Welche Bilanz über die Corona-Pandemie ziehen Sie bisher für die Apotheken? Wo lagen die Herausforderungen, welche Lösungen gab es?
Ulrike Mursch-Edlmayr: Es gehört zu den grundlegenden Aufgaben einer öffentlichen Apotheke, die Versorgungssicherheit der Menschen mit Arzneimitteln sicherzustellen. Die Corona-Pandemie hat viele Menschen verunsichert. Sie finden in der Apotheke einen „sicheren Hafen“. Dahinter stehen der niederschwellige Zugang und die langen Öffnungszeiten. Mit der Pandemie ist die zentrale Bedeutung der rund 1.400 österreichischen Apotheken als Erstanlaufstelle, die Sicherheit, Vertrauen und persönliche Beratung bietet, noch weiter gewachsen. Das Angebot an Dienstleistungen für die Bevölkerung wurde und wird stetig erweitert, um den gesundheitlichen Bedürfnissen der Menschen optimal nachzukommen. Es hat sich gezeigt, wie wichtig das flächendeckende Netz der Apotheken ums Eck ist, nicht nur für die Versorgung mit Arzneimitteln, sondern auch als regionale Konstante in der Teststrategie. Österreichs Apotheken sind ein wichtiger Player innerhalb unseres Gesundheitssystems und aus der Pandemiebekämpfung nicht mehr wegzudenken. So zählen die Apothekerinnen und Apotheker zu den wichtigsten Test-Anbietern – wohnortnah, niederschwellig, flexibel, höchst professionell – in Österreich und sind damit international gesehen Vorreiter.
Wie hat sich die Situation im Hinblick auf Lieferengpässe entwickelt?
Die Corona-Pandemie hat die Lieferketten sowohl bei Arzneimitteln als auch bei Medizinprodukten weltweit vor große Herausforderungen gestellt. Die Gründe für Lieferschwierigkeiten sind vielfältig: Globale Fusionswellen und damit verbundenes Outsourcing in der Pharmawirtschaft, Arzneimittelfirmen produzieren nicht mehr in Europa. Oft wird ein Wirkstoff weltweit nur noch an ein oder zwei Standorten produziert. Kommt es dann zu einem Produktionsausfall, führt das zu weltweiten Lieferengpässen, der Konzentration von Fertigungsstätten und der Nichtverfügbarkeit von Rohstoffen.
Wie gehen Sie im Alltag damit um?
Apothekerinnen und Apotheker kümmern sich tagtäglich darum, dass aus Lieferengpässen keine Versorgungsengpässe werden. Wir bemühen uns nach Kräften, für unsere Kundinnen und Kunden eine geeignete Lösung zu finden, damit die verordnete Therapie bestmöglich umgesetzt werden kann. Die negativen Auswirkungen von Lieferengpässen für die Patientinnen und Patienten können durch die gut funktionierende Versorgungskette weitgehend verhindert beziehungsweise abgefedert werden. Nahezu alle Fälle können im Sinne der Patientinnen und Patienten gelöst werden, 90 bis 95 Prozent sofort direkt in der Apotheke.
Welche Lehren sollte man im Arzneimittelbereich aus der Krise ziehen?
Produktion und Lagerung von Arzneimitteln in Europa sind zentral. Eine von der Apothekerkammer seit Alpbach 2019 immer wieder geforderte Maßnahme ist das strategische Zurückverlagern von Wirkstoff- und Arzneimittelproduktion sowie -lagerung nach Europa. Hierzu bedarf es konkreter Schritte von Seiten der Politik auf europäischer Ebene. Die Apotheken wollen künftig impfen und haben sich angeboten, um die Impfquote niederschwellig zu erhöhen. Der Gesundheitsminister lehnt das ab, die Ärzteschaft sowieso.
Wie realistisch ist es, dass Apotheken künftig impfen dürfen?
Es ist nur eine Frage der Zeit. Das zeigen die Beispiele anderer Länder. Es gibt keine fachlich profunden Argumente, die dagegensprechen. Die internationalen Entwicklungen weisen alle in eine klare Richtung: Und die heißt Impfung durch Apothekerinnen und Apotheker. Der Erfolg gibt dieser Entwicklung recht: Je vielfältiger das Impfangebot, desto besser. Impfen in Apotheken bietet einen niederschwelligen, serviceorientierten und unkomplizierten Zugang zu Impfungen und kann Menschen erreichen, die bisher von den bestehenden Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht haben. Apothekerinnen und Apotheker können maßgeblich dazu beitragen, die Durchimpfungsraten in Österreich zu erhöhen. In vielen Ländern ist Impfen in Apotheken seit vielen Jahren eine Erfolgsgeschichte.
Es bleibt aber der Widerstand der Ärzteschaft und die zögerliche Haltung der Politik.
