Evolutionsfalle

In diesem Heft befindet sich ein ausführlicher Beratungsleitfaden zum Thema Reflux. Hunderttausende Menschen sind davon regelmäßig geplagt, schlafen deshalb oft (schlecht) in aufrechter Sitzposition, klagen über Schmerzen hinter dem Brustbein und suchen in der Apotheke Rat. Gerade rund um den Frühlingsbeginn wird ein vermehrtes Auftreten bemerkt.

Doch warum ist das so?
Eine interessante Theorie liefert dazu das Humanitas Research Hospital in Mailand – und macht dabei eine Reise in die Steinzeit: Der Urmensch hatte im Winter wenig zu essen bzw. enorme Schwierigkeiten, Nahrung zu finden, weshalb auch weniger Magensäfte produziert wurden, um die Magenschleimhaut nicht zu verletzen. Mit dem aufkommenden Frühjahr vergrößerte sich auch wieder das Nahrungsangebot, und so sprang auch die Produktion der Salzsäure wieder an. Umgelegt auf heute hieße das: Der Organismus kommt mit dem plötzlichen Überangebot an Säure nicht zurecht, Reflux ist die Folge. Hinzu kommt vermutlich auch der Anstieg des Kortisolspiegels durch mehr Lichtexposition. Als Konsequenz daraus wird die intestinale Peristaltik vermindert, die Verdauung gerät aus dem Takt. Diese Theorien klingen mehr als plausibel, vor allem wenn man bedenkt, wie oft unser Steinzeitgenom in der modernen Zeit immer noch den Ton angibt, indem man mehr isst, als man benötigen würde, weil Steinzeitgene eine Art des Essens auf Vorrat einprogrammiert haben. Die gesamte Stressreaktion folgt immer noch dem urzeitlichen Säbelzahntiger-Modell „fight or flight“. Die Fähigkeit, Wasser und Salz im Körper zurückzuhalten, um in der steinzeitlichen Savanne zu überleben, mündet in die Hypertonieproblematik von heute. Wir essen viel Salz und halten viel davon im Körper zurück, obwohl wir nicht mehr müssten – das ist einer der Gründe, weshalb der Blutdruck über die Jahre ansteigen kann.

Dies alles soll keine Ausrede sein, als seien die Zivilisationskrankheiten ein unabwendbares Schicksal, das uns die Steinzeit auferlegte. Aber es kann sich durch die Beschäftigung mit evolutionärer Medizin und Evolutionsbiologie ein Verständnis daraus ergeben, weshalb uns manche Prozesse im Körper zu schaffen machen. Wir arbeiten mit biologisch alten Systemen in einer völlig anderen Zeit. Für die Gesunderhaltung und Therapie sollte dieser Aspekt zusätzlich zur Familiengeschichte mitgedacht werden.