Die diesjährige Fortbildungsveranstaltung stand ganz im Zeichen des menschlichen Mikrobioms. Univ.-Prof. Dr. Rolf Marschalek, Institut für Pharmazeutische Biologie, Biozentrum Universität Frankfurt und Priv.-Doz. Dr. Gregor Gorkiewicz, Institut für Pathologie, MedUni Graz, boten in ihren Vorträgen einen interessanten Einblick in das komplexe Ökosystem Mensch – Mikrobiom.
Der menschliche Körper lebt seit Millionen Jahren in Symbiose mit etwa 1014 Bakterien (1–2 kg), welche bevorzugt immunologische Barrieren wie Magen, Darm, Lunge, Hals-Nasen-Ohren-Bereich, Vagina und Haut besiedeln. Die komplexe Gemeinschaft der unterschiedlichen Mikroorganismen wird als „Microbiota“ bezeichnet, der Ausdruck Mikrobiom bezieht sich auf die bakterielle Genetik. Etwa 99 % der Bakterien finden sich bei jedem von uns, lediglich 1 % variiert von Mensch zu Mensch und ist unter anderem abhängig von Lebensalter, Umgebung und Essgewohnheiten. Bakterien machen 99,1 % des Mikrobioms aus, nur zu 0,9 % findet man andere Lebewesen wie beispielsweise Pilze. Der Mensch und sein Mikrobiom bilden zusammen einen Superorganismus.
Die Besiedelung des Gastrointestinaltraktes beginnt mit der Geburt. Bereits nach einer Woche besitzt ein Säugling ein komplexes bakterielles Ökosystem. Dies verändert sich im Laufe der Jahre, ab etwa dem 18. Lebensjahr findet man eine stabile Erwachsenendarmflora, welche sich jedoch im Seniorenalter wiederum verändert. Auch die Besiedelung der einzelnen Darmabschnitte ist unterschiedlich, die höchste Dichte an Keimen findet man am Übergang des Dünndarms in den Dickdarm. Babys, die mittels Sectio geboren werden, haben bezüglich der Mikrobiomentwicklung einen Nachteil. Zu beachten ist, dass eine 5-tägige Antibiotikagabe 30 % des Mikrobioms zerstört.
Die Darmwand ist physiologisch von einer dünnen Schleimschicht bedeckt, die Microbiota findet sich im Idealfall nur in der äußersten Mukusschicht. Das Immunsystem des Darms verhindert durch drei verschiedene Abwehrmechanismen das Eindringen der Keime in tiefere Schichten beziehungsweise durch die Darmwand hindurch in den Blutkreislauf. Möglich wird dies durch das Zusammenspiel von Defensinen, Lektinen, Lysozym und IgA2-Antikörpern.
Aufgrund der mikrobiellen Besiedelung des Darms kann man die Menschen in drei Enterotypen unterteilen, welche sich durch langjährige Essgewohnheiten entwickeln. Bei Enterotypus 1 dominieren Keime der Gattung Bacteroides, bei Enterotypus 2 eher Prevotella. Die Gattung Ruminococcus wiederum findet sich bevorzugt bei Enterotypus 3. Bei Babys sorgt vor allem die Muttermilch für den Aufbau einer stabilen Darmflora. Physiologische Darmkeime sind nötig für ein funktionierendes Immunsystem, zur Verbesserung der Verdauung und auch für die Produktion von Vitaminen und kurzkettigen Fettsäuren. Falsche Essgewohnheiten oder auch häufige Antibiotikagaben hingegen begünstigen die Ansiedelung potenziell schädlicher Keime. Eine derartige Dysbiose wird wiederum mit der Entstehung von Inflammation und Übergewicht in Verbindung gebracht. Mögliche Folgen sind bei entsprechender genetischer Disposition chronische entzündliche Erkrankungen wie beispielsweise Rheuma, Typ-I-Diabetes, Atherosklerose, multiple Sklerose oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Bestimmte Keime werden sogar mit der Entstehung maligner Erkrankungen in Verbindung gebracht (zum Beispiel Fusobacterium nucleatum – Darmkrebs, Helicobacter pylori – Magenkrebs). Eine bestehende Dysbiose des Darms lässt sich durch konsequente Ernährungsumstellung und die gezielte Gabe spezieller Probiotika ausgleichen. Von so genannten „Entschlackungskuren“ beziehungsweise einseitigen Diäten und Darmlavagen wurde hingegen abgeraten, da diese Methoden das Darmmikrobiom eher negativ beeinflussen.
In einem weiteren Vortrag wurde von Univ.-Doz. Dr. Felix Wantke, Leiter des Floridsdorfer Allergieambulatoriums in Wien, das Mikrobiom der Atemwege näher erläutert. Analog zum Mikrobiom des Gastrointestinaltraktes ist auch das Mikrobiom von Nasopharynx und Lunge abhängig von Lebensalter, Ernährung und zahlreichen Umweltfaktoren. Die sieben häufigsten Keime in diesem Bereich sind Corynebakterien, Prevotella, Staphylococcus, Streptococcus, Veillonella, Haemophilus und Neisseria. Stillkinder zeigen ein anderes (günstigeres) Keimverhältnis des Nasen-Rachen-Raums als Kinder, die Flaschennahrung bekommen. Übermäßige Hygiene im frühen Kindesalter wirkt sich offenbar negativ auf die Besiedelung aus und begünstigt die Entstehung atopischer Erkrankungen beziehungsweise Allergien. Einen besonders schädlichen Einfluss hat naturgemäß das Rauchen. Folgeerkrankungen wie COPD und die daraufhin erforderliche medikamentöse Langzeittherapie führen zu einer Veränderung des Mikrobioms. Exazerbationen von chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen (COPD und Asthma) sind meist viral ausgelöst. Virale Infektionen sind wiederum Wegbereiter für bakterielle Sekundärinfektionen, wobei die auslösenden Bakterien häufig aus dem eigenen Mund-Nasen-Rachen-Bereich stammen und unter den veränderten Bedingungen schließlich pathogen werden.