Beratungsleitfaden: Gelenkschmerzen

Somit übernimmt die Apotheke eine wichtige Rolle bei der Früherkennung der Erkrankung, denn eine frühe ­Diagnose ist für den Erfolg therapeutischer Maßnahmen enorm wichtig.
Die Ursachen akuter Gelenkschmerzen sind vielfältig: von stumpfen Sportverletzungen oder entzündlichen Gelenk­erkrankungen bis hin zu Infektionen. Die weltweit häufigste Ursache ist die Gelenkabnutzung, die ­Arthrose. Bei den 70- bis 80-Jährigen sind bereits über 80 % von Arthrose betroffen. Dass Frauen häufiger von Arthrose betroffen sind, zeigt, dass wahrscheinlich auch hormonelle Faktoren eine Rolle spielen. Neben dem Alter können auch Fehlstellungen, Überbelastung durch schwere körperliche Arbeit, Verletzungen der Gelenke, Extremsport oder Übergewicht das Auftreten einer Arthrose begünstigen.

Die Erkrankung ist durch einen fortschreitenden Knorpelverlust gekennzeichnet, der im Krankheitsverlauf zunehmende Gelenkschmerzen und Bewegungsbeeinträchtigungen verursacht. Im fortgeschrittenen Stadium nimmt die Lebensqualität deutlich ab, und in weiterer Folge kommt es zu Einschränkungen der Mobilität und Selbstständigkeit.

Auf den ersten Blick / Wirksames für die Selbstmedikation

Bei Entzündungen: Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Naproxen

Topisch applizierte NSAR: z. B. Diclofenac, Ibuprofen, Diethylaminsalicylat, Ketoprofen in Form von Gelen, Cremes, Sprays oder Pflastern

Alternative Therapieoptionen

Phytotherapie: Kurkuma, Teufelskralle, Weihrauch, Weidenrinde, Brennnessel, Bambusextrakt, Goldrute, Capsaicin, Hagebuttenextrakt u. a.

ätherische Öle: z. B. Kampfer, Pfefferminzöl, Rosmarinöl, Eukalyptusöl u. a.

Chondroprotektiva: Chondroitinsulfat, Glucosamin

Nahrungsergänzungen: Magnesium, Vitamin C, Vitamin E, Kupfer, Mangan, Zink, Selen, Kalzium, Vitamin D, Vitamin K und Omega-3-Fettsäuren


Fragen für den Einstieg in das Beratungsgespräch

  • Seit wann bestehen die Gelenkschmerzen? Welche Gelenke sind von den Schmerzen betroffen?
  • Wie ist der Schmerzcharakter (⇒ siehe unten)?
  • Wann und wie tritt der Schmerz auf?
  • Sind Begleitsymptome vorhanden?
  • Welche Mittel und Maßnahmen wurden bisher ausprobiert? Mit welchem Erfolg?

Lange Zeit wurde die Arthrose für eine unvermeidliche Alterserscheinung bzw. Gelenkabnützung gehalten; tatsächlich ­handelt es aber um eine sehr komplexe Erkrankung, bei deren Entstehen mehrere Faktoren eine Rolle spielen ⇒ Zerstörung von Kollagen in der Knorpeloberfläche und Verlust von Knorpelsubstanz; betroffen sind vor allem die Knie- (Gonarthrose) und die Hüftgelenke (Coxarthrose); aber auch die Fingergelenke, Groß­zehengrundgelenke und die Wirbelsäule; prinzipiell kann die Erkrankung alle Gelenke erfassen.

