Frau A., auf Kurzbesuch bei ihrer Tante in Österreich, kommt sichtlich erkältet in die Apotheke und will ein Rezept einlösen. Sie hat sich beim Flug nach Österreich wegen der Klimaanlage so stark erkältet, dass sie hier eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen musste. Da sie vor Jahren unter den gleichen Symptomen litt, bat sie den Arzt ihr ein Rezept mit Clarithromycin 500 mg auszustellen, das hatte ihr damals sehr gut und rasch gegen die Beschwerden geholfen. Dabei erzählt sie Ihnen, dass sie vergessen hat, dem Arzt zu erzählen, dass sie seit ein paar Wochen zwei neue Medikamente zur Behandlung ihrer Depressionen einnimmt. Weiters hätte sie gerne Lutschpastillen, um ihre Halsbeschwerden zu mildern.
Beim Einlösen des Rezeptes sehen Sie, dass es sich um eine Verschreibung von Clarithromycin 500 mg handelt. Nachdem Sie wissen, dass Clarithromycin viele Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen haben kann, fragen Sie nach den anderen Medikamenten, die Frau A. täglich einnehmen muss.
Clarithromycin ist ein Makrolidantibiotikum, welches oft und gerne für bakterielle Infektionen der Atemwege verschrieben wird. Es wirkt hauptsächlich gegen grampositive Erreger, aber auch gegen einige atypische und gramnegative Erreger, und ist somit ein Breitbandantibiotikum. Es wird entweder zweimal täglich unabhängig vom Essen oder einmal täglich in einer retardierten Formulierung mit dem Essen eingenommen. Clarithromycin ist ein CYP3A4-Inhibitor, wodurch es zu einer Erhöhung der Plasmakonzentration von Wirkstoffen kommen kann, die über CYP3A4 metabolisiert werden. Weiters erhöht Clarithromycin das Risiko einer QT-Verlängerung und das Risiko für Herzrhythmusstörungen. Eine QT-Verlängerung ist sichtbar im EKG. Man misst dabei das Zeitintervall zwischen der Q- und T-Welle (Erregungsausbreitung und -rückbildung). Eine solche kann angeboren sein oder durch Arzneistoffe hervorgerufen werden. Weitere Risikofaktoren dafür sind das weibliche Geschlecht, Elektrolytstörungen, Bradykardien oder Herzinsuffizienz. QT-Verlängerungen können zu Torsade de Pointes-Arrhythmien führen, welche zum plötzlichen Herztod und ventrikulären Tachyarrhythmien führen können.
Neben Clarithromycin gibt es noch eine Vielzahl an anderen Wirkstoffen, die solche QT-Verlängerungen auslösen können:
Amitriptylin ist ein trizyklisches Antidepressiva und kann gleich wie Sertralin ebenfalls die QT-Zeit verlängern. Diese sehr wichtige Information hatte der Arzt beim Verschreiben des Clarithromycins nicht und daher müssen Sie handeln.
Nachdem Frau A. erzählt hat, dass Sie schon zwei Medikamente mit QT-verlängernden Wirkstoffen als Dauertherapie einnimmt und jetzt noch Clarithromycin mit einer ebenfalls QT-verlängernden Wirkung einnehmen soll, empfiehlt es sich, den Arzt zu kontaktieren und mit ihm die weitere Vorgehensweise zu besprechen. Im Zuge dessen sollte der Arzt auf die tägliche Einnahme von Amitriptylin und Sertralin hingewiesen werden. So könnte man ihm vorschlagen auf ein Antibiotikum, das nicht QT-verlängernd wirkt, wie z. B. ein Penicillin + Beta-Laktamase-Hemmer oder Cephalosporin, umzustellen. Frau A. können Sie Lutschpastillen, Spray oder eine Gurgellösung gegen die Halsschmerzen anbieten.