Behandlungsstrategien bei Harnwegsinfekten

Grundsätzlich entscheidet man zwischen unkomplizierten und komplizierten Harnwegsinfektionen (HWI). Aus dieser Einteilung heraus erfolgen auch die weitere Abklärung und Therapie. Für den unkomplizierten HWI stehen vor allem in der Erstlinie grundsätzliche andere Präparate mit kürzerer Therapiedauer zur Verfügung. Als unkompliziert klassifiziert man derzeit die akute Blasenentzündung der (prä-)menopausalen Frau ohne systemische Krankheitszeichen, urologische Begleiterkrankungen und mit stabiler Stoffwechsellage (Diabetes mellitus). Alle anderen Harnwegsinfektionen, zum Beispiel bei Frauen mit Immunsuppression oder urologischen Begleiterkrankungen sowie bei Männern, gelten als kompliziert.

Korrekte Harnprobe

In der Diagnostik stellt nach Anamnese und körperlicher Untersuchung (Stichwort: Flankenschmerz) die korrekt gewonnene Harnprobe einen wichtigen Eckpfeiler dar. Mittelstrahlurin wird beim „toilettentrainierten“ Kind und beim Erwachsenen als ausreichend angesehen. Hier sollte beim Mann die Vorhaut zurückgezogen, die erste Portion verworfen und ohne Stopp des Harnstrahls die Probe in einem sterilen ­Gefäß aufgefangen werden. Bei der Frau ist auf Grund der Kontamination zusätzlich die Reinigung des Genitals mit einigen wassergetränkten Tupfern notwendig; ein Desinfektionsmittel bringt hier keinen Vorteil. Eine Anleitung auf der Toilette kann hier als Hilfestellung angeboten werden. Im Zweifel sollte man mittels Einmalkatheter Harn gewinnen – in der Routine ist dies aber nicht notwendig. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist grundsätzlich Katheterharn aufgrund der schwierigen anderweitigen Abgabe zu bevorzugen.

Lokale Resistenzen kennen

Bevor eine antibiotische Therapie begonnen wird, ist es wichtig, über die lokale Resistenzlage Bescheid zu wissen, da man grundsätzlich die Therapie empirisch beginnt und das Ergebnis einer eventuell nötigen Harnkultur erst einige Tage später erhält. Hierzu werden von den mikrobiologischen Laboratorien beziehungsweise Hygieneinstituten eigene Statistiken erstellt, welche meist über deren Website online verfügbar sind. Sollte ein analysierendes Labor ein solches Service nicht anbieten, ist es in Österreich aufgrund der eher ausgeglichenen Resistenzlage vertretbar, die Ergebnisse des Hygieneinstitutes der nächstgelegenen Medizinischen Universität abzurufen.

Bei der Interpretation der Harnkultur sollte auf die Keimzahl in Verbindung mit der Symptomatik geachtet werden. Kontaminationen (zum Beispiel durch Staphylokokken oder Enterokokken in niedriger Keimzahl) sollten korrekt interpretiert und nicht behandelt werden.

Unkomplizierter HWI

Obwohl die Zystitis der gesunden Frau eine Erkrankung mit geringem Gefahrenpotenzial darstellt, stellen vor allem rezidivierende Zystitiden eine nicht zu unterschätzende Belastung für den Menschen selbst, aber auch für die Gesellschaft dar. Eine Frau leidet durchschnittlich 6 Tage an den Symptomen, wovon bis zu 2 Tage zu Hause verbracht werden.
Bei der unkomplizierten Zystitis ist der Harnstreifentest einer korrekt abgegebenen Harnprobe, die Anamnese und eine körperliche Untersuchung ausreichend. Das Anlegen einer Harnkultur sowie eine Kontrolle bei Beschwerdefreiheit nach Therapie sind nicht nötig.
Da die Zystitis der sonst gesunden Frau eine benigne Erkrankung mit hoher Selbstheilungsrate darstellt, kann man guten Gewissens bei leichter bis milderer Symptomatik den nichtantibiotischen Therapieweg wählen. Hierzu existieren einige wenige Studien, die vor allem mit nichtsteroidalen Antiphlogistika (zumeist Ibuprofen bis zur Maximaltagesdosis von 2.400 mg) in hoher Dosierung durchgeführt wurden. Eine zuletzt veröffentlichte Studie konnte für die Pflanzenkombination aus Rosmarin, Liebstöckel und Tausendgüldenkraut ähnliche Ergebnisse zeigen. Die Datenlage zu anderen Präparaten ist sehr dünn, und hier wäre die Durchführung guter klinischer Studien zu begrüßen, um den Patientinnen mehr Alternativen anbieten zu können. Zumeist ist die Symptomdauer geringfügig länger, und am Ende stehen etwas öfter daraus resultierende Pyelonephritiden ohne sonstige Komplikationen der antibiotischen Therapie gegenüber. Da die Resistenzlage immer dramatischer wird und Antibiotika für den Organismus selbst eine nicht zu verachtende Belastung darstellen, sollten die Patientinnen über die guten alternativen Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt werden.

In der antibiotischen Therapie werden von den derzeit gültigen Leitlinien seit längerem die gleichen Präparate empfohlen. Diese haben sich aufgrund ihrer sehr guten Wirksamkeit gegen E. Coli (zu 75 % auslösender Erreger), der sehr niedrigen Resistenzrate und der kurzen Therapiedauer bewährt:

Diese drei Präparate können, abgesehen von Nitrofurantoin, im 3. Trimenom auch problemlos in der gesamten Schwangerschaft angewendet werden.
Andere Präparate, wie zum Beispiel Amoxicillin + Clavulansäure, Cephalosporine oder Trimethoprim/Sulfonamid, sollten in der Erstlinie nicht verordnet werden. Gegen den Einsatz der beliebten Fluorchinolone/Gyrasehemmer, vor allem in der Erstlinie, spricht die derzeitige Resistenzlage sowie die von der European Medicines Agency und vom Bundesministerium für Gesundheit herausgegebene Warnung aufgrund möglicher Nebenwirkungen.

