Beratungsleitfaden: Müdigkeit und Erschöpfung

Müdigkeit und Erschöpfung sind häufige Beratungsthemen in der Apotheke.
Die Betroffenen klagen über Schlappheit, Energiemangel, eine empfindlich gestörte Lebensqualität und eine ausbleibende Regeneration durch fehlenden Schlaf mit körperlichen und psychosozialen Veränderungen. Es besteht die Gefahr eines Circulus vitiosus, da die Betroffenen durch die fehlende Regeneration immer inaktiver werden.

Laut S3-Leitlinie „Müdigkeit“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)1 ist Müdigkeit keine Krankheit, sondern ein Symptom, das sehr häufig vorkommt und dessen Ursachen sehr vielfältig sein können. In der Leitlinie wird das Symptom auch oft in Zusammenhang mit Depressionen, dem chronischen Fatigue-Syndrom oder einer Schlafapnoe gesehen. In vielen Fällen bleibt die Ursache für Müdigkeit und Erschöpfung aber ungeklärt, da auch andere Faktoren wie z. B. emotionale Belastungen oder verschiedene Infekte zu einem länger andauernden Müdigkeits- und Erschöpfungsgefühl führen können.

Auf den ersten Blick / Wirksames für die Selbstmedikation

Adaptogene:

  • Rosenwurzel
  • Taigawurzel
  • Ginseng-Extrakt

Roboranzien

  • Vitamine, v. a. die B-Vitamine B6, B12, Folsäure
  • Eisen, Magnesium, Zink, Selen, Coenzym Q10
  • Aminosäuren ⇒ L-Arginin, L-Asparaginsäure, L-Glutamin, L-Carnitin, L-Tryptophan
  • Omega-3-Fettsäuren, Lezithin
  • Taurin, Koffein
  • Knoblauch, Ginkgo biloba, Wilder Grünhafer
  • Phosphatidylserin

Folgende Fragen sollen helfen, die Beschwerden abzugrenzen:

  • Seit wann bestehen die Beschwerden? Wie zeigen sich diese im Tagesablauf?
  • Mögliche bekannte Ursachen für die Müdigkeit?
  • Welche Medikamente werden eingenommen? Genussmittel?
  • Welche Maßnahmen wurden bereits eingeleitet? Waren diese erfolgreich?

Wichtige Abklärung

Ist die Müdigkeit noch normal, oder liegt bereits ein Warn- und Alarmsymptom für eine Erkrankung vor?

  • Alle Menschen sind ab und zu müde, und die häufigsten Ursachen sind ein Mangel an Schlaf, Stress und/oder Überarbeitung.
  • Es ist ein wichtiger Unterschied, ob sich der/die Betroffene von einer normalen Tagesmüdigkeit wieder angemessen erholen kann oder aber in seiner Lebensqualität stark eingeschränkt ist.
  • Rasche Ermüdung und abnorme Tagesschläfrigkeit haben nicht nur körperliche, sondern auch seelische und psychosoziale Konsequenzen im Alltag und sind ernst zu nehmende Warnsignale, die ärztlich abgeklärt werden sollten.

Mögliche Symptome

  • Schläfrigkeit, Schwäche, Unlust, Antriebslosigkeit
  • „seelische“ Erschöpfung
  • physische Zerschlagenheit trotz ausreichenden Schlafs („wie gerädert“)
  • Konzentrationsschwäche, mangelnde Leistungsfähigkeit

Ursachensuche an erster Stelle

In der S3-Leitlinie „Müdigkeit“1 ist nicht jene Müdigkeit gemeint, für die der/die Betroffene äußere Gründe ausmachen kann, sondern vor allem eine ungeklärte und unverhältnismäßige Müdigkeit, deren Ursachen nicht direkt ersichtlich sind. Weiters empfiehlt die Leitlinie bei der Diagnostik und Therapie von Müdigkeit verschiedene qualitative Komponenten zu berücksichtigen, wie z. B.:

  • emotionale Aspekte (Antriebslosigkeit, Motivationsmangel, Unlust, Traurigkeit, niedergedrückte Stimmung),
  • kognitive Aspekte (verminderte geistige Aktivität bzw. Leistungsfähigkeit) und
  • körperliche Aspekte (muskuläre Schwache).

Mögliche Ursachen

Häufig werden hohe Anforderungen im Beruf und Doppelbelastung durch Arbeit und Familie für Müdigkeit und Erschöpfung verantwortlich gemacht, aber auch die allgemeine wirtschaftliche beziehungsweise politische Lage sowie die Informationsflut und die Medien. Bei älteren Menschen sind es vor allem gesundheitliche Gründe. Ein Auslöser für chronische Müdigkeit ist das Long- bzw. Post-COVID-Syndrom.