Mögliche Risikofaktoren

  • genetische Veranlagung
  • Missverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit der Gelenke
  • einseitige Überbelastung im Beruf oder beim Sport, z. B. bestimmte Berufsgruppen, Leistungssportler:innen
  • angeborene oder verletzungsbedingte Fehlstellungen
  • Übergewicht ⇒ Übergewicht ist ein wesentlicher Trigger für die Entstehung und Progression einer Kniegelenkarthrose.
  • Stoffwechsel ⇒ aus dem weißen Fettgewebe freigesetzte Zytokine (TNF-alpha) spielen eine wesentliche Rolle bei der Knorpeldestruktion; es konnten erhöhte Zytokin-Spiegel in den betroffenen Gelenken nachgewiesen werden, welche die Produktion der knorpelabbauender Enzyme Kollagenase und Stromelysin fördern.
  • Alter ⇒ auch ohne eine vorangegangene Überbelastung, weil sich der schützende Knorpel auf den Gelenkflächen im Alter nicht mehr ausreichend erneuert

Symptome

Die Symptome können individuell sehr unterschiedlich sein. Wichtig! Eine plötzliche Verschlechterung der Symptome sollte aber immer auch an andere Erkrankungen denken lassen.

  • Leitsymptom ⇒ Gelenkschmerzen, die sich bei Bewegung verschlechtern und in Ruhe bessern
  • Anlaufschmerz, Ermüdungsschmerz, Belastungsschmerz ⇒ häufig abhängig von der Witterung (Kälte, Nässe) und Belastung
  • häufig verbunden mit einem „knirschenden Gefühl“ oder mit „Reibegeräuschen“ ⇒ Aufrauhung der normalerweise glatten Knorpeloberflächen
  • im fortgeschrittenen Stadium ⇒ Dauerschmerz, Nachtschmerz, Muskelschmerz; erhebliche Bewegungseinschränkungen bis zur Muskelsteife

Zu beachten! Erfolgt keine Therapie oder setzt diese erst sehr spät ein, kommt es zu einer Verformung und Verknöcherung des Gelenks.

Abgrenzung zu anderen Erkrankungen (Schmerzcharakter)mechanischer Schmerzcharakter bei Arthrose

  • Schmerzmaximum nachmittags und abends
  • belastungsabhängige Schmerzen mit Linderung durch Ruhestellung
  • Anlaufschmerzen
  • kurzdauernde Morgensteifigkeit (wenige Minuten)

entzündlicher Schmerzcharakter, z. B. Arthritis

  • Schmerzen treten bereits nachts oder frühmorgens auf.
  • Ruheschmerzen ohne Linderung durch Lagewechsel
  • anhaltende Morgensteifigkeit (mehr als 30 Minuten)
  • schleichender Beginn meist an Händen und Füßen, v. a. Großzehengelenk

⇒ Bei Verdacht auf eine entzündliche Gelenkerkrankung Arztbesuch und Abklärung der Beschwerden dringend empfehlen!

Gelenkschmerzen kommen auch im Rahmen anderer Grunderkrankungen vor, wie z. B.

  • Gicht ⇒ meist nachts oder frühmorgens auftretende heftige Schmerzen; häufig im Großzehengrundgelenk mit Rötung; Schwellung und Überwärmung; kann auch isoliert im Kniegelenk oder als Schleimbeutelentzündung im Ellbogen auftreten
  • Osteoporose ⇒ diffuse und chronische Schmerzen; besonders Rückenschmerzen; spontane Knochenbrüche
  • Lyme-Borreliose ⇒ Lymphknotenschwellung; Muskel- und Gelenkschmerzen; im weiteren Verlauf Gelenkentzündung (häufig Knie- und Sprunggelenk)

Therapieoptionen

Therapieziel ⇒ Reduktion der Schmerzen und im Falle einer sekundären Entzündung auch eine Entzündungshemmung, Verbesserung der Funktion und Beweglichkeit der Gelenke

Nichtmedikamentöse Therapie

hat einen hohen Stellenwert und gilt als Basistherapie, z. B.:

  • richtige Balance zwischen Bewegungs- und Ruhephasen finden, Reduktion von Übergewicht, gelenkschonendes Verhalten im Alltag, sanfte Bewegung, gelenkschonende Sportarten, z. B. Schwimmen und Radfahren, ausgewogene Ernährung mit ausreichender Zufuhr an ungesättigten Fettsäuren
  • physiotherapeutische Maßnahmen ⇒ muskelstärkende körperliche Bewegung bzw. gezieltes Muskeltraining, Kälte- und/oder Wärmeanwendungen, Hydro- und Balneotherapie zur Mobilisierung, Muskelkräftigung und -dehnung, Elektrotherapie, Akkupunktur
  • orthopädische Maßnahmen ⇒ z. B. Bandagen, Orthesen, Gehhilfen u. a.

