Interview

„Die Apotheken können auf ein sehr arbeits­intensives und erfolgreiches Jahr zurückblicken.“

Wie hat sich der öffentliche Apothekenmarkt im Jahr 2022 entwickelt?

Mag. Stefan Baumgartner: Der gesamte öffentliche Apothekenmarkt hat ein positives Jahr hinter sich. Besonders gut entwickelt sich das OTC-Segment, das in Summe zu Beginn der Corona-Pandemie stark gelitten hat. Der OTC-Markt (exkl. Homöopathie) wächst im Moving-Annual-Total vom Oktober 2022 (November 2021 bis Oktober 2022 kumuliert) um 12,0 % nach Einheiten und um 11,7 % nach Wert und erzielt in diesem Zeitraum mit 77,6 Millionen verkauften Packungen knapp über eine Milliarde Euro Umsatz AVP. Das starke Wachstum wird vor allem durch die OTC-Kategorie der Husten- und Erkältungsmittel getrieben, die 22 % Umsatzanteil am OTC-Markt hat. Der Bedarf an entsprechenden Präparaten stieg durch die Rückkehr der grippalen Infekte sowie neue Coronavirus-Varianten, die teilweise mit heftigen Erkältungssymptomen einhergehen. Die Österreicher:innen greifen weiterhin zu OTC-Beruhigungs- und Schlafmitteln. Die entsprechende Kategorie kann als einzige das dritte Jahr in Folge zweistellig wachsen.

In den beiden Jahren zuvor hat die Pandemie deutliche Spuren am Apothekenmarkt hinterlassen. Konnte man 2022 bereits eine Annäherung an die Zeit vor der Pandemie erkennen?

War der Gesamtabsatz im Moving-Annual-Total vom Oktober 2021 (November 2020 bis Oktober 2021) noch niedriger als in den vergangenen Jahren, liegt der aktuelle Jahresabsatz deutlich über Vorkrisenniveau. Die Entwicklung der Segmente der Homöopathie, der Kosmetik und des Medizinalbedarfs hat sich weitgehend normalisiert. Ein paar Kategorien wie Mittel gegen Reisekrankheiten und Sonnenpflege haben noch ein wenig Aufholbedarf und Wachstumspotenzial, während der Absatz von anderen Bereichen wie dem der Corona-Tests rückläufig ist. Eine Annäherung an die Zeit vor der Pandemie ist erkennbar, doch einige Kategorien wie jene der Beruhigungs- und Schlafmittel scheinen nachhaltig von der Krise zu profitieren.

In welchen Produktkategorien konnte man 2022 wirtschaftlich punkten?

2022 konnte man in den Wachstumskategorien, d. h. in den Erkältungssegmenten, bei den Schmerzmitteln sowie Beruhigungs- und Schlafmitteln punkten. Außerdem gibt es einige erfolgreiche Nischenmärkte wie jene der Ohrenöle, CBD- und Spermidinpräparate. Die teuersten Produkte sind im Bereich der Nahrungsergänzung zu finden. Dazu zählen beispielsweise Vitamin- und Mineralstoffpräparate, Produkte zur gesunden Gelenkfunktion und Probiotika.

Was waren die spannendsten Neueinführungen des Jahres?

Im fast abgelaufenen Jahr gab es einige sehr erfolgreiche Line Extensions starker Marken wie Dr. Böhm®, Voltadol®, Daflon®, Agnucaston®, Mar® und Supradyn®. Die im Jänner 2022 lancierten Dr. Böhm® Blutdruckformel Tabletten mit Olivenblattextrakt wurden im Rahmen der IQVIA OTC Mirror Awards 2022 von der Apothekerschaft zur Top-Innovation des Jahres gewählt. Der Hustenstiller Mucomat® mit dem Wirkstoff Pentoxyverincitrat ist ein Relaunch von Silomat®. Neu am Markt sind auch zwei Hämorrhoidenmittel: die lidocainhaltige Posterisan® akut Rektalsalbe und die Aboca NeoFitoroid Bio-Salbe. Interessant ist die Innovation Angocin® Anti-Infekt, die sowohl bei Blasenentzündung als auch bei Erkältung eingesetzt wird. Außerdem gab es zahlreiche Neueinführungen in der boomenden Kategorie der Beruhigungs- und Schlafmittel. In keiner anderen OTC-Klasse wurden in den vergangenen 24 Monaten mehr neue Produkte auf den Markt gebracht.

Derzeit kämpfen die Apotheken sehr stark mit Lieferengpässen. Wird sich dieser Trend fortsetzen?

Es ist davon auszugehen, dass Lieferengpässe basierend auf Wirkstoff- und Verpackungsmittelknappheit den Herstellern und Apotheken auch im Jahr 2023 weiterhin zu schaffen machen. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, kurz BASG, führt zurzeit eine Liste mit 506 eingeschränkt oder nicht verfügbaren Handelsformen*. Damit liegt Österreich europaweit im oberen Drittel.

Wie haben sich die heimischen Apotheken 2022 insgesamt geschlagen?

Die österreichischen Apotheken haben einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheitsversorgung der Bevölkerung geleistet. Dabei haben sie Corona-Tests bei steigender Besuchsfrequenz und fortschreitender Digitalisierung wie z. B. dem E-Rezept in Einklang gebracht. Alles in allem können die Apotheken auf ein sehr arbeitsintensives und erfolgreiches Jahr zurückblicken.