Wie geht die Umsetzung der Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen zur ÖGK voran? Was sind die nächsten Schritte?
Mag. Bernhard Wurzer: Die ÖGK ist auch für Menschen, die bereits seit 20 Jahren hier arbeiten, nicht mehr wegzudenken. Im Moment versuchen wir, eine neue, gemeinsame Kultur zu entwickeln. Für die Versicherten arbeiten wir daran, bundesweit alle Leistungen umzusetzen, also das Beste aus allen Ländern herauszuholen. Was den Personalstand angeht, sind wir derzeit stabil. Trotz der Situation, dass wir während der Pandemie viele Aufgaben übernommen haben, wie den Ankauf von Schutzbekleidung, Stundungen für die Beiträge und vieles mehr. In den nächsten Jahren wollen wir daran arbeiten, Synergieeffekte zu lukrieren – vor allem bei der Kostenerstattung und ähnlichen Themen, wo sich die Bundesländer gegenseitig helfen können.
Wie steht es um die versprochene „Patientenmilliarde“? Die ÖGK erwartet in den kommenden Jahren Verluste …
Wurzer: Die Patientenmilliarde war eine politische Diskussion. Das ist nicht das Thema, das wir in der Verwaltung als Maßgabe hatten. Wir wollen die 16,5 Milliarden Euro Gesamtumsatz den Versicherten zugutekommen lassen. In die Verwaltung fließen nicht einmal drei Prozent, der Rest wird für die Versicherten eingesetzt. Wir wollen einerseits die Versicherungsleistungen stetig ausbauen sowie entbürokratisieren – und das tun wir auch. Wenn man sich die ersten Prognosen von 2020 ansieht, als es Diskussionen über Horrorszenarien über Milliardendefizite gab, muss man sagen, dass wir besser dastehen. Es gibt zwar ein Minus – weniger als ein Prozent unseres Gesamtvolumens –, aber das ist hauptsächlich der Pandemie geschuldet. Die ÖGK ist stabil, und die Versicherten müssen sich auf jeden Fall keine Sorgen machen.
Wie entwickeln sich die Arzneimittelausgaben der ÖGK?
Wurzer: Die Ausgaben entwickeln sich derzeit steil nach oben; was allerdings kein Mengenproblem ist, sondern mit dem Preis zu tun hat. Es kommen immer mehr neue Medikamente auf den Markt, und viele Dinge, die vorher stationär erledigt wurden, werden nun ausgelagert, was auch die Arzneimittelkosten zu uns bringt. Das ist eine große Herausforderung für uns, da braucht es neue Finanzierungsmodelle, auch in Richtung „pay for performance“. Per Gesetz ist hier der Dachverband zuständig. Da gibt es aber ein Zusammenspiel mit den Trägern, um den Versicherten die beste Versorgung zu gewährleisten.
Was sagen Sie dazu, dass die Apotheken auch impfen wollen?
Wurzer: Man kann darüber nachdenken, einzelne Gesundheitsberufe zu stärken und bestimmte Leistungen auch auf mehrere Gesundheitsberufe zu verteilen. Man muss nur wissen, dass Liberalisierung heißt, dass irgendwann alles liberalisiert wird, und dann stellt sich die Frage, wo noch sonstige Leistungen passieren. Aber natürlich ist es spannend, wenn man bedenkt, dass wir eine Durchimpfungsrate von über 80 Prozent brauchen. Da sollten möglichst viele Berufsgruppen die Chance haben, zu impfen. Wenn im Herbst die nächste Welle kommt, wird es die Kraft aller brauchen, und da stellt sich die Frage, wer dabei ist. Schlussendlich liegt die Entscheidung aber beim Gesetzgeber.
Ist aut idem sinnvoll?
Wurzer: Wichtig ist, dass wir immer schauen, was das Interesse der Patient:innen ist. Das Medikament sollte so eingekauft werden, dass es auch die Kinder und Enkelkinder der Versicherten künftig noch bekommen können. Bei Generika muss es unser Ziel sein, das kostengünstigste Medikament mit den gleichen Wirkungsstoffen an die Patient:innen zu bringen. Wir leben in dem Spannungsfeld, die Finanzierung sicherzustellen, damit die Sozialversicherung auch für künftige Generationen gesichert ist, und gleichzeitig allen Menschen die beste Gesundheitsversorgung zu bieten, die es gibt. Da gibt es unterschiedliche Lösungen, aut idem ist eine davon. Ob es die beste ist, kann ich jetzt nicht sagen.
Was sind aktuell die drei wichtigsten Fragen, die es aus Sicht der ÖGK zu lösen gilt, und wie werden Sie vorgehen?
Wurzer: Das Hauptthema ist sicherlich die Pandemie. Und durch Corona verstärkt die Digitalisierung. Da gibt es die Überlegung, „1450“ weiter auszubauen und Videokonsultationen einzuführen. Bei der ÖGK haben wir das ja mit „visit-e“ bereits gemacht. Eine weitere Herausforderung ist das geänderte gesellschaftliche Verhalten. Sind Menschen krank, wollen sie gleich einen Termin und nicht erst in drei Wochen. Das führt dazu, dass viele in die Ambulanzen gehen. Die Antwort ist also nicht eine Ordination von 9 bis 12 Uhr offen zu halten, sondern auf Zusammenschlüsse zu setzen, damit es Öffnungszeiten von 7 bis 19 Uhr gibt. Stichwort: Primärversorgungseinheiten – damit Patient:innen, wenn sie ein Problem haben, auch sofort drankommen.
Während der Pandemie waren die Menschen weniger im Spital – sollten da nicht auch die Zahlungen an die Spitäler gesenkt und die Pauschale reduziert werden?
Wurzer: Das ist in den nächsten Finanzausgleichsverhandlungen ein großes Thema. Letztlich haben sich die Zahlungen aufgrund der Beitragssituation in einem Jahr nicht so stark erhöht, wie angenommen. Jetzt gibt es eine große Nachzahlung, weil die Beiträge im vergangenen Jahr wieder stark gestiegen sind. Unsere Zahlungen an die Krankenhäuser haben sich gar nicht geändert, die Leistungen sind aber pandemiebedingt deutlich zurückgegangen. Trotzdem gab es hier vom Bund eine große Finanzspritze über 700 Millionen Euro für die Spitäler aufgrund der Einnahmeausfälle. Da wird man in den 15a-Verhandlungen nachdenken müssen, was die Leistung der Sozialversicherung ist und was die Sozialversicherungen in den vergangenen Jahren trotzdem in die Spitäler einbezahlt haben. Es geht um leistungsorientierte Bezahlung, also dass die Gelder auch dorthin fließen, wo die Menschen behandelt werden.