Medikamentöse Therapie

Systemische NSAR

  • bei Entzündungszeichen ⇒ Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Naproxen; wirken sowohl analgetisch als auch antiphlogistisch, d. h., neben den Schmerzen werden auch Schwellungen reduziert; ideal nach Absprache mit dem/der Ärzt:in bzw. als Übergangslösung, wenn keine ärztliche Behandlung möglich ist; bei längerfristiger Einnahme von NSAR ⇒ „Magenschutz“ und Kontrolle von Nieren- und Leberwerten; individuelle Kontraindikationen und Interaktionen beachten; auf die maximalen Höchstdosen und eventuell auftretende unerwünschte Arzneimittelwirkungen ist hinzuweisen.
  • bei leichten Beschwerden ohne Entzündungszeichen ⇒ Paracetamol; Warnhinweis! Aufgrund von Lebertoxizität keine Überschreitung der Tagesmaximaldosis

Topisch applizierte NSAR

Eine Reihe nationaler und internationaler Leitlinien1 sieht die ­topische Applikation von NSAR als eine frühe Option zur ­Therapie symptomatischer Beschwerden bei Arthrose; vor allen bei ­geringfügigen bis moderaten Gelenkschmerzen ⇒ z. B. Diclofenac, Ibuprofen, Diethylaminsalicylat, Ketoprofen in Form von Gelen, Cremes, Sprays oder Pflastern.

Alternative Therapieoptionen

Immer häufiger erkundigt sich der/die Apothekenkund:in nach alternativen bzw. unterstützenden Behandlungsmethoden bei Bewegungsschmerzen. Gerade in diesem Bereich haben sich in den letzten Jahren qualitativ sehr gute Produkte etabliert. Die Einnahme von pflanzlichen Mitteln und verschiedenen Nahrungsergänzungen stellt eine wichtige unterstützende Maßnahme dar.

Phytotherapie

Nicht zur akuten Schmerzlinderung, aber bei längerer Einnahme ⇒ eventuell Reduktion der NSAID-Dosierung möglich ⇒ Kurkuma, Teufelskralle, Weihrauch, Weidenrinde, Brennnessel, Bambusextrakt, Goldrute, Capsaicin, Hagebuttenextrakt u. a.; wichtiger Beratungstipp! Die Wirkung tritt meist erst nach einer Einnahmedauer von einigen Wochen ein.

Ätherische Öle

Zur unterstützenden Behandlung von Gelenk- und Muskelschmerzen sind hochdosierte Kombinationen aus ätherischen Ölen eine wirksame Option ⇒ wirken schmerzlindernd, entzündungshemmend, entspannend: z. B. Kampfer, Pfefferminzöl, Rosmarinöl, Eukalyptusöl u. a.

Chondroprotektiva

Knorpelschützende Substanzen können bei regelmäßiger Einnahme die Schmerzen lindern, die Beweglichkeit verbessern und den Gelenkknorpel von innen stärken ⇒ Chondroitinsulfat, Glucosamin

Nahrungsergänzungen

Der Knorpel holt sich die Nährstoffe (Eiweiß, Glukose, Hyaluronsäure, Vitamine, Spurenelemente, essenzielle Fettsäuren) vor allem aus der Gelenkflüssigkeit; vor allem Magnesium, Vitamin C, Vitamin E, Kupfer, Mangan, Zink, Selen, Kalzium, Vitamin D, Vitamin K und Omega-3-Fettsäuren sind sinnvolle Nahrungsergänzungen bei Arthrose.

Empfehlung der Internationalen Arthrose-Gesellschaft

Alternatives „Analgetikum“ ⇒ Serotonin-/Noradrenalin-­Wiederaufnahmehemmer Duloxetin bei Knie- und Multigelenk-Arthrosen; die Schmerzhemmung wird durch eine Erhöhung der Serotonin- und Noradrenalin-Aktivität im ZNS erklärt.