1. Lebensumstände:

  • Schlafmangel (auch aufgrund von krankheitsbedingten Schlafstörungen, z. B. Schlafapnoe, Narkolepsie)
  • Bewegungsmangel, Übergewicht
  • Flüssigkeitsmangel, fett- und kalorienreiches Essen
  • Mangel an Mikronährstoffen, v. a. B-Vitaminen
  • Stress, Überarbeitung, Unterforderung, Kummer, Sorgen in Beruf und Privatleben
  • Wachstum, körperliche Entwicklungsphasen bei Kindern und Jugendlichen
  • prämenstruelles Syndrom, Wechseljahre, am Beginn einer Schwangerschaft
  • Jahreszeit, z. B. Frühjahrsmüdigkeit

2. Psychische Erkrankungen:

  • Burn-out-Syndrom, Depression, Angststörungen
  • Alkoholmissbrauch, Alkoholentzug
  • Drogenkonsum, Medikamentensucht
  • neurologische Erkrankungen, z. B. Parkinson, multiple Sklerose, Demenz, Migräne

3. Akute und chronische Erkrankungen:

  • Schlafapnoe, Schilddrüsenunterfunktion, Diabetes Typ I und Typ II, rheumatische Erkrankungen, Allergien, Fibromyalgie, niedriger Blutdruck, Lungenerkrankungen wie z. B. chronische Bronchitis, COPD, Tumoren u. a.
  • Erkältung, Grippe, chronische Sinusitis, Pfeiffersches Drüsenfieber
  • chronisches Müdigkeitssyndrom ⇒ komplexes und schwer fassbares Krankheitsbild mit anhaltender Erschöpfung ohne erkennbaren Grund
  • Anämie, z. B. Vitamin B12-Mangel-Anämie
  • Darmerkrankungen und Nahrungsmittelunverträglichkeiten ⇒ mangelnde Aufnahme von Mikronährstoffen, z. B. Morbus Crohn, Zöliakie

4. Arzneistoffe und/oder Genussmittel

  • Müdigkeit kann auch ein vorübergehender oder dauerhafter Nebeneffekt vieler Arzneistoffe und/oder Genussmittel sein ⇒ meist abhängig von der Einnahmedauer und der Dosierung des betroffenen Medikamentes bzw. Genussmittels.
  • Arzneimittel, z. B. Sedativa, Hypnotika, Antihistaminika, Migränemittel, z. B. Triptane, Antikonvulsiva, Antidepressiva, v. a. trizyklische AD, Neuroleptika, Opiate, Interferone, Antihypertensiva, z. B. Betablocker, Alpha-1-Rezeptorenblocker, ACE-Hemmer oder Substanzen wie Clonidin oder Moxonidin
  • Genussmittel, z. B. Alkohol, Drogen (Cannabis), zuckerreiche Ernährung (können Vitaminmangel provozieren v. a. B-Vitamine)

SELBSTmedikation

Adaptogene: gegen Erschöpfung und Stress ⇒ erhöhen die Widerstandskraft des Körpers gegen Stress und andere schädigende Milieubedingungen wie akute und chronische Erkrankungen, psychische Erkrankungen, u. a.

  • Rosenwurzel (Rhodiola rosea)
  • Borstige Taigawurzel (Sibirischer Ginseng, Eleutherococcus senticosus)
  • Ginseng-Extrakt

Roboranzien (Tonika und Aufbaupräparate): enthalten in der Regel Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Aminosäuren und/oder Pflanzenextrakte; meistens Kombinationspräparate

  • Vitamine, v. a. die B-Vitamine B6, B12, Folsäure
  • Eisen, Magnesium, Zink, Selen, Coenzym Q10
  • Aminosäuren ⇒ L-Arginin, L-Asparaginsäure, L-Glutamin, L-Carnitin, L-Tryptophan
  • Omega-3-Fettsäuren, Lezithin
  • Taurin, Koffein
  • Knoblauch, Ginkgo biloba, Wilder Grünhafer
  • Phosphatidylserin

Weitere Optionen

  • ausgeglichener Säure-Basen-Haushalt ⇒ basische Ernährung bzw. Basenpulver
  • gesunde Darmflora ⇒ Pro- und Präbiotika

