Endlich wieder gut schlafen

In den vergangenen 15 Jahren hat sich das Schlafverhalten der Österreicher stark verändert – allerdings nicht zum Guten.2018 befragte die MedUni Wien 1.000 Österreicher zwischen 18 und ­65 Jahren zu ihren Schlafgewohnheiten und verglich die Ergebnisse mit jenen einer ähnlichen Umfrage aus dem Jahr 2007. Deutlich zu erkennen war eine Abnahme der Schlafqualität und eine ­Zunahme von Schlafproblemen und Schlafstörungen. Aber auch die Corona-Pandemie hat sich stark im Schlafverhalten niedergeschlagen. Im März 2020 gaben 18 % der Österreicher an, weniger bzw. viel weniger zu schlafen, und 32 % beurteilten ihre Schlaf­qualität als (viel) schlechter.
Problematisch werden Schlafstörungen, wenn die körperliche und geistige Funktionsfähigkeit tagsüber aufgrund starker Müdigkeit und Erschöpfung wiederholt eingeschränkt ist. Treten die Beschwerden mindestens dreimal wöchentlich über einen Monat lang auf, so leidet man an Schlafstörungen. Von Einschlafstörungen spricht man, wenn bis zum Einschlafen mehr als 30 Minuten vergehen. Durchschlafstörungen sind durch häufiges nächtliches Aufwachen charakterisiert, wobei die Zeit bis zum erneuten Einschlafen mehr als eine halbe Stunde beträgt. Bei anhaltendem Schlafmangel können neben Konzentrationsschwäche, Gereiztheit und Müdigkeit auch Beschwerden wie Magen-Darm-Störungen, Kopfschmerzen und Migräne, Gewichtszunahme, Hautprobleme, erhöhte Infektanfälligkeit und ein steigendes Risiko für Herzerkrankungen hinzukommen.

Klassifizierung und Einflussfaktoren

Schlafstörungen werden nach der ICSD (International Classification of Sleep Disorders) eingeteilt, deren aktuelle Version (ICSD-3) sechs Hauptkategorien nennt: Insomnien, schlafbezogene Atmungsstörungen, Hypersomnien zentralnervösen Ursprungs, zirkadiane Rhythmusstörungen, Parasomnien und schlafbezogene Bewegungsstörungen.

Vereinfacht dargestellt gibt es verschiedene Auslöser für schlechte Schlafqualität und für Schlafstörungen. Hierzu gehören sämtliche Stressfaktoren wie beruflicher/privater Stress, Schichtarbeit (Nachtdienste), äußere Faktoren (Lärm, Licht und Temperatur) und chronische Erkrankungen (Neurodermitis, Schmerzen, Depressionen, Angstzustände, Restless-Legs-Syndrom, hormonelle Umstellungen sowie Alzheimer und andere Demenzformen). Aber auch Nikotin, Alkohol und Drogenkonsum beeinflussen das Schlafverhalten ebenso nachhaltig wie die Einnahme von bestimmten Arzneimitteln (Betablocker, Schilddrüsenhormone u. a.).

Um einen gesunden Schlaf zu fördern, ist die richtige Schlafhygiene essenziell. Es wird empfohlen, eine passende Schlafumgebung (dunkel, kühl, ruhig) zu schaffen, Schlafrituale und Entspannungstechniken zu entwickeln, keine schweren Mahlzeiten vor dem Zubettgehen zu essen, möglichst immer zur selben Zeit schlafen zu gehen und auf Mittagsschläfchen (sofern Bestandteil des Lebens) zu verzichten. Wenn die Verbesserung der Schlafhygiene und eine Verhaltensänderung allein nicht ausreichen, gibt es auch eine große Auswahl an Mikronährstoffen und Phytopharmaka, die einen erholsamen Schlaf unterstützen und die Schlafqualität verbessern, ohne dabei abhängig zu machen. Sollten die Schlafstörungen auch mit pflanzlicher Unterstützung weiter anhalten, sollte ein Arzt aufgesucht werden.

