Schwindel im Alter ist in den meisten Fällen ein multifokales Problem, bei dem nicht die Unterfunktion eines Organes das gesamte Symptom erklären kann.
Im Gegensatz zu dem persistierenden postural-perzeptiven Schwindel findet man bei den älteren Patient:innen viele physische Komponenten, ohne dass eine ausgeprägt genug ist, die Symptomatik vollständig zu erklären. Hier liegt das therapeutische Problem begraben, denn nur eine dieser vielen Komponenten zu behandeln, wird für die Patient:innen keine Erleichterung bringen. Zusätzlich können hinter dem Schwindel auch andere Erkrankungen stecken, die oft nicht primär mit einer Schwindelsymptomatik in Verbindung gebracht werden.
Die Anamnese bei älteren Patient:innen mit multifaktoriellem Schwindel zeigt oft keinen eindeutigen „roten Faden“. Angaben bzgl. der Qualität oder Intensität des Schwindels fallen oft nicht eindeutig aus oder variieren. Aufgrund der multifaktoriellen Gründe wird meist auch kein einheitlicher Auslöser gefunden, die Patient:innen beschreiben gerne einen andauernden (i. e. chronischen) Schwindel. Zur Anamnese selbst sollten immer eine Befragung bzgl. bereits erfolgter Stürze und ein Gespräch zu deren Prävention erfolgen. Eine Gehhilfe oder Nachtlichter sind einfache, aber effektive Hilfen.
Die eigentliche Gefahr für ältere Patient:innen mit Schwindel ist die Gefahr eines Sturzes mit konsekutiver Hospitalisierung. Ältere Patient:innen sind besonders anfällig für Folgeerkrankungen einer Hospitalisierung. Sei es ein Delir oder eine Infektion, beides kann für die Patient:innen letal enden und kann bei entsprechender Vorsorge vermeidbar sein.
Die Wahrscheinlichkeit, auch an einer internistischen Erkrankung zu leiden, steigt mit dem Alter drastisch an. Dies bedeutet aber auch, dass ältere Patient:innen meist deutlich mehr Medikationen haben. Eine Evaluation der bestehenden Medikation ist wichtig, um mögliche Überdosierungen (z. B. bei Antihypertensiva) oder Interaktionen ausschließen zu können. Auch Schwindel als Nebenwirkung eines neuen Medikamentes sollte erwogen werden. Eine Angabe der Patent:innen über etwaige gehäufte oder erschwerte Schwindelepisoden nach Medikamenteneinnahmen oder der Verschreibung eines neuen Medikamentes kann in der Anamnese hilfreich sein.
Ältere Patient:innen benötigen zur vollständigen Abklärung eine kardiologische Vorstellung, da Arrhythmien oder auch Stenosen der Aorta zu Schwindel führen können. Zusätzlich können bei früher Diagnose oft schwerwiegendere Folgen vermieden werden.
Die Presbyvestibulopathie, so wie auch die Presbyakusis, ist eine im Alter auftretende Unterfunktion des Vestibularorgans. Sie kann isoliert, aber oft auch in Kombination mit der Presbyakusis auftreten. Eine apparative Untersuchung mittels Video-Kopfimpulstest kann bereits eine geringe Unterfunktion beidseits objektivieren. Ein deutlicher Seitenunterschied in der Untersuchung spricht für eine andere, nicht dem Alter geschuldete, Vestibulopathie. Anamnestisch berichten Patient:innen oft von Problemen, z. B. Schilder im Gehen zu lesen, während dies nach dem Stehenbleiben problemlos funktioniert.
Wenn Patient:innen berichten, dass der Schwindel vor allem auf unebenem Boden oder im Dunkeln auftritt, ist eine Messung der Nervenleitgeschwindigkeit unumgänglich. Eine Polyneuropathie ist, besonders bei Patient:in-nen mit einem langjährigen Diabetes mellitus, ein klassischer Auslöser einer Gangunsicherheit, die als Schwindel beim Gehen und Stehen wahrgenommen wird. Auch Chemotherapien im Rahmen einer neoplastischen Erkrankung können eine Polyneuropathie auslösen. Aber auch wenn keine Auslöser zu erheben sind, ist bei beschriebener Anamnese an eine Polyneuropathie zu denken.
Ein kognitives, z. B. MMSE (Mini-Mental-Status-Examination), oder depressives Screening, z. B. Beck-Depressions-Inventar, sollten erfolgen, da sowohl die Neurodegeneration im Rahmen von demenziellen Symptomen als auch Depressionen/Angsterkrankungen zu einem chronischen Schwindel führen können. Oft geht dieses Symptom anderen voraus und verstärkt die zugrundeliegende Problematik deutlich, indem soziale Kontakte zurückgeschraubt werden oder körperliche Aktivität reduziert wird. Beide Faktoren sind für das Fortschreiten der Erkrankungen von signifikanter Bedeutung und können mit einer entsprechenden Medikation verlangsamt oder im Fall der Depression sogar aufgehalten werden. Ohne fachärztliche Abklärung sind diese beiden Entitäten oft schwer differenzierbar, zu sagen ist aber, dass rezidivierende Stürze „red flags“ bei einem funktionellen Schwindel (im Rahmen einer Depression oder Angsterkrankung) sind, jedoch bei einem neurodegenerativen Prozess schon früh im Krankheitsverlauf auftreten können.
Die Therapie des multifaktoriellen Schwindels muss ebenfalls multifaktoriell sein. D. h. es reicht nicht aus, eine der Ursachen zu behandeln, wenn die übrigen unbehandelt bleiben. Insgesamt ist jedoch für die behandelnden Ärzt:innen wichtig, ältere Patient:innen über die Gefahr von Stürzen und deren Prävention aufzuklären.