Initiative Rheuma: Neue Leitlinien zur Fibromyalgie

Als Fibromyalgiesyndrom (FMS) bezeichnet man chronische (länger als 3 Monate andauernde) Schmerzen im Achsenskelett und allen 4 Körperquadranten (so genannter „chronic widespread pain“) in Verbindung mit Zusatzsymptomen und bei Palpitation von druckschmerzhaften „tender points“. Das FMS ist ein multifaktorielles Schmerzsyndrom, das aus einer Wechselwirkung von biologischen und psychosozialen Mechanismen resultiert. Es erfordert eine multimodale und multidisziplinäre Behandlung. Lange Zeit herrschten in der Diagnostik und Therapie des FMS Unsicherheit und vielfach Ratlosigkeit. Mit der Veröffentlichung der interdisziplinären S3- Leitlinie zur Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des FMS1 kann die Behandlung dieses Krankheitsbildes nun auf der Basis wissenschaftlicher Evidenz konzipiert werden.

 

Abgestufte multimodale Behandlung

Entsprechend einem biopsychosozialen Krankheitsmodell wird das FMS heute als gemeinsame Endstrecke unterschiedlichster Faktoren konzipiert. Dem Modell einer Wechselwirkung von biologischen und psychosozialen Mechanismen folgend, ist in der Therapieplanung auf ein ausgewogenes Miteinander dieser verschiedenen Interventionsebenen zu achten. Die evidenzbasierten Behandlungskonzepte bei FMS sind multimodal und multidisziplinär ausgerichtet. Als multimodale Therapie bezeichnet man die gleichzeitige Behandlung auf mehreren Interventionsebenen, als multidisziplinäre Therapie die Zusammenarbeit von mehreren Gesundheitsberufen.Folgende Behandlungsstufen werden empfohlen1:

1. Basistherapie Entscheidend für eine gute Adhärenz von FMS-Patienten ist eine klare Etablierung der Diagnose sowie eine umfassende Informationsvermittlung über die Ursachen der Erkrankung entsprechend dem biopsychosozialen Modell einschließlich der Vermittlung von Selbstregulationsmöglichkeiten (Stressmanagement, Förderung von persönlichen Ressourcen, „entkatastrophisieren“ und positiv bestärken).
Wenn durch die Beschwerden des FMS eine relevante Beeinträchtigung von Alltagsfunktionen (Berufstätigkeit, Freizeitverhalten, Sozialkontakte, Partnerschaft und Kindererziehung, Sexualität, Haushaltsführung etc.) vorliegt, sollte mit einer ambulanten Therapie über mindestens 6 Monate begonnen werden. Diese sollte aus einer Kombination von folgenden Bausteinen bestehen:

■■ Patientenschulungsprogramm mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen und operanten Elementen (Psychoedukation, empfohlen auch in Form von Informationsgruppen)

  • aerobes Ausdauertraining, das an die individuelle Leistungsfähigkeit angepasst ist
  • antidepressive Medikation: in erster Linie Amitriptylin (25–50 mg/d), vorzugsweise als Abenddosierung zur Verbesserung der Schlafstörung, weiters Duloxetin (60–120 mg/d) oder Milnacipran (100–200 mg/d).
  • Diagnostik und Therapie komorbider körperlicher Erkrankungen (z. B. entzündlich-rheumatische Erkrankungen) und psychischer Störungen (insbesondere depressive Störungen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörung) Als Behandlungsziele können festgelegt werden: Verbesserung der Funktionsfähigkeit im Alltag, Erhalt von Aktivitäten trotz Schmerzen sowie Beschwerdeminderung. Eine Überprüfung der Behandlungseffekte wird nach 6 sowie bei ausreichender Wirksamkeit nach 12 Monaten empfohlen.

2. Multimodale ambulante Therapie

  • medizinische Trainingstherapie oder eine andere Form einer aktivierenden Bewegungstherapie
  • Schmerzpsychotherapie und/oder klinisch-psychologische Schmerztherapie
  • weitere Maßnahmen: Fortführung der medikamentösen Maßnahmen, Selbstmanagement der Patienten, Weiterbehandlung komorbider somatischer Erkrankungen und psychischer Störungen Wenn eine multimodale Therapie im ambulanten Setting nicht ausreichend verfügbar ist, soll eine mehrwöchige multimodale Behandlung in einem (teil-)stationären Setting veranlasst werden. Für beide Behandlungsprogramme liegen bisher ausreichende Effektivitätsdaten vor.3

3. Langzeitbetreuung, psychosomatische Grundversorgung

Bei Patienten mit anhaltenden relevanten Beeinträchtigungen von Alltagsfunktionen wird eine langfristige medizinische und (psycho-)therapeutische Begleitung mit dem Ziel empfohlen, die Selbstverantwortung und Eigenaktivität der Betroffenen zu stärken.

  • Selbstmanagement: aerobes Ausdauer-, Funktions- und Entspannungstraining, Stressbewältigung
  • ambulante Fortführung multimodaler Therapieprogramme
  • multimodale Intervall- oder Boostertherapie: zumeist in (teil-)stationärem Setting zur Intensivierung früherer multimodaler Therapien, eventuell in Form eines fraktionierten Behandlungssettings – mehrmaliger Wechsel von ambulanten und (teil-)stationären Behandlungsabschnitten über einen längeren Zeitraum
  • Wechsel der Medikation: SNRI (Duloxetin 60–120 mg/d; Milnacipran 100–200 mg/d), SSRI (Fluoxetin 20–40 mg/d; Paroxetin 20–40 mg/d), Tramadol/Paracetamol (bis zu 150 mg/d bzw. 1.300 mg/d) oder Pregabalin (bis 450 mg/d).
  • zeitlich befristet: Hypnotherapie/geleitete Imagination oder therapeutisches Schreiben
  • Ganzkörperwärmetherapie
  • vegetarische Kost keine weitere spezifische Behandlung

 

Literatur:

1 Häuser W et al., Schmerz 2008; 22(3):239–40; www.awmf.org

2 Turk DC et al., Arthritis Care Res 2008; 11:186