Im ersten Teil des Interviews haben wir viel über den persönlichen Kontakt zu Kund:innen gesprochen. Vielleicht gehen wir noch einmal kurz zurück zum persönlichen Gespräch mit dem/der Kund:in: Gibt es da spezielle Tipps, wie man dieses führen kann oder sollte?
Meine Erfahrung – und ich mache das schon ziemlich lange und in verschiedenen Branchen – zeigt, dass dort, wo man die Möglichkeit hat, mit den Kund:innen direkt zu kommunizieren, die entsprechenden Mittel bei einem/einer selbst vorhanden sind. Ich denke, man kann es in einem Wort zusammenfassen: Wertschätzung. Selbst während einer kurzen Interaktion, die vielleicht nur 2 Minuten dauert, kann ich das erreichen, indem ich mein Gegenüber anschaue und das Gefühl gebe, dass ich zuhöre, auch wenn sich dahinter schon eine Schlange von drei, vier oder fünf Menschen gebildet hat.
Kund:innen müssen das Gefühl haben, dass sie ernst genommen werden. Das erreiche ich, indem ich ihnen zuhöre, mich auf sie konzentriere – selbst wenn es nur 30 oder 60 Sekunden sind. Das Gegenüber hat dann das Gefühl, dass er/sie wahrgenommen wird, und diese Wahrnehmung ist ein ganz, ganz wesentlicher Punkt, so wie die Empathie.
Was wir im Deutschen mit „Verständnis zeigen“ ausdrücken würden, heißt im Englischen „empathy“. Mit Empathie kann ich viel erreichen, wenn ich sie bewusst einsetze. Empathie ist eine Fähigkeit und kein Gefühl. Das heißt, Empathie kann man lernen, man kann sie einsetzen, und man kann sie bewusst nutzen. Wenn ich den Menschen genau zuhöre und herausfinde, was ihnen wichtig ist, kann ich ihnen etwas Entsprechendes anbieten.
Apropos etwas Entsprechendes anbieten: Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang das Wissen über die Produkte bzw. deren Zusammensetzung und Wirksamkeit?
Darin liegt einer der wesentlichsten Unterschiede zu vielen anderen Branchen. In Apotheken gibt es so viele unterschiedliche Produkte, speziell wenn zusätzlich auch noch Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetikartikel angeboten werden. Um – salopp formuliert – „gut rüberzukommen“, muss ich im Groben über die angebotenen Produkte Bescheid wissen – kein unbedingt leichtes Unterfangen bei der Menge an verschiedenen Produkten.
Heißt das, dass ich auch über alle Kosmetikprodukte Bescheid wissen muss?
Wenn es sie gibt und sie in der Apotheke angeboten werden, dann sollte ich sie zumindest so weit kennen, dass ich im Bedarfsfall sagen kann: „Ah, da hätte ich vielleicht etwas für Sie.“ Das heißt jetzt natürlich nicht, dass ich aus dem Stand alle Inhaltsstoffe kennen muss, aber einen groben Überblick sollte ich schon haben. Wenn ich – bei Interesse oder Fragen – zum/zur Kund:in sage: „Schauen wir uns das gemeinsam an“, und dann im Verlauf des Gespräches auf die Verpackung schaue, um die Inhaltsstoffe genauer zu identifizieren, ist das eher kein Problem. Im Gegenteil: Auch wenn es ein paar Minuten dauert, wird die Wahrnehmung des/der Kund:in sein: „Man nimmt sich Zeit für mich, ich werde ernst genommen, man bemüht sich um mich.“ Diese Wahrnehmung ist, wie ich schon an anderer Stelle gesagt habe, etwas extrem Wichtiges, und sie ist natürlich sehr subjektiv.
Natürlich muss ich nicht jedes Zusatzprodukt, jede Gesichtscreme, jede Körperlotion, jedes Zahnpflegemittel bzw. deren Inhaltsstoffe auswendig herunterbeten können. Das ist in der Praxis unmöglich, und dafür gibt es – in den allermeisten Fällen – Datenbanken oder Produktkataloge, die ich zu Rate ziehen kann.
Wenn ich aber einen Überblick habe, wo ich dann sagen kann, dass das dazu passen könnte, ist das sicher nicht schlecht. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass ich für sie Zeit habe oder mir für ihre Anliegen Zeit nehme, haben sie meistens auch mehr Zeit und lassen sich gerne beraten. Das Blöde beim Faktor „Zeit haben“ ist immer nur das Warten. Warum ist das so? Ganz einfach, weil sich in dieser Zeit niemand um mich kümmert. So kurios es klingen mag: Wenn ich fünf, sechs Minuten warten muss, dann aber weit länger – zehn oder vielleicht sogar mehr Minuten – beraten werde, werden mir die fünf oder sechs Minuten immer länger vorkommen als jene zehn oder mehr Minuten, in denen sich jemand mit mir beschäftigt bzw. mir zuhört. Insofern hat Einstein Recht gehabt: Zeit ist relativ – gerade im Verkauf.
Zum Schluss noch ein eher heikles Thema: Wie begegnet man „schwierigen“ Kund:innen wie etwa dementen oder schwerhörigen Personen?
Auch wenn es schwierig erscheint, vor allem dann, wenn dahinter schon zwei oder mehrere andere Kund:innen warten: Das Wichtigste ist, dass man sein Gegenüber ernst nimmt und ihm auch dieses Gefühl vermittelt, dass er/sie ernst genommen wird. Das ist sicher nicht immer ganz einfach, weil man es in einer Apotheke mit der gesamten Bandbreite an menschlichen Charakteren zu tun hat. Schwierig sind Menschen ja nicht immer nur deshalb, weil sie grundsätzlich von der Persönlichkeit her so sind, sondern oft auch, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Solche Personen gehen von vornherein schon aggressiver oder vorsichtiger in ein Gespräch. Sie wollen damit gleich vorweg etwas signalisieren. Es kann sein, dass sie ein Signal senden, dass sie schlechte Erfahrungen gemacht haben und gleich von vornherein festhalten wollen, dass sie das nicht mehr zulassen. Es kann aber auch Unsicherheit oder Angst sein.
Die Frage ist immer, warum sich die Leute so verhalten. Sehr oft kann ich in solchen Fällen schon die Spannung rausnehmen, indem ich meinem Gegenüber das Gefühl gebe, dass ich ihm/ihr zuhöre – das heißt, ich nehme das auf, was er/sie sagt. Ich kann Fragen stellen, und ich kann – auch wenn es in der konkreten Situation schwierig erscheint – bewusst Empathie einsetzen. Ich kann den Leuten signalisieren, dass ich sie verstehe. Wie bereits oben erwähnt: Empathie ist kein Gefühl, Empathie ist eine Fähigkeit, die man erlernen und einsetzen kann.
Muss ich das Verhalten deshalb akzeptieren, muss ich deshalb der gleichen Meinung sein? Die Antwort darauf lautet ganz klar: Nein. Ich kann den Ball einfach zurückspielen und signalisieren, dass man den Ärger versteht.
Bei schwerhörigen Patient:innen geht es sicher darum, dass man sich einfach ein wenig mehr Zeit nimmt. Wenn ich versuchen würde – um es hart auszudrücken –, sie schnell abzufertigen oder loszuwerden, merken dies die Menschen ganz rasch, und es kann dazu führen, dass es unter Umständen noch länger dauert. Man sollte in einem solchen Fall seine Sätze eher kurzhalten und einfach formulieren, sodass es das Gegenüber auch versteht.
Danke für das Gespräch.