Lehren aus der COVID-19-Pandemie

Das angeborene und adaptive ­Immunsystem schützt uns vor ­Infektionserkrankungen.
Menschen mit bestimmten primären Immundefekten (PID), d. h. einer angeborenen Störung des Immunsystems, haben ein stark erhöhtes Risiko, an COVID-19 zu versterben, wie Univ.-Prof. Dr. Winfried Pickl, MedUni Wien, anlässlich seines Vortrages im Rahmen des Österreichischen Impftages betonte. Die weltweite Mortalitätsrate von COVID-19 lag in der Gesamtbevölkerung (anfangs) bei etwa 1 %. Seit Einführung der Impfungen liegt die Sterblichkeit vermutlich deutlich darunter.

Primärer Immundefekt

Patient:innen mit PID erkranken üblicherweise in früherem Lebensalter, viel häufiger schwer (10–20 % vs. 2 %), sind länger krank und versterben wesentlich früher. Bei einem Antikörpermangelsyndrom ist das Immunsystem nicht in der Lage, Antikörper (AK) auszubilden. Die Mortalität steigt dadurch auf bis zu 7 %. Interferone (INF) schützen unsere Zellen intrazellulär bereits vor Viruseintritt. Bei Interferonopathien funktioniert diese Art der Virenabwehr aufgrund von Mutationen im Interferon-1-α-Signalweg nicht. Heute ist bekannt, dass etwa 20 % der sehr schweren Fälle durch eine Interferonopathie erklärbar sind – laut Pickl wäre ein Screening denkbar, um diese Patientengruppe zu identifizieren. Wenn die Information bereits bei Krankheitsbeginn bekannt ist, könnte man INF-α verabreichen, einzelne Fallstudien belegten hier die Wirksamkeit. Eine rezente Studie zu Typ-III-INF (INF-λ) mit rund 1.000 Patient:innen konnte zeigen, dass die Hospitalisierungen mit der Verabreichung des INF um 49 % signifikant vermindert werden konnten. Ein Großteil der Proband:innen war bereits geimpft.

Hybridimmunität

Das adaptive Immunsystem wird durch regelmäßigen Kontakt entweder durch Impfung oder durch Infektion trainiert. Im Fall von ­COVID-19 liegt heute bei den meisten Menschen eine Hybridimmunität vor. Nach einer Impfung erfolgt in der Regel eine prompte Serokonversion, bei Gesunden spätestens nach der 2. Impfung. Die COVID-19-Impfungen haben eine sehr hohe Reaktogenität gezeigt, Fieber war eine häufige Nebenwirkung. Bei dem vektorbasierten Impfstoff war diese Reaktion bei der 1. Impfdosis zu erwarten, während bei den mRNA-Impfstoffen die 2. Impfung reaktogener war. Bei den Subunit-Vakzinen fielen die Impfreaktionen insgesamt etwas geringer aus; hier war auch die 2. Impfung stärker reaktogen. Was alle Impfungen gemeinsam haben, ist der Abfall der Schutzwirkung über die Zeit, weiß der Immunologe. Ein Impfzyklus verhindert nicht die Infektion mit dem Virus, dafür aber sehr erfolgreich die schweren Krankheitsverläufe. Hinsichtlich Effektivität zeigten die mRNA-Vakzine die höchste Wirksamkeit.

Neutralisierende AK

Die Bildung von AK ist ein wichtiges Korrelat für die Schutzwirkung. Die AK, die gegen die rezeptorbindende Domäne (RBD) gerichtet sind, spielen eine wichtige Rolle. Neutralisierende AK verhindern die Infektion der Zielzellen, während natürliche Killerzellen helfen, das Virus zu zerstören. „Die Abwehr erfolgt einerseits durch die neutralisierende, blockierende Wirkung, andererseits durch die AK-abhängige Zytotoxizität gegenüber infizierten Zellen bzw. die AK-abhängige Phagozytose von Viren selbst bzw. von mit dem Virus infizierten Zellen“, erklärt Pickl. Das Target der Impfung ist das Spike-Protein, mit dem RBD-Anteil bindet das Coronavirus an den Rezeptor. AK, die gegen RBD gerichtet sind, verhindern die Infektion. Die Höhe der RBD-spezifischen AK korreliert mit Neutralisationstiter, d. h., je mehr von diesen AK vorhanden sind, desto besser lässt sich das Virus neutralisieren und kann erst gar nicht in den Körper eindringen.

Eine israelische Studie an Gesundheitspersonal zeigte, dass die 4. Impfung die Spiegel der neutralisierenden AK wieder deutlich anhebt. Je öfter geimpft wird, desto weniger Durchbruchsinfektionen bzw. weniger symptomatische SARS-CoV-2-Infektionen sind zu erwarten. Die höchsten AK-Level hatten Personen, die nach einer Impfung eine Infektion durchmachten. Dies liegt an einer Besonderheit der B-Zellen: Diese steigen nicht an, wenn vor dem Booster eine Ansteckung stattfindet, da die B-Zellen nach einer Infektion refraktär sind. Umgekehrt wirkt die Infektion aber als zusätzlicher Booster und befeuert zusätzlich die Wirkung der Impfung. Dies funktioniert am besten mit etwas zeitlichem Abstand zwischen Impfung und Infektion, wodurch sich im letzten Jahr Ende August bzw. Anfang September als ein ideales Booster-Fenster anbot. Abwassermonitorings wiesen für diesen Zeitraum besonders niedrige Virustiter nach.

Strategien bei Immunsupprimierten

Patient:innen mit PID ohne B-Zellen oder solche, die B-Zell-depletierende Medikamente wie z. B. Rituximab erhalten, können durch die Impfung keine neuen AK produzieren, da die Anzahl der zirkulierenden B-Zellen mit den gebildeten AK korreliert. Jedoch kommt es zu einer starken T-Zell-Reaktion, wenn man sie dennoch impft. Bei diesen Patient:innen lassen sich die AK am besten durch adaptiven Transfer (passive Immunität) in einem frühen Krankheitsstadium ersetzen. Diese Art der Therapie hat bereits Präsidenten gerettet, wie Pickl anekdotisch erwähnt. Donald Trump wurde mit einem Antikörpermix von Regeneron behandelt. Damals stand noch eine Reihe von AK zur Verfügung, die meisten davon sind aber gegen den Wuhan-Wildtyp gerichtet und werden daher nicht mehr eingesetzt. Gegen die aktuelle XBB-Variante helfen nur noch wenige Antikörper, unter anderemder monoklonale AK Sotrovimab.

Patient:innen mit soliden Tumoren, mit multiplem Myelom oder einer CED und unter immunmodulierender Therapie haben eine verzögerte Serokonversion, sie sollten daher rechtzeitig und zu einem früheren Zeitpunkt geboostert werden. Hier wird am besten nach Möglichkeit das Vakzin von Moderna eingesetzt, da dieser Impfstoff die höchste Wirksamkeit gezeigt hat.

Ausblick

„COVID-19 stellt uns auch weiterhin vor Herausforderungen“, schlussfolgerte Pickl. Hier stellt sich die Frage, wie man den Antikörperabfall verhindern kann und wie der Aufbau eines stabilen B- und T-Zell-Gedächtnisses gelingt – die Verhinderung von Infektionen ist rein theoretischer Natur und wäre nur bei nichtvorhandener Virusmutation möglich. Die Identifikation der immunologischen bzw. metabolischen Risikofaktoren für eine schwere Erkrankung sowie die Prävention der Langzeitfolgen der Infektion (Long COVID) sind künftige Aufgaben, die es zu lösen gilt.