Harninkontinenz (Incontinentia vesicae) ist eines der häufigsten Krankheitsbilder überhaupt. Laut Schätzung der Mediznischen Kontinenzgesellschaft Österreich sind 5 von 100 Erwachsenen inkontinent, bis etwa zum 65. Lebensjahr vor allem Frauen. Aufgrund ihrer Anatomie sind sie besonders oft von einer Belastungs- bzw. Stressinkontinenz betroffen. Mit 35–40 % stellt diese die häufigste Inkontinenzform bei Frauen dar, vor Dranginkontinenz, überaktiver Blase, Enuresis nocturna, Mischharninkontinenz, Überlaufinkontinenz, Reflexinkontinenz, extraurethraler Harninkontinenz und einigen Sonderformen.
Per definitionem bezeichnet man unwillkürlichen Urinverlust jeglicher Art als Harninkontinenz, bei der Belastungsinkontinenz kommt dieser durch körperliche Anstrengung zustande, ohne dass ein entsprechender Harndrang vorliegen würde. Grundlage dafür ist eine Schwächung des urethralen Bandapparates und/oder des Beckenbodens, der normalerweise die Blase und den M. sphincter urethrae stützt, etwa aufgrund vaginaler Geburten, schwerer körperlicher Arbeit, Übergewicht oder chronischer Bronchitis bei Raucher:innen sowie im Rahmen einer Absenkung von Vagina und Uterus. Wird dann der abdominelle Druck erhöht, verhindern einerseits die gelockerten Ligamenta pubourethralia eine ausreichende Kompression der mittleren Urethra, andererseits überschreitet der Druck auf und in der Blase die Schließkraft des Sphinkters. Nach der Einteilung von Stamey und Ingelman-Sundberg unterscheidet man drei Schweregrade einer Belastungsinkontinenz, je nachdem, ob der Urinverlust erst bei schwerer körperlicher Belastung und plötzlichem abdominellem Druckanstieg wie Sport, Husten, Niesen oder Lachen (Grad 1), bei leichter Belastung oder plötzlichen Bewegungen wie Heben, Gehen, Aufstehen oder Treppensteigen (Grad 2) oder bereits unabhängig von Belastung beim Stehen (Grad 3) erfolgt.
Die Belastungsinkontinenz ist also auf eine Störung der Harnrückhaltung zurückzuführen – im Gegensatz zu einer Inkontinenz mit chronischer Harnretention, bei der eine Harnentleerungsstörung vorliegt. Die therapeutischen Maßnahmen erstrecken sich von lebensstilbezogenen Interventionen über Verhaltens- bzw. Physiotherapie (z. B. Blasen- und Beckenbodentraining, Elektrostimulation), Pessartherapie zur Stabilisierung und pharmakologische Therapie bis hin zu chirurgischen Eingriffen. Bei Grad 1 und 2 werden in erster Linie konservative Maßnahmen empfohlen: Vor allem Beckenbodentraining, Gewichtsreduktion, die Anpassung der Trinkmenge (tagsüber ausreichend, abends wenig) und die Vermeidung bzw. Behandlung auslösender Faktoren zeigen einen positiven Effekt. Medikamentös kommen Arzneistoffgruppen zur Erhöhung des Widerstandes der verschließenden Strukturen zum Einsatz, wie β-Rezeptor-Agonisten und α-Rezeptor-Antagonisten, in der Menopause lokal appliziertes Östrogen. Aus dem Reich der Phytotherapie können Kürbiskerne (Cucurbitae semen), Frucht der Sägepalme (Sabalis serrulatae fructus), Brennnesselwurzel (Urticae radix) sowie Pollenextrakte angewendet werden.