Schädigungen im Bereich des peripheren und des autonomen Nervensystems sind die häufigsten Komplikationen von Diabetes mellitus.
Die Prävalenz der diabetischen Neuropathie ist bei Diabetes mellitus Typ 2 (DM2) höher als bei Typ 1 (26 % vs. 8 %). Entscheidend für die Entwicklung der Neuropathie ist die Dauer und die Ausprägung der Hyperglykämie. Studien zeigen, dass nach 25 Jahren DM2 bis zu 50 % der Patient:innen eine Neuropathie entwickeln. Das kumulative Risiko für eine Amputation im Bereich der unteren Extremitäten liegt nach 25-Diabetes-Jahren bei 11 %.
Die distal symmetrische Neuropathie, die mit socken- und handschuhförmigen Sensibilitätsstörungen einhergeht, ist mit 50 % die häufigste Form der diabetischen Neuropathie. Sie verläuft langsam progredient und aufsteigend, in schweren Fällen kommt es zusätzlich zu motorischen Symptomen im Sinne einer Schwäche.
Die N.-medianus-Neuropathie (22 %), autonome viszerale Neuropathien (7 %), thorakale und lumbale Radikulopathien (3 %), Neuropathien im Bereich der Hirnnerven (3 %) und die Mononeuritis multiplex kommen seltener vor.
Autonome Symptome sollen aktiv bei der Diagnosestellung und im Verlauf erfragt werden. Dazu zählen:
Einige Patient:innen entwickeln im Verlauf der Erkrankung eine Störung der Pupillomotorik, mit beeinträchtigter Lichtadaptation. Dadurch können Schwierigkeiten beim Autofahren in der Nacht auftreten.
Unter „Polyradikulopathien“ versteht man eine Gruppe von asymmetrischen proximalen Neuropathien, die thorakale und lumbale Nervenwurzeln betreffen. Auch der lumbosakrale Plexus kann betroffen sein (diabetische Amyotrophie). Die Ursache hierfür ist nicht geklärt, möglicherweise handelt es sich um eine lokale ischämisch-bedingte Neuropathie. Patient:innen präsentieren sich mit einer asymmetrischen proximalen Schwäche (z. B. Hüftbeuger- und Kniestreckerschwäche), begleitet von heftigen segmentalen neuropathischen Schmerzen. Eine spezifische Therapie ist nicht bekannt, es kann ein Behandlungsversuch mit Kortikoiden oder intravenösen Immunglobulinen unternommen werden.
Schmerzen sollen entsprechend der Leitlinie wie neuropathische Schmerzen therapiert werden, die Patient:in-nen benötigen zudem meistens eine intensive Physiotherapie. Paresen bilden sich oft erst nach Monaten langsam und meistens unvollständig zurück. Nach zwei Jahren waren in einer Studie nur 6 % der Patient:innen wieder beschwerdefrei.
N. oculomotorius, N. abducens und N. trochlearis sind die am häufigsten betroffenen kranialen Nerven, auch die N. Facialis-Parese kommt bei Patient:innen mit DM2 im Vergleich zu Nichtdiabetiker:innen häufiger vor.
Eine intensive labortechnische Beobachtung und eine gute glykämische Einstellung reduzieren das Risiko einer Neuropathie deutlich. In einer Metaanalyse mit 1.228 Patient:innen konnte die Inzidenz einer Neuropathie nach 5 Jahren bei DM1 durch diese Maßnahme von 17 % auf 8 % gesenkt werden. Eine ähnliche Untersuchung bei Patient:innen mit DM2 zeigte eine statistisch nichtsignifikante Reduktion der Neuropathie von ca. 0,6 % pro Jahr.
Eine Gewichtsreduktion verbunden mit Ausdauertraining konnte in einer Metaanalyse sämtliche Symptome und Alltagsprobleme, die mit einer Neuropathie verbunden sind, verbessern.
Metformin, das häufig im Rahmen einer antidiabetischen Therapie verschrieben wird, kann nach 5 Jahren bei bis zu 20 % der Patient:innen einen Vitamin-B12-Mangel hervorrufen. Patient:innen mit einer Verschlechterung der Neuropathie unter Metformintherapie sollten daher auf einen B12-Mangel untersucht werden.
Zu beachten ist auch die sogenannte Treatment-induced Neuropathy of Diabetes (TIND), eine spezielle Form der schmerzhaften Small-Fiber-Neuropathie, die durch eine schnelle Korrektur des Hba1c-Wertes auftreten kann. 11 % der Patient:innen entwickelten eine TIND, wenn der Hba1c innerhalb von 3 Monaten um mehr als 2-%-Punkte reduziert wurde. Eine noch schnellere Korrektur der Hyperglykämie erhöhte die TIND-Wahrscheinlichkeit erheblich.
Sämtliche Studien zeigen, dass mehr als 50 % der Patient:innen mit neuropathischen Schmerzen lediglich mit NSAR behandelt werden. Weniger als 20 % der Betroffenen erhalten wirksame Medikamente wie Gabapentinoide, bestimmte Antidepressiva (z. B. Duloxetin, Amitriptylin) und topisches Capsaicin. Alpha-Liponsäure (600 mg/d für 3–12 Wochen) verbesserte in einigen Studien sowohl Plus- (Schmerz, Dysästhesie) als auch Minussymptome (Taubheit) im Vergleich zu Placebo. Eine deutliche Schmerzreduktion (30–50 %) ist möglich, sodass die wirksamen Medikamente den Patient:innen nicht vorenthalten werden sollten.