Rückenschmerzen umfassen definitionsgemäß den Bereich vom 7. Halswirbel (Vertebra prominens) bis zu den Gesäßfalten mit oder ohne Ausstrahlung in das Bein.
Die Internationale Gesellschaft zur Erforschung des Schmerzes definiert Schmerzen als chronisch, wenn diese länger als drei Monate andauern oder auch rezidivierend auftreten. In Europa leiden 20 % der Menschen an chronischen Schmerzzuständen. Umgerechnet auf Österreich betrifft dies etwa 2 Millionen Menschen. Mehr als 2 Drittel dieser Patient:innen leiden an chronischen Rückenschmerzen. Vor allem bei Bestehen von sogenannten Chronifizierungsfaktoren und einer nicht fach- oder leitliniengerechten Behandlung können Rückenschmerzen sehr schnell chronisch werden und zu einer massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität und ausgeprägten psychosozialen Begleitsymptomen führen.
Die klinische Untersuchung von Patient:innen mit Rückenschmerzen untergliedert sich in drei Teile und beginnt mit einer topischen Diagnostik, die sich in eine eingehende Anamnese und Inspektion untergliedert. Neben der regionalen Zuordnung der Schmerzen werden hier auch die Haltung sowie einfache Bewegungsabläufe wie z. B. das Gangbild analysiert. Im Rahmen der weiterführenden Strukturdiagnostik werden Funktionsstörungen des Stütz- und Bewegungsapparates ermittelt. Hier gilt es, sogenannte „red flags“ zu erkennen (Tab.), die in weiterer Folge dringend abzuklären sind.
Bei Hinweisen auf eine Radikulopathie mit sensorischen oder motorischen Defiziten, Funktionsstörungen der Harnblase und/oder des Enddarms sowie akuten, nicht erklärbaren Rückenschmerzen mit Fieber müssen Erkrankungen wie Nervenkompressionsyndrome (z. B. bei großem Bandscheibenvorfall), das Vorliegen einer Spondylodiszitis sowie tumoröse Expansionen dringlich abgeklärt werden, da diese möglicherweise chirurgisch behandelt werden müssen. In den meisten Fällen haben wir es mit schmerzhaften unspezifischen Funktionsstörungen zu tun. Als dritter Schritt erfolgt dann die Aktualitätsdiagnostik. Hier unterscheiden wir akute (bis zu 6 Wochen), subakute (ab 6. bis 12. Woche) oder chronische (ab der 12. Woche) Rückenschmerzen.
Liegt eine Therapieresistenz trotz leitliniengerechter Behandlung nach etwa 4 Wochen noch immer vor, sollte bereits nach Hinweisen auf Chronifizierungsfaktoren, sogenannte „yellow flags“ (Tab.), gesucht werden, da unspezifische Rückenschmerzen gepaart mit derartigen Faktoren sehr häufig zu einer Schmerzchronifizierung führen können. Die im Anschluss eingeleitete therapeutische Strategie richtet sich nach den klinischen Erkenntnissen aus dem diagnostischen Untersuchungsgang und erfolgt nach der Leitlinie „Unspezifischer Kreuzschmerz 2018“.
Gerade bei chronischen Rückenschmerzen ist das Beschwerdebild oft sehr diffus, überlagert und verzerrt, also nicht immer klar einer schmerzhaften Struktur zuzuordnen. Man spricht hier von einem unspezifischen Rückenschmerz. Radiologische Verfahren wie Röntgen, MRT, CT, Szintigraphie etc., die frühestens im subakuten Stadium ab der 6. Woche bei Therapieresistenz zum Einsatz kommen sollen, sind zwar sehr sensitiv und spezifisch in Bezug auf anatomische Veränderungen, aber nicht in Bezug auf eine zugrundeliegende Schmerzsymptomatik. Das bedeutet, dass das ermittelte klinische Beschwerdebild nicht mit den degenerativen Veränderungen in der Bildgebung und den zu erwartenden Beschwerden übereinstimmt. Derartige fehlende Übereinstimmungen von Klinik und Bildgebung kommen gerade an der Wirbelsäule sehr oft vor, trotzdem werden radiologische Verfahren viel zu häufig und viel zu früh eingesetzt. Wir wissen, dass beispielsweise der Befund einer MRT-Untersuchung und die Auflistung der oft gravierenden, aber nicht automatisch pathogenen degenerativen Veränderungen bei Patient:innen Ängste und somit große Verunsicherungen auslösen können. Unnötige und undifferenziert indizierte Untersuchungen sowie therapeutische Interventionen stellen einen zusätzlich iatrogenen Chronifizierungsfaktor dar.
Ziel der Schmerzbehandlung bei chronischen Rückenschmerzen ist in der Regel nicht die Schmerzfreiheit, sondern eine Schmerzreduktion, eine Verbesserung der Funktion und Lebensqualität. Aus diesem Grund ist es notwendig, individuelle Ziele gemeinsam mit Patient:innen zu definieren. Diese müssen realistisch sein, Schmerzfreiheit ist bei vielen chronischen Schmerzpatient:innen jedoch KEIN realistisches Therapieziel.
Bei chronischen Rückenschmerzen muss ein multimodaler Therapieansatz in einem interdisziplinär abgestimmten Setting erfolgen. Multimodale Programme orientieren sich an Behandlungszielen einer funktionellen Wiederherstellung und dem biopsychosozialen Modell. Sie beinhalten schmerzmedizinische Behandlungen (medikamentöse, interventionelle, manuelle Therapieformen), edukative Schulungen, körperlich aktivierende Therapieformen und psychologische/psychotherapeutische Therapien. Zusätzlich fließen integrative Behandlungsformen bzw. physikalische Therapieformen in das Therapiekonzept mit ein (Thermotherapie, Elektrotherapie, Ultraschall-Therapie, Massage etc.).
Bei der medikamentösen Schmerztherapie ist auf eine entsprechende Balance zwischen Wirkung und Verträglichkeit der verordneten Präparate zu achten und regelmäßig zu prüfen, ob die Patient:innen überhaupt auf diese ansprechen. Responder erreichen mittels Medikamenteneinnahme ein adäquates Therapieziel bei zu akzeptierenden Nebenwirkungen. Die Medikation richtet sich nach der vorliegenden Schmerzart (mechanismenorientierte Schmerztherapie). Bei nozizeptiven Schmerzen werden vorwiegend Nichtopioide und Opioide angewendet. Antikonvulsiva werden vorrangig bei neuropathischen Schmerzen gegeben, Koanalgetika aus dem Bereich der SNRI helfen ebenso bei neuropathischen Schmerzen. Da häufig eine „Mixed pain“-Symptomatik besteht, können die genannten Schmerzmedikamente auch kombiniert werden. Grundsätzlich sollen Medikamente, die für eine Langzeiteinnahme nicht geeignet sind, ehebaldig abgesetzt werden; dies betrifft vorwiegend NSAR. Muskelrelaxanzien sollten, wenn überhaupt notwendig, nur bei akuten Schmerzen angewendet werden.