Gemeinsamkeiten, Unterschiede und ­Bedeutung für die Apothekenpraxis

Nahrungsergänzungs- und rezeptfreie Arzneimittel werden beide in dosierter Form und verpackt an die Kund:innen abgegeben, weisen daher mitunter optische Ähnlichkeiten auf und dienen beide dem übergeordneten Thema Gesundheit. Wesentlich größer sind jedoch die Unterschiede der beiden Kategorien, vor allem hinsichtlich ihrer Eigenschaften, ihrer Inhaltsstoffe, Studien, ihrer Zulassung und folglich auch ihrer Empfehlung.

5 große Unterschiede

Charakteristika. Jede Gruppe weist ganz ­spezifische Charakteristika auf.

Arzneimittel:

  • dienen der Heilung, Linderung und Prävention von Krankheiten und Beschwerden
  • bestehen aus einem oder mehreren Wirk- sowie Hilfsstoffen
  • zeigen eine pharmakologische, eine immunologische oder eine metabolische Wirkung

Nahrungsergänzungsmittel:

  • dienen zur Ergänzung einer normalen Ernährung oder zur gezielten Versorgung mit Lebensmittelinhaltsstoffen
  • bestehen aus Einfach- oder Mehrfachkonzentraten aus Nährstoffen oder sonstigen Stoffen, z. B. oft aus Vitaminen, Mineral- oder pflanzlichen Inhaltsstoffen
  • zeigen eine ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung

Inhaltsstoffe. Inhaltsstoffe in Arzneimitteln müssen den Qualitätsanforderungen des Arzneibuches (Ph. Eur., ÖAB) entsprechen: Das garantiert eine Mindestmenge an wertbestimmenden Inhaltsstoffen (z. B. Mindestgehalt an ätherischem Öl im Pfefferminzblatt) sowie u. a. auch die Einhaltung der Reinheitskriterien des Arzneibuches!

In Nahrungsergänzungsmitteln dürfen nur Vitamine und Mineralstoffe verwendet werden, die im Anhang der Richtlinie 2002/46/EG angeführt sind und auch der angegebenen Form entsprechen (z. B. Niacin aus Nikotinsäure oder Nikotinamid); die empfohlene tägliche Verzehrmenge muss angegeben sein. Ansonsten gelten für NEM in Österreich die Regelungen aus dem Lebensmittel- und Verbraucherschutzgesetz sowie der Nahrungsergänzungsmittelverordnung.

Studien und Werbeaussagen. Die Wirksamkeit und die Sicherheit eines Arzneimittels werden in klinischen Studien festgestellt. Klinische und pharmakologische Wirkungen des Arzneimittels werden hierin untersucht bzw. bestätigt. Nahrungsergänzungsmittel können hingegen allgemein zugelassene gesundheitsbezogene Aussagen (Health Claims) verwenden: Diese sind nur dann zulässig, wenn sie von der EFSA (European Food Safety Authority = Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) bzw. der Europäischen Kommission erlaubt wurden und die Bedingungen für die Verwendung im Nahrungsergänzungsmittel erfüllt sind.*

Zum Beispiel darf für ein Nahrungsergänzungsmittel, das die von der EFSA geforderte Mindestmenge an Kalzium enthält, die Aussage „Kalzium trägt zu einer normalen Muskelfunktion bei“ verwendet werden. => Ein Nahrungsergänzungsmittel muss daher nicht zwangsläufig in einer Studie getestet worden sein; auch kann sich die Probandenanzahl im Vergleich zu Arzneimittelstudien zum Teil deutlich unterscheiden.

Die Verwendung von nichtzugelassenen gesundheitsbezogenen Aussagen zählt zu den häufigsten Beanstandungsgründen bei amtlichen Kontrollen durch die AGES!1

Zulassung. Arzneimittel müssen in Österreich generell zugelassen, traditionelle pflanzliche Arzneimittel und homöopathische Arzneimittel können auch registriert werden. Für Nahrungsergänzungsmittel ist hingegen weder eine Zulassung noch eine Registrierung oder Anmeldung erforderlich.

Empfehlung Nahrungsergänzungsmittel. Die AGES gibt auf ihrer Website dazu folgende Empfehlung: „Für die gesunde Durchschnittsbevölkerung ist der Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln aus ernährungswissenschaftlicher Sicht nicht notwendig. Lediglich für ­be­stimmte Personengruppen (z. B. Frauen mit ­Kinderwunsch, Schwangere, Hochleist­ungssportler:innen und Personen mit sehr ­ein­seitigen Ernährungsgewohnheiten sowie Veganer:innen) kann der vorübergehende ­Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln ­sinnvoll sein.“1

Rechtliche Situation

Kann ein Produkt beides sein? Nein! Arzneimittel unterliegen in Österreich u. a. dem Arzneimittelgesetz und der Arzneimittelbetriebsordnung, Nahrungsergänzungsmittel hingegen dem Lebensmittel- und Verbraucherschutzgesetz sowie der Nahrungsergänzungsmittelverordnung. Im Zweifelsfall – sofern ein Produkt die Definition des Arzneimittels als auch die Definition eines in einem anderen Gesetz geregelten Produktes erfüllt (z. B. Nahrungsergänzung, Kosmetik) – ist u. a. aus Gründen des Verbraucherschutzes das Arzneimittelgesetz anzuwenden!

Bedeutung für die Apothekenpraxis

Was bedeutet das nun für unsere Arbeit an der Tara?

Bewusstsein der Unterschiede. Nahrungsergänzungs- und Arzneimittel sind unterschiedliche Produktgruppen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der rechtlich geforderten Inhaltsstoffqualität (Ph. Eur., ÖAB) und der Studienlage. Ebenso unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Indikation (Prävention und Heilung vs. Ergänzung der Ernährung) und folglich ihrer Wirkung (pharmakologisch vs. ernährungsspezifisch/physiologisch).

Blick auf die Packung. Nahrungsergänzungs- und Arzneimittel können sich in der Verpackung bzw. Aufmachung teilweise sehr ähneln. So lohnt sich ein genauer Blick auf die Verpackung und Kennzeichnung, um zu bestimmen, welche Produktkategorie man gerade wirklich in der Hand hält.

Frage nach dem Kundenwunsch. Die Frage nach dem Wunsch bzw. was die Kund:innen mit dem Produkt erreichen möchten, ist die wichtigste. Geht es den Kund:innen beispielsweise darum, die Ernährung zu ergänzen oder gemäß „health claim“ zur Erhaltung normaler Haut oder zu Ähnlichem beizutragen? Oder leiden die Kund:innen an einer Krankheit, haben krankhafte Beschwerden, die gelindert werden sollen, oder möchten ihnen gezielt vorbeugen? Von diesen Antworten im Beratungsgespräch ausgehend sollten wir das richtige Produkt für unsere Kund:innen auswählen!

Abschließend noch ein paar Punkte speziell für die Beratung bei Nahrungsergänzungsmitteln1: Die angegebene und empfohlene Tagesdosis nicht überschreiten, Nahrungsergänzungsmittel nicht als Ersatz für eine abwechslungsreiche Ernährung verwenden, und kranke Personen sollten die Einnahme vorab mit ihrem/ihrer Ärzt:in besprechen.