Die Debatte über die Medikationsanalyse ist lang und der Weg steinig. 2006 startete der „Arzneimittelsicherheitsgurt“ in Salzburg. Mithilfe eines neu entwickelten Computerprogrammes sollten Wechselwirkungen bei Mehrfachmedikationen aufgezeigt werden, betonten die damalige Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (S) und Vertreter der Apothekerkammer bei einer Pressekonferenz. 60 Prozent aller Salzburger Apotheken hätten sich an dem „zukunftsorientierten System“ beteiligt, hieß es. Auch die Salzburger Gebietskrankenkasse war an Bord. Wirklich geworden sind daraus dann aber vor allem nur Debatten.
„Der Arzneimittelsicherheitsgurt soll bis Ende 2009 umgesetzt werden“, schrieb die SPÖ-ÖVP-Koalition 2019 in ihr Regierungsprogramm. Doch dann passierte nichts wirklich Greifbares. Erst ein Jahr später kam die Einigung. Das System wurde zur E-Medikation, sollte Anfang 2011 noch einmal erprobt werden und dann 2012 tatsächlich flächendeckend umgesetzt werden. Nachdem Ärzte und Apotheker monatelang über das Projekt gestritten hatten, verkündete der damalige Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) nicht nur mit diesen beiden Gruppen, sondern auch mit den Sozialversicherungen, den Ländern und der Patientenanwaltschaft eine Einigung. Und dann passierte das Gleiche wie schon in den Jahren davor: Nichts! Hinter den Kulissen waren sich die Streitparteien nämlich nach wie vor nicht einig. Die entscheidenden Fragen: Wer zahlt den Probebetrieb? Wer darf die heiklen Daten verwalten? – und vor allem: Wer entscheidet über die Wechselwirkungen? Der Arzt bei der Verordnung eines Medikamentes oder der Apotheker bei der Abgabe? Am Ende wurden es die Ärzte. 2012 folgte dann ein Testlauf.
Die Apothekerschaft wollte das Projekt dennoch nicht aus der Hand geben, benannte es in „Medikationsmanagement“ um und startete 2017 einen Testlauf mit der Uniqa-Versicherung. Die Uniqa Österreich Versicherungen AG als „Vorreiterin übernimmt für ihre Kunden, auf die Polymedikation zutrifft und die sowohl einen Sonderklasse- als auch einen ambulanten Tarif haben, die Kosten für die einstündige Beratungsleistung in der Apotheke“, hieß es damals. Um das Medikationsmanagement kostenfrei anbieten zu können, haben die Österreichische Apothekerkammer und Uniqa das Projekt „Medikamente im Griff“ gestartet. „Viele Menschen, besonders ältere Personen, verlieren leicht den Überblick über alle ihre Arzneien, weil sie mehrere Medikamente von verschiedenen Ärzten verschrieben bekommen. Zusätzlich nehmen manche auch rezeptfreie Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel zu sich. Dass einzelne Arzneimittel einander in ihrer Wirkung beeinflussen, wissen oder bedenken viele Patienten nicht,“ sagte Mag. pharm. Max Wellan, damaliger Präsident der Österreichischen Apothekerkammer. Mangels Nachfrage der Kunden ist das Projekt allerdings wieder eingeschlafen und wurde von der Versicherung nicht mehr aktiv beworben, hört man.
Jetzt also der Neustart und noch einmal eine Studie, die das System – in der Zwischenzeit heißt es „Medikationsanalyse“ – bestätigen soll. In Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien und dem Dachverband der Sozialversicherungsträger hat die Apothekerkammer eine breit angelegte Pilotstudie auf den Weg gebracht. Das Projekt soll die gesundheitlichen Vorteile einer strukturierten Medikationsanalyse durch Apotheker für von Polypharmazie betroffene Patienten und das ökonomische Einsparpotenzial für das Gesundheitssystem systematisch erheben, dokumentieren und auswerten. Diesmal sollen noch einmal konkrete Daten folgen.
„Wir wissen aus vielen Studien, dass Polypharmazie negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Patientinnen und Patienten haben kann, beispielsweise durch Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten. Zudem können durch zu viele oder sich nicht vertragende Medikamente im Gesundheitssystem erhebliche Zusatzkosten entstehen. Beides ist durch eine Medikationsanalyse vermeidbar. Wie groß der Nutzen für Patienten und Gesundheitssystem ist, werden wir in dieser wissenschaftlichen Pilotstudie nun unter Beweis stellen“, sagt Apothekerkammer-Vizepräsident Mag. pharm. Raimund Podroschko in einer Mitteilung der Kammer.
An der Pilotstudie nehmen zehn Wiener Apotheken mit insgesamt rund 200 Patienten teil. Alle Teilnehmenden sind von Polypharmazie betroffen. Im Rahmen persönlicher Gesprächstermine in der Apotheke werden die Medikation und das Wohlbefinden der Teilnehmenden systematisch und anhand eindeutig festgelegter Kriterien erfasst. Eine speziell entwickelte Software unterstützt und strukturiert das Patientengespräch. Die Ergebnisse der Studie werden voraussichtlich Ende 2023 vorliegen. Eine unendliche Geschichte erfährt so 16 Jahre nach ihrem Start ihre Fortsetzung …