Eröffnet und moderiert wurde die Veranstaltung von Univ.-Prof. Dr. Bernhard Schwarz, Präsident der Karl Landsteiner Gesellschaft. Er betonte, dass nicht zuletzt die aktuelle Arzneimittelengpässe – z. B. bei Antibiotika – die Diskussion über eine Wirkstoffverschreibung angefacht hätten. Anschließend wurde das Thema aus unterschiedlichen Sichtweisen näher beleuchtet.
Mag. Karl Liebenwein, Liebenwein Rechtsanwälte GmbH, fasste zu Beginn seines Vortrags kurz die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich zusammen: Ein Rezept hat den Namen des verordneten Arzneimittels zu enthalten; aut idem oder Wirkstoffverschreibung sind grundsätzlich nicht zulässig. Er skizzierte weiters kurz die Veränderungen, die mit einer Einführung von aut idem einhergehen würden: Die Wirtschaftlichkeitskontrolle würde auf die Apotheker:innen verlagert, dies würde auch Strafsanktionen bei Nichteinhaltung und die Einschau in die Gebarung bei den Apotheker:innen beinhalten sowie rechtlich verbindliche Vorgaben der Substitution.
Bei den Ärztinnen und Ärzten würde die Wirtschaftlichkeitskontrolle hingegen wegfallen, lediglich die Prüfung von § 133 Abs. 2 ASVG (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) – „Die Krankenbehandlung muss ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.“ – würde wohl bestehen bleiben. Schließlich machte der Jurist auch auf die Erforderlichkeit aufmerksam, sich mit den diversen Ursachen von Lieferengpässen wie Rohstoffengpässen, Produktionsschwierigkeiten, erhöhtem Bedarf, Abwanderung der Produktion von Europa, Parallelexporten etc. zu beschäftigen und hier entsprechende Lösungsansätze zu entwickeln.
Ing.in Evelyn Groß, Präsidentin der Österreichischen Morbus Crohn / Colitis ulcerosa Vereinigung (ÖMCCV), beleuchtete das Thema aus Sicht der Patient:innen. Sie betonte, dass gerade ältere und chronisch kranke Menschen oftmals mehrere Tabletten einnehmen müssten und bei einer Wirkstoffverschreibung die Verwechselungsgefahr größer wäre als bisher.
Auch einen entsprechenden Datenschutz sieht sie in Apotheken weniger gegeben als in Arztpraxen: „Wenn ich an der Tara stehe und über meine Medikamente aufgeklärt werde, hören links und rechts Menschen mit. Das möchten viele Patient:innen aber nicht! Außerdem würde es bei einer Wirkstoffverschreibung durch den vermehrten Aufklärungsbedarf zu noch längeren Wartezeiten in Apotheken kommen“, fasst Groß einige Nachteile der Wirkstoffverschreibung zusammen. „Zudem gibt es Medikamente, bei denen Einschulungen erforderlich sind.
Wie würde man diese Herausforderung lösen?“, stellte sie zudem als Frage in den Raum. Genau das sieht auch Mag.a Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV) als großes Problem: „Gerade bei chronischen Erkrankungen ist es ein Grundsatz der Pflegekräfte, die Patient:innen zu ermächtigen, sie zu ‚empowern‘, ihr Leben weiterhin aktiv selbst in die Hand zu nehmen, soweit dies möglich ist.
Dies erfolgt beispielsweise über Beratungen und Schulung, auch bezüglich der Anwendung von Pens, Spritzen etc., wenn dies erforderlich ist. Bei einer Wirkstoffverschreibung müssten wir die Patient:innen immer wieder neu einschulen, da die Präparate unterschiedlich in der Verabreichung gehandhabt werden.“ Dies wäre in ihren Augen für Pflegekräfte ein großer zeitlicher Mehraufwand und zudem für die Patient:innen eine starke Belastung. Auch Mag. Ingo Raimon, General Manager von AbbVie in Österreich, erklärt der Wirkstoffverschreibung und aut idem eine Absage, denn er sieht ebenfalls die Adhärenz durch wechselnde Präparate gerade bei chronisch Erkrankten ebenfalls in Gefahr: „Es ist schwer genug, chronisch krank zu sein. Daher sollten wir diesen Menschen das Leben nicht noch schwerer machen. Unternehmen bieten Patientenbegleitprogramme mit speziellen Schulungen für den Einsatz gewisser Medikamente an. Studien zeigen, dass diese Unterstützungen die Adhärenz erhöhen. Ein bei einer Aut-idem- bzw. Wirkstoffverschreibungsregelung zu erwartender häufiger Wechsel des Handelspräparats würde sich gerade bei schwer chronisch Kranken negativ auf die Adhärenz auswirken.“
Im Krankenhausbereich sieht Potzmann bei einer aut-idem-Regelung keine großen Schwierigkeiten, da hier Ärzte- und Apothekerschaft sowie Pflege eng zusammenarbeiten. „Doch in Pflegeeinrichtungen sowie in der mobilen Pflege sieht die Situation ein bisschen anders aus. Die Wirkstoffverschreibung würde insofern in der Mobilen Pflege helfen, als dass dann eben keine Neuverordnung nötig wäre, da ja keine Medikament angeführt wird. Allerdings ist das derzeit laut GuKG nicht möglich, weil dort steht, dass das Medikament genau angeführt werden muss. Geschieht das nicht, also bei einer Wirkstoffverschreibung, kann die Medikamentengabe nicht mehr an die Pflege delegiert werden“, erklärt Potzmann.
Ein generell eher angespanntes Verhältnis zwischen der Ärzteschaft und den Apotheker:innen in Österreich ortet der Dermatologe Dr. Leo Richter und führt die derzeitige teilweise recht heftige Diskussion über Wirkstoffverschreibung u. a. auch darauf zurück. Er ist der Meinung, dass aut idem manchen Patient:innen in Akutsituationen durchaus das Leben erleichtern würde, bei chronisch Kranken wäre aber das Gegenteil der Fall.
Er verweist zudem auf Deutschland, wo ärztliches Personal entscheiden kann, ob in der Apotheke aut idem angewendet werden darf. „Das halte ich für sinnvoll, denn in manchen Fällen muss es genau ein konkretes Präparat sein und kein anderes, denn dieses könnte in der Wirksamkeit unterschiedlich ausfallen.“ Zudem schlägt Richter noch einen weiteren Lösungsansatz vor: „Derzeit kann ich nicht das verschreiben, was es in den Apotheken gibt – weil ich nirgendwo nachschauen kann, was in welcher Apotheke vorrätig ist. Wieso gibt es keine Datenbank, in der Ärztinnen und Ärzte überprüfen können, welche Medikamente tatsächlich verfügbar sind?“