (APN) tragen maßgeblich zur Weiterentwicklung von Versorgungskonzepten und der Pflegepraxis bei. Insbesondere in der Hepatologie nehmen APN eine Schlüsselposition ein, da sie klinische Assessments selbstständig durchführen können, komplexe Entscheidungen treffen sowie Behandlungspläne eigenverantwortlich erstellen und überwachen. Sie initiieren Forschungsprojekte, um die Pflegepraxis kontinuierlich zu verbessern, und treiben Innovationen voran, welche die Versorgungsqualität in der Pflege erhöhen.6
Die Kernkompetenzen der APN erweitern das Profil der LCN und basieren auf dem Modell von Hamric et al.7

Zu diesen Kernkompetenzen gehören:

  • Anleitung und Coaching von Pflegepersonen
  • Beratung von Betroffenen, Gesundheitsteams und Organisationen
  • evidenzbasierte Praxis und Forschungskompetenz, um die Pflegepraxis kontinuierlich weiterzuentwickeln
  • klinisches Leadership, um die Pflegequalität und das Team zu leiten
  • interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit zur Verbesserung der ganzheitlichen Patientenversorgung
  • ethische Entscheidungsfindung, um Patient:innen und Behandlungsteams in komplexen klinischen Situationen zu unterstützen.

Der Aufgabenbereich einer APN geht weit über die rein klinische Versorgung hinaus und umfasst die Implementierung neuer Pflegeansätze sowie die kontinuierliche Förderung einer hohen Versorgungsqualität. Durch die Einführung von APN hat sich in der professionellen Pflege ein hohes Maß an beruflicher Autonomie etabliert.

APN verfügen international über erweiterte Kompetenzen, die ihnen das Recht einräumen:

  • Diagnosen zu stellen
  • Sachmittel und Medikamente zu verordnen
  • diagnostische Tests anzufordern
  • Untersuchungen durchzuführen
  • Therapien zu verordnen
  • Ein- oder Überweisungen in Krankenhäuser, an praktische Mediziner:innen oder andere Gesundheitsberufe zu veranlassen.

Diese erweiterten Kompetenzen, wie sie unter anderem von Maier C et al.8 beschrieben wurden, zeigen die zunehmende Bedeutung der APN im Gesundheitswesen und ihren Beitrag zu einer patientenzentrierten, qualitativ hochwertigen Pflege.

Ziele der LCN-Arbeitsgruppe

In Übereinstimmung mit unserer Mission und unseren Werten hat die LCN-Arbeitsgruppe folgende Ziele festgelegt:

  • Kompetenzmodell und Qualifikationsprofil
  • Spezialisierung einer DGKP zur Liver Care Nurse entsprechend §17 GuKG
  • Entwicklung von Pflegestandards und Leitlinien bei Lebererkrankungen
  • Bildungsangebote: Förderung und Bereitstellung hochwertiger Fortbildungen und Ressourcen für die Mitglieder zum Wissensaustausch
  • Netzwerkbildung: Schaffung vonMöglichkeiten für Mitglieder, sich zu vernetzen und Wissen auszutauschen
  • Einsatz für Berufs- und Gesundheitspolitik: Einsatz für politische Maßnahmen und Praktiken, welche die sozialen und strukturellen Determinanten der Gesundheit adressieren und zur Verbesserung der Lebergesundheit und Förderung der spezialisierten Pflege beitragen
  • Forschung zu spezialisierter Pflege und Lebergesundheit (Abb. 2)

Abb. 2: Ziele der Liver-Care-Nurse-Arbeitsgruppe