Arztbesuch empfehlen

  • bei Verdacht auf entzündliche Gelenkschmerzen
  • wiederholtes Auftreten der Beschwerden
  • Steifigkeit von Gelenken
  • Bewegungseinschränkung
  • Psoriasis
  • starke Schmerzen
  • allgemeines Krankheitsgefühl

⇒ Bei länger andauernden Gelenkschmerzen muss die Ursache von einem/einer Ärzt:in abgeklärt werden; dies gilt auch für Beschwerden, die plötzlich und ohne vorhergehende stärkere Belastungen auftreten.


Epilog

Vor allem bei Bewegungsschmerzen aufgrund von Arthrose und rheumatischen Erkrankungen ist die Anpassung des Lebensstils ein wichtige Präventionsmaßnahme.

Dazu zählt in erster Linie die Vermeidung bzw. Reduzierung von Übergewicht und regelmäßige Bewegung. Moderate sportliche Aktivitäten unterstützen die Gelenkknorpel­ernährung und beeinflussen die Gelenkfunktion positiv. Eine Kräftigung der gelenkführenden Muskulatur, zum Beispiel durch eine gezielte Physiotherapie, führt zu einer Stabilisierung des Gelenks. Muskuläre „Dysbalancen“ werden beseitigt, und das betroffene Gelenk wird entlastet.

Aber auch diätetische Maßnahmen wie gesunde, basenreiche Ernährung, Zufuhr von Antioxidanzien und Einschränkung des Alkohol- und Nikotinkonsums haben einen positiven Einfluss auf die Regenerationsprozesse und auch auf das Krankheitsbild insgesamt. Weiters ist das Vermeiden von einseitigen Gelenkbelastungen wie langes Knien, Hocken oder Bücken eine wichtige Präventionsmaßnahme.

Schonhaltung vermeiden

Zusätzlich besteht die Gefahr, dass sich die Betroffenen mit ihrem Leiden abfinden – mit gravierenden Folgen für das Bewegungsverhalten. Der Körper wird übermäßig geschont, und durch die verminderte Beweglichkeit und Leistungsfähigkeit werden Muskeln, ­Gelenke und der gesamte Organismus weiter geschwächt.

Sonderfall Östrogenmangel

Mehr als die Hälfte der Frauen leidet während und nach den Wechseljahren neben anderen Beschwerden auch unter Schmerzen in Gelenken und Muskeln.2 Auch wenn Gelenkschmerzen eine eher weniger bekannte Beeinträchtigung im Wechsel sind, treten diese in der Menopause dennoch relativ häufig auf. Eine mögliche Ursache sind die Hormonveränderungen. Da aber kein konsistenter Zusammenhang mit den Wechseljahren vorliegt, zählen Gelenkschmerzen, anders als Schweißausbrüche, Hitzewallungen und Atrophie im Urogenitalbereich, nicht zu den typischen Wechseljahrsymptomen. Untersuchungen zufolge können die hormonellen Veränderungen in den Wechseljahren aber zu Symptomen wie Gelenkbeschwerden führen. Am häufigsten treten die Beschwerden in Knie, Nacken, Rücken, Händen, Schultern und Hüfte auf. Die Beschwerden äußern sich als Schmerzen, Steifigkeit sowie Schwellungen und lassen im Laufe des Tages oft nach. Eine Beobachtung aus klinischen Studien zeigt, dass Aromatasehemmer wie Anastrozol bei Frauen mit einem Mammakarzinom Gelenkbeschwerden als Nebenwirkung verursachen können. Beim Absetzen der Therapie verschwinden auch die Beschwerden wieder. Auch bei Frauen, die eine Hormonersatztherapie plötzlich absetzen, können Gelenkbeschwerden auftreten.

Beratungstipp

Die Ursachen akuter Gelenkschmerzen sind vielfältig, von stumpfen Sportverletzungen über entzündliche Gelenkerkrankungen bis hin zu Infektionen.