Sollte im gleichen Patientinnengut eine Pyelonephritis auftreten, gilt diese ebenso als unkompliziert. Die Anlage einer Harnkultur sowie eine Kontrolle nach Abschluss der Therapie wird empfohlen. Hier sollte man Anamnese und klinische Untersuchung auf eine eventuelle Obstruktion hin ausrichten (Steinanamnese? Koliken? eventuell Sonografie), da diese unbedingt eine urologische Betreuung mit Ableitung benötigt. Eine nichtantibiotische Therapie wird hingegen nicht mehr empfohlen.
Zur Auswahl stehen hier – angepasst an den lokalen Resistenzbericht – Cephalosporine (zum Beispiel Cefuroxim 500 mg 2-mal 1, Cefpodoxim 200 mg 2-mal 1, ­Cefixim 400 mg 1-mal 1) sowie Fluorochinolone (Ciprofloxacin 500 mg 1-mal 1, ­Levofloxacin 750 mg 1-mal 1). Die Anwendungsdauer beträgt in Abhängigkeit der Symptome und des Antibiotikums 5, 7 oder 10 Tage.

Komplizierter HWI

Alle komplizierten HWI brauchen eine tiefergreifende Behandlung und meist in weiterer Folge eine Abklärung durch einen Facharzt für Urologie. Initial stehen bei leichten Verlaufsformen die gleichen Antibiotika wie bei der unkomplizierten Pyelonephritis zur Verfügung. Bei schwerem Verlauf bis hin zur Urosepsis stehen zusätzlich intravenöse Betalaktamantibiotika, Cephalosporine bis zur 5. Generation, Fluorchinolone, Makrolide und Carbapeneme als Reserve zur Verfügung.

Rezidivprophylaxe

Zur Vermeidung beziehungsweise zur Reduktion von Harnwegsinfektionen existiert eine Vielzahl von Strategien und eine noch viel größere Anzahl von Präparaten. Dazu zählen unter anderem Phytotherapeutika, pflanzenbetonte Ernährung, Probiotika sowie Verhaltensmaßnahmen hinsichtlich Sexualität, Miktion und Hygiene und Allgemeinmaßnahmen zur Immunstimulation. Im Folgenden werden die antibiotikabasierten Therapiestrategien besprochen, welche auch durch die europäischen Leitlinien bei Versagen anderer Methoden empfohlen werden.

Generell sollte bei der Verschreibung immer auf die lokalen Resistenzberichte und die individuelle Harnkultur als Referenz geachtet werden.

Kontinuierliche Antibiose

Die niedrig dosierte Dauerantibiose ist im Vergleich zu allen anderen angeführten Möglichkeiten jene mit der höchsten Effizienz bei vergleichsweise höchster Rate an Nebenwirkungen und naturgemäß an Resistenzen.
Sie sollte in abhängig von Leidensdruck und der geplanten Abklärung sowie der weiteren Therapie in Absprache mit der Patientin über 3, 6 bis hin zu 9 Monaten ohne Pause fortgeführt werden. Auf den ersten Blick wirkt die eingenommene Menge groß, aber im Vergleich zu ständigen Rezidiven ist der Antibiotikaverbrauch tatsächlich niedriger. Als Präparate stehen zum Beispiel Nitrofurantoin 50–100 mg/d, Cefalexin 250 mg/d und Trimethoprim 100 mg/d zur Verfügung. Alternativ existieren auch Schemata mit Pausen; hier ist jenes mit Fosfomycin 3 g peroral 1-mal 1 alle 3 Tage das am besten untersuchte.

Postkoitale Antibiose

Da Geschlechtsverkehr (GV) einen starken Risikofaktor darstellt (9-mal GV/Monat = Odds Ratio von 11), existiert das Konzept der einmaligen niedrig dosierten postkoitalen Antibiose. Es können die gleichen Präparate wie für die kontinuierliche Antibiose innerhalb von 2 Stunden nach GV im „off-label use“ angewandt werden (siehe oben).

Patienteninitiierte Antibiose

Da Frauen sogar „wissenschaftlich erwiesen“ ein gutes Körpergefühl hinsichtlich Erkennung eines HWI aufweisen, ist die „On demand“-Antibiose ebenfalls eine Möglichkeit, wie Frauen frühzeitig einen HWI bekämpfen können. Hier können die Frauen selbst entscheiden, ob sie gleich ab dem ersten Symptom selbst behandeln möchten oder ob ein eventuelles Abwarten mit selbstständiger Besserung eine Option darstellt. Als Therapie stehen die gängigen Präparate zur Therapie des unkomplizierten HWI im Vordergrund.

Leitlinien online verfügbar

Sollten in der Therapie der Harnwegsinfektionen weiterführende Fragen auftauchen, stehen sehr gute deutschsprachige Leitlinien sowohl für Erwachsene als auch für Kinder von der AWMF (Arbeits-gemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) zur Verfügung. Sie wurden gemeinsam von unter anderem Allgemeinmedizinern, Urologen und Pädiatern erstellt und stellen quali-tativ hochwertige und sehr gut recherchierte Behandlungsempfehlungen dar. Diese Leitlinien sind unter www.awmf.org/leitlinien/ und dem Stichwort „Harnwegsinfektion“ für jedermann als Kurz- und Langfassung abrufbar.