Beratungstipps

  • Ein kurzes Nickerchen zwischendurch kann helfen (nie länger als 30 Minuten).
  • Bei Stress und Überforderung müssen die Signale der Erschöpfung ernst genommen werden.
  • Reizüberflutung, z. B. durch Radio, Fernsehen, vermeiden.
  • Bei Schlafstörungen die Einschlafrituale und den Schlafplatz überprüfen, z. B. wenig Alkohol vor dem Schlafengehen und ein ruhiger Raum zum Schlafen sind wichtige Voraussetzungen für einen erholsamen Schlaf.
  • beim chronischen Müdigkeitssyndrom ⇒ Stärkung des Immunsystems mit Vitaminen, Nährstoffen oder anderen Präparaten zur Abwehrsteigerung
  • Bei niedrigem Blutdruck ⇒ morgens langsam aufstehen, Bürstenmassage und Wechselduschen, belebende Dusch- oder Badezusätze verwenden.
  • ausgewogene, vollwertige Ernährung, Sport und Bewegung, ausreichend Schlaf, sinnvoller Wechsel zwischen Belastung und Entspannung
  • Zucker meiden bzw. reduzieren.
  • Regelmäßiges körperliches Training, ideal an der frischen Luft ⇒ regt den Kreislauf an.
  • Natürliches Licht, d. h., Aufenthalt im Freien reguliert den Schlaf-wach-Rhythmus.
  • Eine Flüssigkeitszufuhr von mindestens 2 Litern pro Tag wäre zu empfehlen.

Arztbesuch empfehlen

Ungewohnte, hartnäckige Müdigkeit ist oft das erste Zeichen dafür, dass etwas mit der psychischen und/oder physischen Verfassung nicht stimmt ⇒ Arztbesuch und Abklärung empfehlen.


Epilog

Wenn die Natur nach den Wintermonaten erwacht und die Tage wieder länger werden, leiden viele Menschen vor allem in den Monaten März und April unter der sogenannten Frühjahrsmüdigkeit.

Bei diesem alljährlich wiederkehrenden Phänomen handelt es sich nicht um eine Krankheit, sondern um einen Zustand, der durch den Jahreszeitenwechsel hervorgerufen wird.
Die Frühjahrsmüdigkeit ist ein Symptomenkomplex aus Müdigkeit (trotz ausreichender Schlafdauer), Abgeschlagenheit, Kreislaufbeschwerden Unlustgefühlen, Stimmungsschwankungen, leichter Reizbarkeit, Leistungsschwäche und Kopfschmerzen. Es wird vermutet, dass jede:r Zweite mehr oder weniger unter diesen Symptomen leidet. Hypotoniker:innen, ältere und wetterfühlige Menschen sind häufiger davon betroffen.

Verhältnis der Botenstoffe gerät aus dem Gleichgewicht

Der Hauptgrund für die Frühjahrsmüdigkeit ist die Umstellung des Körpers auf die sich ändernden Licht- und Wärmeverhältnisse. In den Wintermonaten wird mehr Melatonin gebildet, und bei zunehmendem Tageslicht wird die Produktion wieder zurückgefahren und stattdessen wieder mehr Serotonin ausgeschüttet. Serotonin, das vor allem unter Lichteinfluss gebildet wird, steht im Wechselspiel mit dem Melatonin, das bei Dunkelheit produziert wird und schlaffördernd wirkt. Im Frühling gerät das Verhältnis dieser beiden Botenstoffe etwas aus dem Gleichgewicht, und es dauert einige Wochen, bis sich dieses wieder neu eingestellt hat.

Unterstützung aus der Apotheke

Betroffene, die unter den Symptomen einer Frühjahrsmüdigkeit leiden, suchen häufig Hilfe und Rat in der Apotheke. Zur Unterstützung des Energiestoffwechsels und zur Steigerung der Leistungsfähigkeit haben sich vor allem Nahrungsergänzungen mit verschiedenen Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen bewährt wie zum Beispiel mit B-Vitaminen (vor allem B12) und Vitamin D. Bei Personen mit niedrigem Blutdruck und bei älteren Personen werden Weißdornpräparate zur Kreislaufunterstützung empfohlen.

Beratungstipps gegen Frühjahrsmüdigkeit

Gegen die Müdigkeit und Stimmungsschwankungen helfen vor allem Bewegung an der frischen Luft und Sonnenlicht (auch an bewölkten Tagen). Die Sauerstoffversorgung des Körpers wird verbessert, und die Produktion von Serotonin wird angeregt. Der Tagesrhythmus sollte dem Tageslicht angepasst werden, das heißt, in der Früh mit den ersten Sonnenstrahlen aufstehen und abends auf künstliches Licht durch Smartphones, Tablets etc. verzichten. Auch Wechselduschen am Morgen und ein Saunabesuch am Abend regen den Kreislauf und Stoffwechsel an. Ein „power nap“, der nie länger als 30 Minuten dauern sollte, gibt frische Energie. Ein längeres Nickerchen kann die Müdigkeit sogar verstärken.

Beratungstipp

Da auch Arzneimittel Müdigkeit verursachen können, sollte ein Blick auf die eingenommenen Medikamente geworfen werden.