Wichtig zu betonen ist, dass unser Impf-Angebot für COVID-19 sowie für alle gängigen Auffrischungsimpfungen, wie Influenza oder FSME, gilt. Die erschreckend niedrigen Influenza- und die verbesserungswürdigen FSME-Impfraten zeigen den großen Handlungsbedarf für eine Ausweitung des bestehenden Impfangebots. Wir punkten mit Wohnortnähe und langen Öffnungszeiten. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, den Impfwilligen auch Impfungen in den Apotheken anzubieten. Viele ungeimpfte Personen suchen aktuell die Apotheke auf. Apotheken sind eine Art „Hotspot“ für Ungeimpfte. Es ist unverständlich, warum man diese große Chance nicht nutzt. Wie ein Blick in unsere Nachbarländer zeigt, lässt sich die Durchimpfungsrate so deutlich erhöhen. 1.500 Apothekerinnen und Apotheker in Österreich haben bereits eine nach internationalem Vorbild entwickelte Impffortbildung absolviert. Sobald die Politik den Startschuss für uns gibt, werden Sie sich auch in Ihrer Apotheke ums Eck impfen lassen können.
Warum ist das Klima zwischen der Ärzteschaft und den Apotheken auf standespolitischer Ebene aktuell so angespannt? Und wie lässt sich der Knoten lösen?
Ich würde das nicht pauschalisieren. Faktum ist: In den Reihen der Ärztekammer gibt es leider ein paar Vertreterinnen und Vertreter, die glauben, aus populistischen Aussagen und persönlichen Angriffen standespolitisches Kapital schlagen zu können und so beim aktuellen Wahlkampf in der Ärztekammer zu punkten. Glücklicherweise ist das eine kleine Randgruppe. Die Zusammenarbeit zwischen Ärztinnen/Ärzten und Apothekerinnen/Apothekern funktioniert sehr gut, das hat sich gegenüber früher nicht geändert.
Onlinehandel und Nachwuchsmangel werden auch den Apotheken künftig Probleme bereiten – wie wird die Versorgung mit Arzneimitteln in 5 bis 10 Jahren aussehen?
Niemand von uns hat eine Kristallkugel. Fest steht: Derzeit versorgen rund 1.400 gleichmäßig in Österreich verteilte Apotheken 365 Tage im Jahr die österreichische Bevölkerung. In der Apotheke ihres Vertrauens bekommen die Menschen nicht nur die Medikamente, die sie brauchen, sondern sie finden kompetente Ansprechpartnerinnen und -partner für alle Fragen rund um ihre Gesundheit und eine Anlaufstelle, an die sie sich mit ihren Sorgen wenden können. Damit ist sichergestellt, dass das benötigte Medikament im Bedarfsfall sofort in einer Apotheke in Wohnortnähe zur Verfügung steht. Bei einem Wegfall des Versandhandelsverbots für rezeptpflichtige Arzneimittel wären viele Apotheken in Österreich sowohl am Land als auch in der Stadt in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet und viele Arbeitsplätze – deutlich überwiegend von Frauen – bedroht. Gerade in ländlichen Gebieten würde damit ein weiterer wichtiger Nahversorger für die Bevölkerung wegfallen.
Der Trend scheint aber klar. Wie wollen Sie also gegensteuern?
Derzeit erlauben nur sechs der 27 EU-Staaten den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln, und das nur unter strengen Auflagen. Die Entwicklung in unserem Nachbarland Deutschland zeigt, wohin eine solche Liberalisierung führt: Studien belegen, dass die Apothekendichte in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Einführung des Fernabsatzes mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln in den vergangenen Jahren auf 23 Apotheken pro 100.000 Einwohner zurückgegangen ist und damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt. Die Anzahl der Präsenzapotheken ist damit auf den tiefsten Stand seit Mitte der 1980er-Jahre gesunken. Um dem Apothekensterben entgegenzuwirken und die Grundversorgung der Bevölkerung abzusichern, muss der Staat nun tief in die Tasche greifen. Das vom deutschen Bundestag beschlossene „Apothekenstärkungspaket“ sieht zusätzliche finanzielle Abgeltungen für Apotheken vor, um ihre Verluste abzufedern. Wir sollten in Österreich dafür sorgen, dass wir nicht in so eine Notsituation geraten, die eine erhebliche Verschlechterung der Versorgungsqualität mit sich bringen würde. Zu beachten ist auch: Bei den großen Online-Apotheken handelt es sich nicht um klassische Apotheken, sondern um börsennotierte, international agierende Online-Unternehmen. Der Arzneimittelversand wird meist aus einem vollautomatisierten Logistikzentrum im Ausland abwickelt. Die Geschäftsstrategie ist nicht die bestmögliche Betreuung der Patientinnen und Patienten, sondern die Maximierung des Gewinns für die Aktionärinnen und Aktionäre.