Wirkungsweisen von Pflanzen

Die wahrscheinlich bekannteste Arzneipflanze im Bereich der Sedativa ist der Baldrian. Die Hauptwirkung geht vermutlich von den Valepotriaten (Valeriana-Epoxy-Triester) und Sesquiterpenen (Valerensäure) aus. Valerensäure wirkt als GABAA-Rezeptor-Modulator und hemmt den GABA-Abbau. Baldrian wirkt beruhigend, schlaffördernd und entspannend. Wie bei den meisten Phytopharmaka ist auch hier mit keinem sofortigen, voll ausgeprägten Effekt zu rechnen; erst nach einer ein- bis zweiwöchigen Einnahme stellt sich die maximale Wirkung ein. Neben zahlreichen Monopräparaten wird Baldrian auch gerne in Kombination mit anderen Pflanzen, zum Beispiel Passionsblume, und Mikronährstoffen verwendet. Diese wirkt beruhigend und angstlösend, ohne dabei abhängig zu machen. Für die Wirkung von Passionsblumenextrakten wird die Bindung an eine Untereinheit des GABAA-Rezeptors verantwortlich gemacht, wodurch mehr Chlorid-Ionen in die Zelle einströmen und die Erregbarkeit sinkt. Durch die gleichzeitige antagonistische Wirkung am GABAB-­Rezeptor wird GABA langsamer aus dem synaptischen Spalt wiederaufgenommen, wodurch GABA länger im synaptischen Spalt verbleibt und die anxiolytische Wirkung verlängert wird.

Neben Baldrian und Passionsblume zählt auch die Melisse zu den bewährtesten pflanzlichen Drogen bei Ein- und Durchschlafstörungen. Sie enthält vor allem ätherische Öle, Labiatengerbstoffe, Flavonoide und Triterpensäuren. Zubereitungen aus Melisse wirken beruhigend, entspannend, krampflösend, antimikrobiell und antiviral. Besonders bei nervöser Unruhe, Prüfungsangst und nervösen Einschlafstörungen ist Melisse eine gut verträgliche Wahl. Nicht fehlen darf natürlich auch Hopfen, der analog zu Baldrian und Passionsblume wahrscheinlich ebenfalls mit dem GABAA-Rezeptor interagiert. Eine Rolle dürfte hier auch Xanthohumol, ein sekundärer Pflanzenstoff im Hopfen, spielen. Der genaue Wirkmechanismus, der für die beruhigende und schlaffördernde Wirkung verantwortlich ist, wurde allerdings noch nicht entschlüsselt.

Kombinationen

In den letzten Jahren wurde in vielen Präparaten auf die Kombination aus Phytopharmaka, Mikronährstoffen und auch Melatonin gesetzt. Letzteres gehört zur Gruppe der Neurohormone und wird von der Epiphyse gebildet. Melatonin steuert den Schlaf-wach-Rhythmus. Die Melatoninausschüttung wird vom suprachiasmatischen Nucleus (SCN) des Hypothalamus, der sogenannten „inneren Uhr“, gesteuert. Der SCN reagiert auf Veränderungen von hell und dunkel und regt die vermehrte Melatoninfreisetzung bei einsetzender Dunkelheit an. Melatonin entsteht aus der Aminosäure Tryptophan über die Zwischenstufen 5-HTP und Serotonin. Die Bildung von Melatonin ist u. a. von Vitamin B6 abhängig, was den Zusatz des B-Vitamins in vielen Kombinationspräparaten erklärt. Oral aufgenommenes Melatonin ist zu ca. 15 % bioverfügbar und unterliegt einem sehr hohen First-Pass-Effekt. Nichtretardierte Präparate haben eine sehr kurze Wirkdauer von rund ­20 Minuten. Bei retardierten Präparaten kann es häufig zu Kopfschmerzen, Nasopharyngitis, Rücken- und Gelenkschmerzen kommen.